Sie befinden sich hier:

 

DATENREPORT ZUM BERUFSBILDUNGSBERICHT 2013

A4.9 Jugendliche mit Migrationshintergrund

Für den allgemeinbildenden sowie berufsbildenden Werdegang ist es von großer Bedeutung, ob Jugendliche einen Migrationshintergrund haben oder nicht (Baumert/Maaz 2012). Den Potenzialen und Ressourcen junger Menschen mit Migrationshintergrund sowie ihren Schwierigkeiten im Bildungsverlauf gilt eine zunehmende bildungspolitische Aufmerksamkeit (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2010). Die Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist sehr heterogen, sowohl hinsichtlich ihrer Migrationsgeschichte, ihrer schulischen Voraussetzungen und Lebenslagen (Beicht 2011; Diehl/Friedrich/Hall 2009; Kuhnke/Müller 2009) als auch hinsichtlich ihrer Herkunft. Daher ist es wichtig, die Chancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu Ausbildung auch differenziert nach unterschiedlichen Herkunftsgruppen zu betrachten (Eberhard 2012; Beicht 2011; Ulrich 2011; Diehl/Friedrich/Hall 2009). Der Begriff „Migrationshintergrund“ wird in den unterschiedlichen Erhebungen und Studien nicht einheitlich definiert; dies ist bei einem Vergleich der Ergebnisse zu beachten .

E Migrationshintergrund

Das Konstrukt „Migrationshintergrund“ wird in den verschiedenen Erhebungen und Studien auf unterschiedliche Weise operationalisiert. Zur Definition werden verschiedene Merkmale herangezogen: In der empirischen Berufsbildungsforschung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) sind dies meist die aktuelle Staatsangehörigkeit und die Muttersprache (bzw. die als erste erlernte/-n Sprache/-n), teilweise auch das Geburtsland und in Deutschland verbrachte Zeiten. Studien, die sich auf den Mikrozensus stützen, können auf die Merkmale Staatsangehörigkeit, Einbürgerung, Geburtsland und auf entsprechende Angaben zu den Eltern zurückgreifen. Außerdem wird im Mikrozensus zwischen Personen mit eigener Migrationserfahrung (Ausländer, Deutsche (Spät-)Aussiedler und Eingebürgerte) sowie Personen ohne eigene Migrationserfahrung (Ausländer der 2. und 3. Generation, Deutsche, d. h. Eingebürgerte, Deutsche mit mindestens einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil) unterschieden.

Unterschiedliche Definitionen führen nicht nur zu quantitativen Unterschieden der jeweils als Personen mit Migrationshintergrund bestimmten Gruppe, sondern können auch qualitative Konsequenzen nach sich ziehen, wenn man zu unterschiedlichen Aussagen, z. B. hinsichtlich des Bildungserfolgs, kommt. Die Offenlegung der für die Definition von Migrationshintergrund jeweils verwendeten Kriterien und die Begründung ihrer Auswahl sind deswegen zwingend erforderlich (Settelmeyer/Erbe 2010; Statistisches Bundesamt 2010).

Berufliche Orientierung und Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund

Der Übergang von der allgemeinbildenden Schule in eine Berufsausbildung ist für Jugendliche mit Migrationshintergrund oft besonders schwierig und langwierig (vgl. Kapitel A3.1; BIBB-Datenreport 2011 und 2009, jeweils Kapitel A3; Beicht 2011; Granato u. a. 2011). Die BIBB-Schulabgängerbefragung 2012 zeigt, dass nicht einmal die Hälfte (45 %) der Schulabgänger/-innen mit Migrationshintergrund169, die sich für eine betriebliche Ausbildung interessierten, tatsächlich in eine solche Ausbildung eingemündet sind. Gegenüber den Vorjahren ist dies eine deutliche Erhöhung. So stieg der Anteil von 32 % (2008) auf 35 % (2010) und zuletzt auf 45 % (2012). Im Vergleich zu Schulabgängern und Schulabgängerinnen ohne Migrationshintergrund gibt es aber weiterhin eine Differenz von 11 Prozentpunkten. Bei den Schulabgängern und Schulabgängerinnen ohne Migrationshintergrund veränderte sich im betrachteten Zeitverlauf der Anteil derjenigen, die in eine betriebliche Ausbildung einmünden konnten, von 54 % (2008) auf 58 % (2010) und 59 % (2012).

Erhebliche Unterschiede bei den Übergangschancen in eine duale Berufsausbildung zeigen sich auch, wenn der Verbleib der bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) registrierten Ausbildungsstellenbewerber/ -innen betrachtet wird. So ergab die BA/BIBB-Bewerberbefragung 2012, dass 38 % der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund in dem betreffenden Jahr in einer dualen Berufsausbildung verblieben waren, und zwar 30 % in einer betrieblichen und 8 % in einer nichtbetrieblichen Ausbildung. Von denjenigen ohne Migrationshintergrund waren es dagegen 53 % (46 % in betrieblicher und 7 % in nichtbetrieblicher Ausbildung) (vgl. Kapitel A3.2.2, Tabelle A3.2.2-2).170 Auch unter Berücksichtigung des Schulabschlusses war bei Bewerbern und Bewerberinnen mit Migrationshintergrund seltener ein Verbleib in einer betrieblichen Ausbildung festzustellen. Besonders deutlich sind die Unterschiede bei einem mittleren Abschluss: Während die Hälfte der Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund bei einem mittleren Abschluss in einer betrieblichen Ausbildung verblieben, war dies nur bei 31 % derjenigen mit Migrationshintergrund der Fall (vgl. Kapitel A3.2.2, Schaubild A3.2.2-1).

Auf Basis der Berufsbildungsstatistik sowie der Bevölkerungsfortschreibung der statistischen Ämter des Bundes und der Länder kann die Ausbildungsanfängerquote ausländischer und deutscher Jugendlicher berechnet werden ( vgl. Kapitel A4.5). Demnach war die Ausbildungsanfängerquote ausländischer Jugendlicher 2011 mit 29,8 % nur halb so hoch wie die deutscher Jugendlicher (60,2 %). Die Quote hat sich damit gegenüber 2009 sowohl bei den ausländischen Jugendlichen (2009: 27,5 %) als auch bei den deutschen Jugendlichen (2009: 56,4 %) etwas erhöht (vgl. BIBB-Datenreport 2012, Kapitel A4.5), wobei die Abstände zwischen beiden Gruppen noch zunahmen (2009: 28,9 Prozentpunkte, 2011: 30,4 Prozentpunkte). Weitere Unterschiede zeigen sich bei der Differenzierung nach Geschlecht. So betrug 2011 die Ausbildungsanfängerquote junger Frauen ausländischer Nationalität 26,9 %, die junger Männer ausländischer Nationalität 32,6 % (vgl. Tabelle A4.5-3).

Die Ausbildungsanfängerquote deutscher Frauen lag 2011 mit 49,6 % rund 23 Prozentpunkte höher als die ausländischer Frauen, die der männlichen deutschen Jugendlichen mit 70,2 % sogar rund 38 Prozentpunkte über derjenigen männlicher Jugendlicher ausländischer Nationalität (vgl. Kapitel A4.5). Zu beachten ist, dass die hier berücksichtigte Staatsangehörigkeit von Personen nicht mit dem Merkmal Migrationshintergrund gleichgesetzt werden kann. Aus der Ausbildungsanfängerquote abgeleitete Aussagen zur Teilhabe junger Menschen mit Migrationshintergrund an beruflicher Ausbildung können sich nur auf die Teilgruppe der Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit beziehen.

Auf die Frage, wie es zu den Unterschieden in den Ausbildungschancen zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund kommt, können die amtlichen Statistiken (z. B. Berufsbildungsstatistik, Schulstatistik, integrierte Ausbildungsberichterstattung, vgl. Kapitel A6) keine Antworten geben. Hierzu muss deshalb auf Stichprobenerhebungen zurückgegriffen werden. Auf der Grundlage von Stichprobenuntersuchungen des BIBB hat das inzwischen beendete Forschungsprojekt „Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ in den vergangenen Jahren die Übergangsprozesse und Einmündungschancen junger Menschen mit Migrationshintergrund in eine berufliche Ausbildung untersucht (Granato u. a. 2011). Über zentrale Ergebnisse dieses Projekts wurde in den Ausgaben 2009 bis 2012 des Datenreports zum Berufsbildungsbericht bereits berichtet. Nachfolgend soll nun vor allem auf die Bildungsorientierung in Familien mit Migrationshintergrund sowie auf die berufliche Orientierung junger Menschen mit Migrationshintergrund eingegangen werden, also auf Faktoren, die die Einmündungschancen in Berufsausbildung möglicherweise beeinflussen. Dabei werden die wichtigsten Befunde aktueller Studien zusammenfassend dargestellt.

Bildungsorientierung in Familien mit Migrationshintergrund

Migranten und Migrantinnen haben generell eine höhere Bildungsaspiration als Einheimische, wie eine OECD-Studie für alle dort untersuchten Staaten zeigte (OECD 2006). Auch in Deutschland haben Familien mit Zuwanderungsgeschichte eine hohe Bildungsmotivation (Soremski 2010; Boos-Nünning 2006). Im Mittelpunkt steht dabei „das Ziel des sozialen Aufstiegs, das oft mit sehr viel Durchhaltewillen und Bereitschaft zum Entbehren verfolgt wird“ (Mey 2009, S. 9). Aufgrund eingeschränkter eigener Chancen beim Zugang zu Bildung und Beruf neigen Eltern der ersten Generation dazu, den sozialen Aufstieg auf die nachfolgende Generation zu „verschieben“ (Relikowski/Yilmaz/Blossfeld 2012).

„Eltern mit Migrationshintergrund wünschen sich für ihre Töchter wie Söhne eine gute Schul- und Berufsbildung“, denn die ausgeprägte Bildungsorientierung in Migrantenfamilien bezieht sich gleichermaßen auf Söhne und Töchter (Boos-Nünning 2006, S. 13). Sie ist gekoppelt an hohe Erwartungen der Eltern an ihre Kinder (Boos-Nünning 2006). Die hohen Erwartungen der Eltern verbinden sich mit einer emotionalen Unterstützung in Bildungsfragen, unabhängig vom Geschlecht der Kinder (Mey 2009; Boos-Nünning/ Karakasoglu 2006), seltener jedoch mit einer konkreten Unterstützung, z. B. bei der Ausbildungsstellensuche. Bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz werden Jugendliche mit Migrationshintergrund zwar mehrheitlich, jedoch seltener als diejenigen ohne Migrationshintergrund, konkret von ihrer Familie und ihrer sozialen Umgebung unterstützt (mit Migrationshintergrund 63 %, ohne Migrationshintergrund 75 %, Beicht/Granato 2009; Kuhnke/Müller 2009). Eltern mit Migrationshintergrund fehlt im Übergangsprozess zum Teil das „schulrelevante Wissen“, doch „gleichzeitig sind oft (nur) sie es, die ihre Kinder bei erfahrenen Rückschlägen zum Beispiel bei der Lehrstelle immer wieder ermutigen“ (Mey 2009, S. 10). Jungen Frauen und Männern mit Migrationshintergrund wird ein hohes Maß an Selbstständigkeit bei der Gestaltung ihrer Schul- und weiteren Bildungslaufbahn abverlangt; sie sind daher im Übergangsprozess stärker auf sich allein gestellt (Boos-Nünning 2006; Boos-Nünnning/ Karakasoglu 2006).

Obwohl Migrantenfamilien häufiger einen ungünstigeren sozialen Status aufweisen, sind sie meistens stark bildungsorientiert – anders als ein Teil der Familien ohne Migrationshintergrund (Becker 2011; Soremski 2010). Dies zeigt sich sowohl bei ihren Bildungsentscheidungen am Ende der Grundschulzeit (Relikowski/Yilmaz/Blossfeld 2012; Gresch 2012; Kristen/Dollmann 2010) bzw. im weiteren Schulverlauf ihrer Kinder (Roth/Salikutluk/Kogan 2010) als auch am Übergang Schule – Ausbildung. Wenngleich Eltern aus Migrantenfamilien erheblich seltener über einen Schul- und Berufsabschluss verfügen als Eltern aus Nichtmigrantenfamilien, hat dies auf die Bildungsaspirationen am Übergang Schule – Ausbildung keinen signifikant ungünstigen Einfluss (Beicht/ Granato 2010). Aber nicht nur die Eltern, sondern auch die Jugendlichen mit Migrationshintergrund weisen trotz der oftmals ungünstigeren sozialen Stellung der Familie eine hohe Bildungsorientierung auf (Becker 2011; Beicht/Granato 2010).

Bildungs- und Berufsorientierung der Jugendlichen

Heranwachsende mit und ohne Migrationshintergrund sind an qualifizierter Ausbildung und Erfolg im Beruf interessiert, wobei eine Vielfalt von Vorstellungen darüber existiert, wie die jeweiligen Bildungs- und Berufsziele erreicht werden können (Schittenhelm 2007; Boos-Nünning/Karakasoglu 2006; Gille 2006). In den beruflichen Orientierungen von Hauptschülern und -schülerinnen mit Migrationshintergrund, die sich im letzten Schuljahr befinden, hat die Sicherheit des künftigen Arbeitsplatzes den höchsten Stellenwert: Für 95 % stellt diese ein wichtiges Kriterium ihrer Berufswahl dar. Die Chance auf einen Ausbildungsplatz und der Verdienst im künftigen Beruf werden von jeweils (knapp) 90 % als wichtig erachtet. Sehr verbreitet bei der Berufswahl ist auch der Wunsch, dass Ausbildung und Beruf genügend Zeit für die Familie lassen (Gaupp/Lex/ Reißig 2011; Kuhnke/Müller 2009). Für Gymnasiasten und Gymnasiastinnen mit Migrationshintergrund – ebenfalls im letzten Schuljahr – ist die Verwirklichung eigener Interessen mit 91 % (ohne Migrationshintergrund 91 %) sowie ein sicherer Arbeitsplatz mit 98 % (ohne Migrationshintergrund 86 %) bedeutsam. Karrieremöglichkeiten stellen für 72 %, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für 66 % der Gymnasiasten und Gymnasiastinnen mit Migrationshintergrund ein wichtiges Kriterium ihrer Berufswahl dar – ähnlich wie bei ihren Klassenkameraden ohne Migrationshintergrund (69 % bzw. 64 %, Schmidt- Koddenberg/Zorn 2012).

Eine Bildungs- und Ausbildungsperspektive, die Chancen eröffnet, ist jungen Frauen und Männern mit Migrationshintergrund sehr wichtig. Gerade junge Frauen mit Migrationshintergrund haben verstanden, dass ihnen erst Ausbildung und Beruf ein eigenes Einkommen und damit eine eigenständige Lebensführung ermöglichen (Schittenhelm 2007; Boos-Nünning 2006). In puncto Werteorientierungen herrschen bei jungen Frauen mit Migrationshintergrund daher egalitäre Vorstellungen zu den Geschlechterrollen vor, in denen davon ausgegangen wird, dass beide Partner berufstätig sind und sich gemeinsam um das Aufwachsen der Kinder kümmern. Circa 80 % der jungen Frauen mit Migrationshintergrund sehen den Beruf als bestes Mittel zur Unabhängigkeit der Frau an und bejahen, dass Frau und Mann zum Familieneinkommen beitragen sollen (Boos-Nünning/Karakasoglu 2006, S. 265 f.).

Während Schüler/-innen in der 8. Klasse, einer relativ frühen Phase ihrer Berufsorientierung, noch überwiegend in „schulischen Karrieren“ denken (Rahn/Brüggemann/Hartkopf 2011, S. 306), orientieren sie sich in der Folgezeit häufiger an den „Opportunitätsstrukturen“, d. h. an den beruflichen Möglichkeiten, von denen sie glauben, diese mit ihren schulischen Voraussetzungen auf dem (Aus-) Bildungsmarkt erreichen zu können (Heinz 1995). Junge Frauen und Männer mit und ohne Migrationshintergrund entwickeln im weiteren Berufsfindungsprozess zunehmend konkrete Vorstellungen über ihre künftigen Bildungswege (Schmidt-Koddenberg/Zorn 2012). Unmittelbar nach der Schulzeit haben die meisten Schulabgänger/-innen – rund 85 % – klare (Aus-)Bildungsziele und können präzise Qualifizierungspläne benennen, unabhängig von einem Migrationshintergrund (Beicht/Granato 2009). Jugendliche mit Migrationshintergrund haben nach Beendigung der allgemeinbildenden Schule ein ebenso hohes Interesse an einer Berufsausbildung wie Jugendliche ohne Migrationshintergrund (vgl. Kapitel A3.1; BIBB-Datenreport 2011 und 2009, Kapitel A3.1; Beicht/Granato 2009; Diehl/Friedrich/Hall 2009). So wollten 61 % der Schulabgänger/-innen mit Migrationshintergrund im Jahr 2012 oder zu einem späteren Zeitpunkt eine duale Ausbildung absolvieren; bei denjenigen ohne Migrationshintergrund betrug der Anteil ebenfalls 61 %.

Die Bildungspläne von Schulabgängern und -abgängerinnen unterscheiden sich dabei weniger nach dem Migrationshintergrund (Diehl/Friedrich/Hall 2009) als nach schulischen Voraussetzungen und Geschlecht: Studienberechtigte Schulabsolventen und -absolventinnen beabsichtigen weit überwiegend, ein Studium aufzunehmen. Wie die BIBB-Übergangsstudie 2006171 ergab, liegt die Studienneigung bei einem Migrationshintergrund höher (mit Migrationshintergrund 71 %, ohne Migrationshintergrund 65 %, Beicht/Granato 2009). Am höchsten fällt sie bei studienberechtigten Migrantinnen aus. Für 3 von 4 Schulabgängerinnen mit (Fach-)Hochschulreife und Migrationshintergrund ist der Beginn eines Studiums das nächste Bildungsziel (74 %, Schmidt-Koddenberg/Zorn 2012; Beicht/Granato 2010). Das größte Interesse an einer betrieblichen Lehre haben Jugendliche, die über maximal einen Hauptschulabschluss verfügen: 3 von 4 möchten eine betriebliche Ausbildung beginnen, unabhängig von einem Migrationshintergrund (mit Migrationshintergrund 75 %, ohne Migrationshintergrund 74 %, Beicht/Granato 2009), junge Männer häufiger als junge Frauen. Bei einem mittleren Abschluss interessieren sich Schulabgänger/-innen mit Migrationshintergrund – neben einer betrieblichen Ausbildung – öfter auch für eine schulische Ausbildungsmöglichkeit (mit Migrationshintergrund 15 %, ohne Migrationshintergrund 11 %, Beicht/Granato 2009), junge Frauen mit Migrationshintergrund besonders häufig. Bei einem mittleren Abschluss planen Schulabgänger/-innen bei einem Migrationshintergrund zudem häufiger den Besuch einer teilqualifizierenden Berufsfachschule oder einer Fachoberschule, um zunächst einen noch höheren Schulabschluss zu erwerben (Beicht/Granato 2011; Rahn/Brüggemann/Hartkopf 2011).

Berufswünsche und Erfolgschancen bei der Ausbildungsstellensuche

Analysen auf der Grundlage der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2010 ergaben, dass das Spektrum der Ausbildungsberufe im dualen System, auf das sich Ausbildungsplatzsuchende mit und ohne Migrationshintergrund bewerben, große Gemeinsamkeiten und einige Unterschiede aufweist (Beicht 2012). Die zentralen Ergebnisse werden nachfolgend wiedergegeben. Demnach suchten rund 3 von 4 Bewerbern und Bewerberinnen (74 %) unabhängig von einem Migrationshintergrund in 2 bis 5 Ausbildungsberufen eine Ausbildungsstelle Tabelle A4.9-1. Dabei berücksichtigten Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund „durchschnittlich eine etwas größere Zahl von Berufen bei ihren Bemühungen um einen Ausbildungsplatz (3,5 vs. 3,2 Berufe)“ (Beicht 2012, S. 45). 90 % der Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund und 78 % derjenigen ohne Migrationshintergrund bewarben sich auf mindestens einen der 20 am stärksten besetzten Ausbildungsberufe. Insgesamt zogen beide Bewerbergruppen ein breites Spektrum von Berufen bei ihrer Ausbildungssuche in Betracht. Im Hinblick auf die jeweils favorisierten Berufe gab es Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Häufiger wollten Bewerber/-innen bei einem Migrationshintergrund zu Waren- und Dienstleistungskaufleuten ausgebildet werden oder sonstige Dienstleistungsberufe erlernen, seltener hingegen sonstige Fertigungsberufe bzw. technische oder landwirtschaftliche Berufe. Ein etwa gleich großes Interesse bestand bei beiden Gruppen an Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufen sowie an Metall- und Elektroberufen (Beicht 2012).

Hinsichtlich der favorisierten Einzelberufe zeigten sich zum Teil ebenfalls deutliche Unterschiede nach Migrationshintergrund. Die größte Abweichung betraf den besetzungsstärksten Beruf Kaufmann/ -frau im Einzelhandel: An ihm sind 31 % der Bewerber/- innen mit Migrationshintergrund interessiert, gegenüber nur 18 % derjenigen ohne Migrationshintergrund. Häufiger suchten Migranten und Migrantinnen auch Ausbildungsplätze für die kaufmännischen Berufe Bürokaufmann/-frau (26 % vs. 21 %) und Bankkaufmann/-frau (10 % vs. 6 %) sowie die gewerblich-technischen Berufe Kraftfahrzeugmechatroniker/-in (16 % vs. 9 %) und Industriemechaniker/-in (14 % vs. 9 %). Ebenfalls etwas stärker ausgeprägt ist bei ihnen die Nachfrage nach einer Ausbildung in den Berufen Friseur/-in (7 % vs. 4 %) und Verkäufer/-in (10 % vs. 8 %). Nur ein kleiner oder gar kein Unterschied besteht hingegen z. B. bei den Berufen Industriekaufmann/-frau (je 14 %), Kaufmann/-frau im Groß- und Außenhandel (9 % vs. 8 %), Medizinische/-r Fachangestellte/-r (9 % vs. 8 %) und Kaufmann/-frau für Bürokommunikation (je 8 %, Beicht 2012).

Inwieweit die beruflichen Präferenzen relevant für die Erfolgschancen bei der Ausbildungsstellensuche sind, wurde anhand multivariater Analysen untersucht (Beicht 2012).172 Dabei zeigte sich: Bewerber/ -innen, die in 2 bis 3 Berufen eine Ausbildungsstelle suchten, hatten günstigere Erfolgsaussichten als diejenigen, die sich auf nur einen Ausbildungsberuf konzentrierten. Noch größer waren die Erfolgsaussichten, wenn 4 bis 5 Ausbildungsberufe in die Suche einbezogen wurden. Passte das Anspruchsniveau der angestrebten Berufe zur schulischen Qualifikation des Bewerbers/der Bewerberin, so erhöhte dies die Einmündungschancen in eine betriebliche Ausbildung, und zwar im Vergleich zu Jugendlichen, deren schulische Vorbildung für die gewählten Berufe eigentlich zu niedrig war. Dies verstärkte sich noch, wenn der erreichte Schulabschluss über dem üblichen Anforderungsniveau der in Betracht gezogenen Berufe lag. Die Erfolgsaussichten von Bewerbern und Bewerberinnen, die sich auf Metall- und Elektroberufe konzentrierten, lagen signifikant höher als die derjenigen, die für Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufe einen Ausbildungsplatz suchten. Noch ungünstigere Aussichten hatten diejenigen, die eine Ausbildung zu Waren- oder Dienstleistungskaufleuten anstrebten. Das zentrale Ergebnis ist, „dass die Erfolgschancen junger Migrantinnen und Migranten auch dann signifikant geringer sind, wenn die Merkmale der getroffenen Berufswahl kontrolliert werden. Weder ihre im Vergleich zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund abweichenden beruflichen Präferenzen noch ihre ungünstigeren schulischen Voraussetzungen und auch nicht die anderen einbezogenen Einflussfaktoren bieten somit eine hinreichende Erklärung für ihre schlechteren Erfolgsaussichten beim Übergang in Ausbildung“ (Beicht 2012, S. 48).

Tabelle A4.9-1: Verteilung der Ausbildungsstellenbewerber/-innen nach Merkmalen der Berufsauswahl

Tabelle A4.9-1

Unzureichende Erklärungen für die Benachteiligung junger Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Ausbildungsmarkt

Trotz einer hohen Bildungsmotivation, konkreter Bildungspläne, ähnlicher Bildungspräferenzen, ihres Engagements bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz sowie der Nutzung von Übergangsmaßnahmen, um einen (weiterführenden) Schulabschluss zu erreichen, finden Jugendliche mit Migrationshintergrund seltener einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Nach der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2010 mündeten nur 28 % der offiziell bei der Bundesagentur gemeldeten ausbildungsreifen Bewerber und Bewerberinnen mit Migrationshintergrund in dem betreffenden Jahr in eine betriebliche Ausbildung ein, gegenüber 42 % derjenigen ohne Migrationshintergrund (vgl. BIBB-Datenreport 2012, Kapitel A3; Beicht 2011). Selbst mit einem mittleren Schulabschluss hatten Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund erheblich geringere Aussichten auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz: Von ihnen erhielten 2010 nur 29 % eine betriebliche Ausbildungsstelle, aber 48 % derjenigen ohne Migrationshintergrund. Die Schlechterstellung selbst offiziell ausbildungsreifer Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu betrieblicher Ausbildung lässt sich auch unter Berücksichtigung zentraler Einflussgrößen nachweisen (Eberhard 2012; Beicht 2011; Ulrich 2011).

Die BA/BIBB-Bewerberbefragung 2010 zeigte – ebenso wie bereits die BIBB-Übergangsstudie 2006 –, dass es zwischen Jugendlichen bzw. jungen Frauen und Männern mit und ohne Migrationshintergrund bei den angewandten Bewerbungsstrategien im Rahmen der Ausbildungsplatzsuche eine große Übereinstimmung in ihrer räumlichen Mobilitätsbereitschaft, in ihrem hohen Engagement und in ihrer beruflichen Flexibilität gibt (Beicht 2011; Beicht/Granato 2011). Hierin liegt die Erklärung für die Chancenunterschiede also nicht. Sie lassen sich auch nicht durch die zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund etwas abweichenden Berufspräferenzen erklären, wie im vorangegangenen Abschnitt dargelegt wurde.

Die ungünstigeren schulischen Voraussetzungen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund reichen ebenfalls zur vollständigen Erklärung ihrer geringeren Aussichten auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz nicht aus, ebenso wenig wie die schulische bzw. kognitive Leistungsfähigkeit oder andere kulturelle Ressourcen, die in Migrantenfamilien häufig geringer ausfallen. Dies gilt auch für den sozioökonomischen Status der Familie und die Netzwerke junger Menschen mit Migrationshintergrund, für die Berufspräferenzen sowie für Bildungsmaßnahmen und andere institutionelle Unterstützungsleistungen (z. B. Einstiegsbegleitung) im Übergangsprozess, die (zum Teil) einen fördernden Einfluss auf die Einmündungschancen haben. Wenngleich Familien mit Migrationshintergrund in Westdeutschland häufiger als Familien ohne Migrationshintergrund in Regionen leben, die von einem geringeren betrieblichen Ausbildungsangebot geprägt sind, erklärt dies ebenfalls nicht vollständig die niedrigeren Einmündungschancen junger Frauen und Männer mit Migrationshintergrund, insbesondere bei einer türkischen bzw. arabischen Herkunft (vgl. BIBB-Datenreport 2012, Kapitel A4.9).173 

Somit sind über die berücksichtigten Faktoren hinaus weitere Einflussgrößen wirksam, die in Verbindung mit dem Migrationshintergrund stehen und auf eine strukturelle Benachteiligung hinweisen (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2010). Nach einer in Süddeutschland durchgeführten Studie sind zwar 3 von 4 befragten Betrieben, die Jugendliche mit Migrationshintergrund ausbilden, mit der Leistung ihrer Auszubildenden mit und ohne Migrationshintergrund unterschiedslos zufrieden (Scherr/Gründer 2011). Rund jeder fünfte Betrieb gibt dennoch an, aufgrund seines wirtschaftlichen Tätigkeitsfeldes bzw. der Kundenerwartungen Ausbildungsplätze bevorzugt an deutschstämmige Jugendliche zu vergeben. Auch Ergebnisse aus der Schweiz deuten darauf hin, dass die von den dort untersuchten Betrieben verwendeten Argumente und Zuschreibungen mehrheitlich dazu dienen, den Ausschluss von „als ausländisch geltenden Bewerbern“ (Imdorf 2008, S. 2035) und das sogenannte Inländerprimat, d. h. den Erhalt ethnischer Homogenität in der Belegschaft, zu legitimieren. Diese Befunde, die einer weiteren empirischen Vertiefung bedürfen, lassen vermuten, dass ein Teil der geringeren Chancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund beim Zugang in betriebliche Ausbildung insbesondere bei einer türkisch-arabischen Herkunft auf betriebliche Sortierlogiken zurückzuführen sind.

(Ursula Beicht, Mona Granato)

Fußnoten

169 In den BIBB-Schulabgängerbefragungen liegt ein Migrationshintergrund vor, „wenn ein Elternteil oder beide Eltern nicht in Deutschland geboren wurden und/ oder die Kindheit und Jugend nicht in Deutschland verbracht wurde und/oder Deutsch nicht als erste Sprache oder gemeinsam mit einer anderen Sprache erlernt wurde“ (Friedrich 2009, S. 70).

170 In den BA/BIBB-Bewerberbefragungen gelten alle Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die in Deutschland geboren wurden und mit Deutsch als alleiniger Muttersprache aufwuchsen, als Personen ohne Migrationshintergrund. Alle sonstigen Personen werden als Bewerber/-innen mit einem Migrationshintergrund betrachtet (vgl. Kapitel A3.2.2).

171 In der BIBB-Übergangsstudie 2006 wird der Migrationshintergrund indirekt definiert: Kein Migrationshintergrund wird angenommen, wenn ein Jugendlicher die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, zudem als Kind in der Familie zuerst ausschließlich die deutsche Sprache gelernt hat und außerdem Vater und Mutter in Deutschland geboren sind. Trifft eine dieser Bedingungen nicht zu, wird von einem Migrationshintergrund ausgegangen (Beicht/Granato 2009).

172 Zur Identifizierung wichtiger Einflussgrößen wurden auf der Grundlage der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2010 binär logistische Regressionen gerechnet. Berücksichtigt wurden folgende Faktoren: individuelle schulische Voraussetzungen (Schulabschluss, letzte Mathematik- und Deutschnote), Such- und Bewerbungsstrategien, Situation auf dem Ausbildungsmarkt in der Wohnregion, Merkmale der Berufsauswahl bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz in BBiG/HwO- Berufen (interessierende Berufsgruppe, Anzahl interessierender Ausbildungsberufe, durchschnittliches Anspruchsniveau des interessierenden Ausbildungsberufs), soziodemografische Merkmale (Migrationshintergrund, Geschlecht, Alter) (Beicht 2012).

173 Beicht 2011, 2012; Eberhard 2012; Geier/Kuhnke/Reißig 2011; Hupka-Brunner u. a. 2011; Kohlrausch 2011; Seeber 2011; Ulrich 2011; Seibert/Hupka-Brunner/ Imdorf 2009; Beicht/Granato 2009, 2010; Diehl/Friedrich/Hall 2009; Imdorf 2005.

Bibliografischer Hinweis

Internetversion des BIBB-Datenreports zum Berufsbildungsbericht 2013 - Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn (2013).

Diese Information weitergeben

Diese Informationen weitergeben bei: Facebook Diese Informationen weitergeben bei: Twitter Diese Informationen weitergeben bei: MeinVZ

Social Bookmarks

Lesezeichen setzen bei: Google Lesezeichen setzen bei: Yahoo Lesezeichen setzen bei: Mr. Wong Lesezeichen setzen bei: Del.icio.us Lesezeichen setzen bei: Linkarena Lesezeichen setzen bei: Folkd Lesezeichen setzen bei: Yigg

Tools: