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DATENREPORT ZUM BERUFSBILDUNGSBERICHT 2013

C2 Einsatz digitaler Medien in der Aus- und Weiterbildung

310 Analog zu den (IT-induzierten) betrieblichen Fertigungs- und Instandhaltungsprozessen mit ihren netzgestützten Wissensmanagementsystemen und den vor- und nachgelagerten Kundendienstleistungen erfolgt die zunehmende Durchdringung der Berufsbildung mit digitalen Medien. Lernen im Arbeitsprozess als eines der konstituierenden Elemente der Berufsbildung erfährt im Rahmen der täglichen Facharbeit durch die Nutzung des „Social Web“ neue Möglichkeiten der Visualisierung, Dokumentation und Reflexion. Getragen durch die vielfältigen Formate von IuK ist es möglich, mithilfe digitaler Medien technische und betriebliche Abläufe zu simulieren und so besonders realitätsnahe Lernsituationen und Aufgaben zu gestalten. Berufsbegleitendes Lernen, das „lebenslange Lernen“ als Voraussetzung zur Ausübung wettbewerbsfähiger Facharbeit, erhält die dafür notwendige Infrastruktur, die sich neben formalen, eher kursorientierten Weiterbildungsangeboten etabliert hat.

Eine Zeitreihenstudie (Goertz 2012)311 zeichnet den Nutzungsgrad digitaler Medien in der beruflichen Bildung nach. Sie zeigt die kontinuierliche Steigerung des Nutzungsgrades digitaler Medien in der beruflichen Aus- und Weiterbildung während der letzten 5 Jahre auf. Grundlage für die Ergebnisse bilden 2 Analysen. Zum einen „E-Learning in deutschen Großunternehmen“ (Auftraggeber BITKOM), eine Befragung von Unternehmen aus der Liste der „Top-500-Unternehmen“ in Deutschland aus dem Jahr 2009, zum anderen „E-Learning in KMU“, eine Befragung von 837 kleinen und mittleren Unternehmen aus dem Jahr 2007. Hinweise auf die weiteren Entwicklungen der Folgejahre ergeben sich aus 2 weiteren Befragungen, die jeweils jährlich durchgeführt werden.

Es handelt sich um das „MMB-Learning Delphi“, in dem E-Learning-Experten über die E-Learning-Branche und ihre weitere Perspektive Auskunft geben. Aus den Angaben von E-Learning-Experten und E-Learning-Anbietern wird so auf das Nutzungsverhalten der Lerner/-innen geschlossen. Die Zeitreihenstudie bietet zusätzlich einen Ausblick auf die Zukunft digitaler Lernmedien für die jeweils nächsten 3 Jahre, speziell zu ihrer Bedeutung für das betriebliche Lernen.

Die immer ausgereifteren Dienste der Informationsund Telekommunikationstechnik bieten vielfältige Möglichkeiten – vom Desktop-Rechner bis zum Smartphone, vom Tablet-PC bis zur Spielekonsole –, die als technische Grundlage für eine breite Palette von Lernformen und Lernarrangements dienen und die auf unterschiedlichen didaktischen Konzepten basieren. Darunter befinden sich eher formelle, an klassischen Lernsituationen orientierte Vermittlungsformen wie Computer Based Training (CBT) oder die netzbasierte Variante Web Based Training (WBT), die sich meist an einzelne Lernende richten, ebenso wie betont informelle und kollaborative Lernarrangements wie Expertenforen oder Social Networks. Ein Vergleich der „Landschaft“ digitaler Medien zwischen 2008 und 2012 zeigt, dass seither viele neue Formate hinzugekommen sind, u. a. Interactive Whiteboards, Serious Games, Webinare oder Microblogging- Dienste Schaubild C2-1.

Mithilfe der Zeitreihenstudie lässt sich allerdings auch festhalten, dass trotz aller optimistischen Prognosen erst ca. 21 % der Betriebe in Handwerk und Mittelstand digitale Medien in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung nutzen. Circa 35 % ziehen die Einführung und Nutzung digitaler Medien momentan in Erwägung. Große Betriebe mit 500 bis 1.000 Beschäftigten setzen zu über 30 % digitale Medien ein. Die überwiegende Zahl der Großunternehmen mit über 1.000 Beschäftigten nutzt digitale Medien gezielt in der Aus- und Weiterbildung (55 %). Im dienstleistenden Sektor erfolgt die Nutzung digitaler Medien in der Aus- und Weiterbildung in signifikant höherem Maße (31 %) als im gewerblich-technischen Bereich (16 %). Im Handel liegt die Nutzung bei 8 %. Insgesamt ist quer zu allen Betriebsgrößen noch sichtbares Steigerungspotenzial für digitale Medien vorhanden.

Die Notwendigkeit zur stärkeren Nutzung digitaler Medien wird übereinstimmend von Ausbildungs- und Personalverantwortlichen aller Betriebsgrößen bestätigt. Auszubildende und ausgebildete Fachkräfte zählen in diesem Kontext zu der wichtigsten Zielgruppe, ebenso Berufsrückkehrer/-innen bzw. Wiedereinsteiger/-innen sowie Sachbearbeiter/-innen. Facharbeiter/-innen, ältere Mitarbeiter/-innen und Führungskräfte werden ebenfalls zu den Nutzergruppen mit Steigerungspotenzial hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien gezählt.

Trotz der vielfältigen Möglichkeiten, berufliches Lehren und Lernen mithilfe digitaler Medien zu ergänzen und zu erweitern, führt nicht das multimediale Angebot allein zu größeren Lernerfolgen. Erst die bewusst organisierte Einbettung in didaktische Konzepte und lernförderliche Rahmenbedingungen (stabile Technologie, betriebliches Organisations- und Bildungsmanagement, Medienkompetenz der Adressaten) machen digitale Medien für die Berufsbildung nutzbar.

Digitale Medien benötigen keine neue Didaktik. Die zeitgemäße Vermittlung von Lehr- und Lernangeboten ist, unabhängig vom Medieneinsatz, immer an die Konzeption handlungsorientierter Fachinhalte gebunden. Lehren und Lernen im beruflichen Kontext ist ein sozialer Prozess. Auch deshalb beinhalten digitale Medien selbst keine eigenständige Lernstrategie, kein eigenständiges Lernkonzept und auch keine Lernmethode. Sehr wohl aber können sie Lernprozesse unterstützen, individualisieren, orts- und zeitunabhängig gestalten und vor allen Dingen völlig neue Kommunikationsräume zum Informations- und Wissensaustausch für alle Beschäftigten eröffnen – eine Bedingung, die im Zuge der zunehmenden Wissensintensität der Arbeitsprozesse zu einem integralen Element von Facharbeit wird. Dieses Potenzial digitaler Medien entfaltet sich nicht automatisch, sondern muss von den für die Berufsausbildung verantwortlichen Akteuren gezielt und strukturiert aktiviert werden, um auf Akzeptanz zu stoßen und die gewünschten sowie notwendigen Wirkungen erzielen zu können.

Der komplexe Aufwand, den ein Erfolg versprechender Einsatz digitaler Medien erfordert, übersteigt i. d. R. die Möglichkeiten des einzelnen Betriebes im KMU-Segment. Bei der Nutzung digitaler Medien in der Aus- und Weiterbildung in Handwerk und Mittelstand ist die tägliche (wechselnde) Arbeits- und Ausbildungsorganisation zu berücksichtigen, die pragmatisch den wechselnden Notwendigkeiten des betrieblichen Alltags unterworfen ist. Der in den meisten Betrieben vorhandene vernetzte Bürocomputer enthält z. B. die Auftragskalkulationen und damit nach traditionellem Verständnis interne Informationen, sodass er z. B. als Lernplatz nicht zur Verfügung steht.

Im Handwerk stellt besonders das informelle Lernen und Arbeiten (im Kundenauftrag) auch heute noch eine Grundform des Lernens im Betrieb dar. Qualifikationen und dabei der kontinuierliche (selbstgesteuerte) Kompetenzerwerb entstehen direkt im Arbeitsprozess, d. h. im Betrieb, auf der Baustelle bzw. während der Ausübung einer Dienstleistung/Servicetätigkeit beim Kunden. Dies geschieht häufig in improvisierten, flexibel organisierten Arbeitsabläufen in „nicht standardisierten“ Arbeitsumgebungen. Diese informelle „Lerninfrastruktur“ unterscheidet sich wesentlich von formalen, strukturierten Lehr- und Lernsituationen, die z. B. in der Industrie, in Berufsschulen oder bei betrieblichen Ausbildungswerkstätten und der überbetrieblichen Berufsausbildung dominieren (Bundesinstitut für Berufsbildung 2012c). Digitale Medien müssen daher kontextbezogen aufbereitet sein, um für das sogenannte arbeitsprozessbezogene informelle Lernen im Prozess der Arbeit die gewünschte Unterstützungsfunktion erbringen zu können.

Die Einführung neuer Lehr- und Lernformen im Betrieb verursacht zusätzliche Veränderungs- und Anpassungsprozesse, welche die gesamten betrieblichen Strukturen berühren. Eine Voraussetzung zur Erzielung der gewünschten Wirkungen ist spezifische Expertise, sind Beratungsleistungen und zusätzliche materielle, personelle und zeitliche Ressourcen. Lediglich additiv bereitgestellte Bildungsangebote, die sich an den unmittelbaren Bedarf des Alltagsgeschäfts richten, greifen angesichts der skizzierten Entwicklungsdynamik der Märkte und der Medienformate, die für Aus- und Weiterbildung sowie die tägliche Facharbeit zur Verfügung stehen, zu kurz. „Ohne organisatorischen Umbau der Betriebsabläufe, ohne eine zusätzliche Qualifikation und Mitbeteiligung der Beschäftigten bei Auswahl und Installation der Systeme und ohne einen klientengerechten Service … entstehen teure Hardware- und Software- Fehlinvestitionen. Die entscheidenden Engpässe für die technischen Innovationen bildeten die sozialen Variablen: Organisation, Qualifikation, Motivation, Kooperation und Vertrauen“ (Lang/Sauer 1997, S. 12).

Die erfolgreiche Implementierung von Innovationen zur Optimierung betrieblicher Prozesse ist davon abhängig, ob es gelingt, die verschiedenen Dimensionen betrieblicher Funktionsräume als ganzheitlichen Ansatz zu berücksichtigen:

1. Technischer Funktionsraum (Ausstattung für Ausbildungszwecke, in der Fertigung bzw. Instandhaltung, Hard- und Softwareverfügbarkeit).

2. Sozialer Funktionsraum (Qualifiziertes Ausbildungspersonal, Medienkompetenz, teamorientierte Strukturen, handlungsorientierte Ausbildungsorganisation, Personalentwicklung).

3. Geregelter Funktionsraum (Standards zur Nutzung digitaler Medien, Organisationsentwicklung, Arbeitsprozess- und Geschäftsprozessorganisation) (Lang/Sauer 1997).

Technologie, Arbeitsorganisation und Personalqualifizierung müssen in ihrer Interdependenz erkannt und im Prozess kontinuierlich aufeinander abgestimmt werden. In Großunternehmen erfolgt (z. T. noch in Pilotversuchen) in vielfältiger Weise die Ausrichtung der Fertigungs- sowie Aus- und Weiterbildungsorganisation auf wissensbasierte Strukturen unter Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen.312 Großunternehmen befinden sich im Vergleich zu KMU in einer deutlich besseren Position, da sie i. d. R. über die Ressourcen verfügen, die einen systematischen Einsatz digitaler Medien unterstützen. In Großunternehmen wird für eine unternehmenswirksame Integration digitaler Medien mit den erforderlichen Veränderungen in der Organisationsentwicklung und dem dazugehörigen Bildungsmanagement eine mehrjährige Projektierung geplant, die oft von externen Bildungsdienstleistern professionell begleitet wird. Integrierte Pilotprojekte testen Art und Umfang digitaler Lehr- und Lernumgebungen. Darauf bauen ausdifferenzierte Konzepte zur Wissensvermittlung, zur Wissensverarbeitung und zum Wissenstransfer in individuelle Tätigkeitssituationen sowie der reflexive Umgang mit neu erworbenem Erfahrungswissen auf.

Obgleich es bisher keine systematische Untersuchungen zum Grad des Einsatzes digitaler Medien in der beruflichen Aus- und Weiterbildung gibt, konnte in der wbmonitor Umfrage 2012 des Bundesinstituts für Berufsbildung und des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung festgestellt werden, dass Weiterbildungsanbieter in Deutschland berufliche Weiterbildungsangebote zu 34,3 % in Form von E-Learning anbieten. 44,5 % der großen Weiterbildungsanbieter nutzen diese neue Lehr-/Lernmethode, während kleine Anbieter auf eine Größenordnung von 22,0 % kommen. Die Konsequenzen des technologischen Wandels auf „traditionelle“ Weiterbildungsangebote zeigen sich ebenfalls deutlich in der zunehmenden Digitalisierung von Fernlehrangeboten, die inzwischen auch als umfangreiches Kursmaterial jederzeit mobil verfügbar sind.

Auf Grundlage des Fernunterrichtsschutzgesetzes begutachtet das BIBB den konzeptionellen Aufbau berufsbildender Fernlehrgänge, deren inhaltliche und didaktische Ausrichtung Gegenstand einer fachlichen Stellungnahme ist (wie sind Wissensvermittlung, Wissensverarbeitung, Wissenstransfer und das individuelle Wissensmanagement konfiguriert, damit der gewünschte Lernerfolg eintritt?). Die mit dem Einsatz digitaler Medien gewonnene Vielfalt an Lehr-/Lernmöglichkeiten Schaubild C2-2 fordert von den Fernlehrinstituten und den an dieser Form der Weiterbildung Interessierten neue Formen der Orientierung und der Betreuung.

Die damit verbundenen Fragestellungen waren u. a. Gegenstand des BIBB-Forschungsprojekts „Bildungsberatung im Fernlernen“ (Fogolin 2011). Mit Blick auf die Bedeutung lebensbegleitenden Lernens und die Vielzahl unterschiedlichster (netzgestützter) Fernlehrangebote zur beruflichen Weiterbildung entwickeln sich der Bedarf und die Nachfrage nach einer professionellen und Orientierung gebenden Bildungsberatung zu einem wichtigen qualitätsstiftenden Merkmal für die an Weiterbildung interessierten Personengruppen.

Das Forschungsprojekt untersuchte daher gezielt, welcher Informations-, Beratungs- und Unterstützungsbedarf speziell aus Sicht der an Fernlehrangeboten Interessierten zu verzeichnen ist und wie dieser Bedarf im Sinne einer adressaten- sowie ergebnisorientierten Weiterbildungsberatung im Segment des Fernlernens erfüllt werden kann. Damit wird die qualitative Weiterentwicklung des Fernlernens unterstützt.

Schaubild C2-1: Vielfalt digitaler Medienformate (Vergleich 2008 und 2012)

Schaubild C2-1

Schaubild C2-2: Medienmix im Fernlernen

Schaubild C2-2

Fußnoten

310 Zum Thema siehe auch das Schwerpunktheft 2/2013 Erwachsenenbildung 2.0 des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE): http://www.diezeitschrift.de/22013/index.asp.

311 Die Expertise ist unter http://datenreport.bibb.de/media2013/expertise_goertz.pdf einzusehen.

312 Wikis als betriebsübergreifende neue Kommunikationsräume dienen in der Industrie in unterschiedlichster Weise als „many-to-many channel“ zur Bereitstellung, der Kommunikation und Dokumentation des fachlichen Wissens der Beschäftigten (z. B. BASFconnect, SkyWiki der Fraport AG, Auszubildenden-Wiki der Daimler AG, Werk Mannheim).

Bibliografischer Hinweis

Internetversion des BIBB-Datenreports zum Berufsbildungsbericht 2013 - Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn (2013).

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