A4.2.2 Auszubildende mit betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverträgen
Die Ausbildung in den nach Berufsbildungsgesetz bzw. Handwerksordnung anerkannten Berufen (BBiG / HwO-Berufe) findet weit überwiegend an den Lernorten Betrieb und (Teilzeit-)Berufsschule statt. Die Kosten des betrieblichen Teils der dualen Berufsausbildung werden in der Regel von den ausbildenden Unternehmen getragen, während der Staat die Kosten der berufsschulischen Ausbildung übernimmt. Das betriebliche Ausbildungsangebot konnte allerdings in der Vergangenheit wegen seiner starken Marktabhängigkeit eine Versorgung aller Ausbildungsstellenbewerber / -innen oft bei Weitem nicht sicherstellen (vgl. Ulrich / Eberhard 2008) – und dies gelang trotz der deutlich verbesserten Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt auch im vergangenen Ausbildungsjahr nicht (vgl. Kapitel A1). Hinzu kommt, dass für Jugendliche, die eine besondere pädagogische Betreuung benötigen und deshalb außerhalb realer Arbeitsabläufe ausgebildet werden müssen, eine betriebliche Ausbildung meist nicht in Betracht kommt. Aus diesen Gründen wird seit vielen Jahren eine nicht unerhebliche Anzahl von zusätzlichen außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen bereitgestellt, die überwiegend aus öffentlichen Mitteln bzw. Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziert werden. In diesen Fällen schließen die Auszubildenden ihren Ausbildungsvertrag nicht – wie sonst in der dualen Berufsausbildung üblich – mit einem Betrieb, sondern mit einem außerbetrieblichen Träger der Ausbildung. Wie hoch der Anteil der außerbetrieblichen Ausbildung an allen Ausbildungsverhältnissen ist, geht bislang aus der Berufsbildungsstatistik zum Stichtag 31. Dezember nicht hervor.77 Seit dem Jahr 1999 differenziert das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) daher die Gesamtzahl der Auszubildenden näherungsweise unter Hinzuziehung anderer Datenquellen nach betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen .
E Differenzierung nach betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen
Das BIBB schätzt jährlich zum Stand 31. Dezember den Anteil der betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse differenziert nach Bundesländern. Dabei wird zunächst die Zahl der Auszubildenden ermittelt, die sich an diesem Stichtag in einer außerbetrieblichen, d. h. überwiegend öffentlich finanzierten Berufsausbildung befanden. Der Umfang der betrieblichen Ausbildung wird dann auf indirektem Weg berechnet, indem von der Gesamtzahl der Auszubildenden, die das Statistische Bundesamt ausweist, die Anzahl der außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse abgezogen wird. Das Ergebnis ist deshalb als Schätzung aufzufassen, weil die Zusammenführung unterschiedlicher Datenquellen in der Regel mit Ungenauigkeiten bzw. Unsicherheiten verbunden ist.
Außerbetriebliche Ausbildung wird nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II und SBG III), im Rahmen der Bund-Länder- Programme Ost, durch ergänzende Programme der neuen Länder sowie durch Förderprogramme einiger alter Länder finanziert. Für die Berechnungen wird der jeweilige Teilnehmerbestand Ende Dezember eines Jahres herangezogen. Die Angaben werden von der Bundesagentur für Arbeit und den Ländern zur Verfügung gestellt. Dabei werden ausschließlich Ausbildungsverhältnisse in BBiG / HwOBerufen einbezogen, die mit einem bei der zuständigen Stelle (z. B. Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer) eingetragenen Ausbildungsvertrag verbunden sind. Denn nur diese Ausbildungsverhältnisse werden in der Berufsbildungsstatistik mitgezählt. Geförderte schulische Ausbildungsgänge bleiben dagegen unberücksichtigt, da die Teilnehmer / -innen dort keinen entsprechenden Ausbildungsvertrag geschlossen und somit nicht den Status „Auszubildender“ haben.
Zu beachten ist, dass auch in der außerbetrieblichen Berufsausbildung teilweise längere Ausbildungsphasen in Betrieben stattfinden. Maßgeblich für die hier vorgenommene Zuordnung ist jedoch allein die Finanzierungsform – und nicht der Lernort. Zugrunde gelegt wird damit auch hier die „überwiegend öffentliche Finanzierung von Berufsausbildungsverhältnissen“, wie sie im Rahmen der BIBB-Erhebung der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zum 30. September sowie der Berufsbildungsstatistik zum 31. Dezember definiert ist (vgl. Kapitel A1.2 und Kapitel A4.3).
Anteile betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung 2010
Die öffentliche Finanzierung von Ausbildungsplätzen erfolgt für unterschiedliche Zielgruppen: So fördert die BA nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB III) die außerbetriebliche Ausbildung von lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen, die sozialpädagogischer Begleitung bedürfen und auch mit ausbildungsbegleitenden Hilfen nicht in eine betriebliche Berufsausbildung vermittelt werden können (Berufsausbildung Benachteiligter – BaE, siehe § 242 SGB III, vgl. Kapitel A7.1). Darüber hinaus werden von der BA Ausbildungsmaßnahmen zur beruflichen Eingliederung von jungen Menschen mit Behinderungen finanziert (Ausbildung Reha – RehabMA, siehe § 102 SGB III). Die Bund-Länder-Programme Ost, die ergänzenden Programme der neuen Länder sowie die Förderprogramme in einigen alten Bundesländern richten sich in der Regel an sogenannte „marktbenachteiligte“ Jugendliche, die allein aufgrund eines in der Region nicht ausreichenden betrieblichen Ausbildungsstellenangebots unversorgt blieben (vgl. Kapitel D1).
Ende 2010 befanden sich nach den Berechnungen des BIBB bundesweit 145.075 Auszubildende in einer der öffentlich geförderten außerbetrieblichen Ausbildungsformen. Dies waren 9,6 % der insgesamt 1.508.328 Auszubildenden, die es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zum Stichtag 31. Dezember 2010 gab Tabelle A4.2.2-1. Der Anteil der Auszubildenden in betrieblicher Ausbildung betrug dementsprechend 90,4 % (1.363.253). In den alten Ländern lag der Anteil der außerbetrieblichen Auszubildenden bei 7,0 % (87.569) aller Auszubildenden (1.252.665). In den neuen Ländern einschließlich Berlin erreichte der Anteil der außerbetrieblichen Auszubildenden 22,5 % (57.502) aller Auszubildenden (255.663).
Die außerbetriebliche Ausbildung verteilte sich 2010 wie folgt auf die verschiedenen Förderarten bzw. Zielgruppen: In den alten Ländern nahmen die nach SGB geförderten Ausbildungsverhältnisse lernbeeinträchtigter bzw. sozial benachteiligter Jugendlicher mit 59,3 % (51.949) den größten Anteil ein. Die geförderte Ausbildung Jugendlicher mit Behinderungen folgte mit 35,8 % (31.306). Auf die Förderung von marktbenachteiligten Jugendlichen im Rahmen von Länderprogrammen entfielen lediglich 4,9 % (4.314) der außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse. Allerdings gab es auch nur in 3 der alten Länder (Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen) solche Förderprogramme.
In den neuen Ländern hatte die nach SGB geförderte Ausbildung lernbeeinträchtigter bzw. sozial benachteiligter Jugendlicher mit 50,4 % (29.000) ebenfalls die größte quantitative Bedeutung, gefolgt von der durch die Bund-Länder-Programme Ost sowie die ergänzenden Länderprogramme finanzierten Ausbildung marktbenachteiligter Jugendlicher mit insgesamt 29,5 % (16.968). Die Förderung der beruflichen Eingliederung junger Menschen mit Behinderungen nahm einen Anteil von 20,1 % (11.534) an den außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen ein.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die außerbetriebliche Ausbildung in den neuen Ländern noch immer in wesentlich höherem Maße als in den alten Ländern die Funktion hatte, Benachteiligungen auszugleichen, die allein durch das in der Region nicht ausreichende betriebliche Ausbildungsstellenangebot verursacht wurden. In den alten Ländern stand dagegen die Förderung der Ausbildung von lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen sowie jungen Menschen mit Behinderungen im Vordergrund. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in der Förderpraxis die Grenze zwischen „Marktbenachteiligung“ und originärer Benachteiligung fließend ist, d. h., bei schwieriger Ausbildungsmarktlage wird insbesondere der Kreis der lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen weiter gezogen (vgl. Ulrich 2003). Dies ist in den neuen Ländern möglicherweise nach wie vor stärker als in den alten Ländern der Fall, worauf der erheblich höhere Anteil der Förderung von lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen an der Gesamtzahl aller (betrieblichen und außerbetrieblichen) Ausbildungsverhältnisse hindeutet: Dieser lag 2010 in den neuen Ländern bei 11,3 % gegenüber nur 4,1 % in den alten Ländern.78
Zwischen den einzelnen Bundesländern gab es deutliche Unterschiede in der Verbreitung der außerbetrieblichen Ausbildung. In den alten Ländern kam Hessen mit 9,8 % auf den höchsten prozentualen Anteil an außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen, Bayern wies dagegen mit 4,9 % den geringsten Anteil auf. Unter den neuen Ländern (einschließlich Berlin) hatte die außerbetriebliche Ausbildung in Brandenburg mit einem relativen Anteil von 24,4 % die größte quantitative Bedeutung, in Mecklenburg- Vorpommern war dagegen mit 20,4 % der niedrigste prozentuale Anteil zu verzeichnen.
Tabelle A4.2.2-1: Zahl der Auszubildenden mit betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverträgen 2010
Tabelle A4.2.2-1 (barrierefrei)
Entwicklung der betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildung
In den alten Ländern verringerte sich die Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse um 5,9 % von 93.033 im Jahr 2009 auf 87.569 im Jahr 2010.79 In der betrieblichen Ausbildung betrug die Abnahme nur 2,2 % (von 1.190.945 auf 1.165.096). In den neuen Ländern sank die Zahl der Auszubildenden in außerbetrieblicher Ausbildung mit 20,5 % (von 72.322 auf 57.502) ebenfalls deutlich stärker als in betrieblicher Ausbildung mit 7,9 % (von 215.157 auf 198.158).80
Im Hinblick auf die einzelnen Förderarten entwickelte sich die außerbetriebliche Ausbildung von 2009 zu 2010 wie folgt: In den alten Ländern ging bei den Länderprogrammen zur Förderung der Ausbildung marktbenachteiligter Jugendlicher die Zahl der Ausbildungsverhältnisse mit -40,4 % (von 7.242 auf 4.314) erheblich zurück. Dagegen gab es bei der nach SGB geförderten Ausbildung lernbeeinträchtigter bzw. sozial benachteiligter Jugendlicher nur einen Rückgang um 2,8 % (von 53.430 auf 51.949) und bei der Förderung der Berufsausbildung von Jugendlichen mit Behinderungen um 3,3 % (von 32.361 auf 31.306).
In den neuen Ländern verringerte sich die Zahl der durch die Bund-Länder-Programme Ost finanzierten Ausbildungsverhältnisse für marktbenachteiligte Jugendliche erheblich, und zwar um 36,3 % (von 15.554 auf 9.902). In den ergänzenden Länderprogrammen fiel der Rückgang der Auszubildendenzahl mit 16,5 % (von 8.465 auf 7.066) nicht so stark aus. Bei den nach SGB geförderten Ausbildungsverhältnissen von lernbeeinträchtigten bzw. sozial benachteiligten Jugendlichen betrug die Abnahme 18,1 % (von 35.404 auf 29.000), bei den Ausbildungsmaßnahmen für Jugendliche mit Behinderungen 10,6 % (von 12.899 auf 11.534).
Zusammenfassend ist festzustellen: Aufgrund der in den neuen Ländern seit einigen Jahren stark gesunkenen Schulabgängerzahlen wurde inzwischen die Förderung von Ausbildungsplätzen für marktbenachteiligte Jugendliche insgesamt beträchtlich reduziert. Auch in den alten Ländern ging die – allerdings nicht sehr verbreitete – Förderung marktbenachteiligter Jugendlicher deutlich zurück. Die Zahl der geförderten Ausbildungsverhältnisse lernbeeinträchtigter bzw. sozial benachteiligter Jugendlicher sowie Jugendlicher mit Behinderungen sank in den neuen Ländern vor allem aufgrund der verringerten Nachfrage ebenfalls relativ stark, während in den alten Ländern bei diesen Förderarten vergleichsweise geringe Rückgänge zu verzeichnen waren.
(Ursula Beicht)