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DATENREPORT ZUM BERUFSBILDUNGSBERICHT 2013

C4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die bereits Anfang 2012 für die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft vom BIBB erstellte Übersicht zum kontinuierlichen Handlungsbedarf, der für die Berufsbildung hinsichtlich der umfassenden Nutzung digitaler Medien besteht, gilt unverändert (Bundesinstitut für Berufsbildung 2012c, S. 27–31).325 Sie wird nachfolgend noch einmal dokumentiert:

  1. Facharbeit durchlebt einen immer deutlicheren Wandel hin zur Wissensarbeit. Die Mehrzahl der Beschäftigten der mittleren Qualifikationsebenen ist mit einer zunehmenden Komplexität technischer Systeme und Maschinen konfrontiert. Elektronische, mechanische und IT-Komponenten fordern neben fachlichem Know-how bei Instandhaltungs- und Wartungsintervallen überfachliche Kompetenzen zur Analyse abstrakter Informationen. Gleiches gilt für die (selbstständige) Organisation von Problemlösungsprozessen. Die einzelnen Beschäftigten werden immer weniger in der Lage sein, sämtliches Fachwissen vorhalten zu können. Sie werden sich in Datenbanken das benötigte Wissen immer wieder neu beschaffen müssen, sie werden mit Kollegen/-innen über Problemlösungen per Funk kommunizieren sowie mit mobilen Endgeräten elektronische Diagnoseverfahren und Störfallbehebungen vor Ort durchführen. Informationen und Erkenntnisse im Zuge der Aufgabenlösung werden von den einzelnen Techniker/-innen und Monteuren/-innen in einen gemeinsamen Wissenspool rückgemeldet und stehen für Kollegen/-innen, die vor ähnlichen Problemstellungen stehen, aktuell zur Verfügung. Wissensaustausch und gemeinsame Wissensnutzung in Experten- bzw. Fach-Communitys wird ein Merkmal moderner Facharbeit. Die Dynamik technologischer Entwicklungen und des internationalen Wettbewerbs wird den Anpassungsdruck auf Betriebe weiter aufrechterhalten, ihre Aus- und Weiterbildungsqualität mithilfe digitaler Medien kontinuierlich an diese Entwicklungen anzupassen. Nur so vermögen sie es, ihren Fachkräften die Kompetenzen zu vermitteln, die sie zur Gestaltung wissensintensiver Facharbeit benötigen. Dazu fehlen in starkem Maße integrierte Konzepte, um eine methodisch abgesicherte und effiziente Erweiterung betrieblichen Lernens mithilfe digitaler Medien nachhaltig zu erzielen.
  2. Da Mobile-Learning-Konzepte für Handwerk und Mittelstand kaum verfügbar sind, gleichzeitig diese Infrastruktur aber von den Fachkräften zur fehlerfreien Ausübung von Installations- und Instandhaltungsarbeiten zunehmend benötigt wird, sind thematische Strukturen für modellhafte Lerninhalte in ausgesuchten Gewerken zu identifizieren und zu entwickeln. Neben der (technischen) Herausforderung zur stabilen Synchronisation mobiler Endgeräte mit stationären Wissensmanagementsystemen steht die Didaktik vor der Aufgabe, komplexe Sachverhalte in kurze, aufeinander bezogene Informationseinheiten zu zerlegen, mit deren Hilfe spezifischer Informations- und Lernbedarf gezielt und anwendungsgerecht vermittelt werden kann (Micro Learning). Die Didaktisierung der Lerninhalte und deren Anpassung erfordern Forschungs-, Entwicklungsund Erprobungsaufwand, der ohne öffentliche Unterstützung nicht zu erbringen ist.
  3. Besonders die Mehrzahl der KMU sieht sich nicht in der Lage, für die notwendigen komplexen Lösungen wissensbasierter (IT-induzierter) Lehr- und Lernumgebungen die übergreifenden technologischen, organisatorischen und methodisch- didaktischen Veränderungsprozesse ohne Unterstützung zu bewältigen. Wesentlicher Erfolgsfaktor für die Etablierung einer wettbewerbsfähigen Aus- und Weiterbildungsinfrastruktur in den Betrieben ist eine dezidiert geplante Implementationsstrategie, die die Beschäftigten in den Mittelpunkt stellt, eine holistische Perspektive einnimmt und einen betriebsübergreifenden Anspruch formuliert. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, um sowohl eine optimale Einbettung digitaler Medien in die Aus- und Weiterbildung und in den betrieblichen Alltag der Beschäftigten und nicht zuletzt in die bestehende technische Infrastruktur der Betriebe zu gewährleisten. Der Paradigmenwechsel zum selbstorganisierten Lernen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, den die Unterstützung betrieblichen Lehrens und Lernens durch die Nutzung digitaler Medien mit sich bringt, sollte intensiv im Rahmen von thematisch ausgerichteten Fördermaßnahmen der Bundesregierung untersucht, unterstützt und besonders für KMU Gegenstand beispielhafter Pilotprojekte sein. Die adressatengerechte Konzeption, Erprobung und Verbreitung beispielhaften Bildungsmanagements und umfassender Organisationsentwicklungsprozesse besonders für kleine und mittlere Betriebsgrößen sollte im Mittelpunkt zielgerichteter Forschungs- und Entwicklungsarbeiten stehen.
  4. Schwerpunktmäßig muss besonders die umfassende Medienbildung (Mediennutzung, -gestaltung, -kritik) des Ausbildungspersonals im Fokus gezielter Anstrengungen stehen. Fragen der angemessenen Vermittlung zum Thema Jugendschutz und der (Daten-)Sicherheit stellen entscheidende Faktoren zur Akzeptanz des Einsatzes digitaler Medien in der beruflichen Aus- und Weiterbildung dar. Ohne Ausbildungspersonal mit der notwendigen Medienbildung werden die Betriebe die mit der zunehmenden IT-Durchdringung der Arbeitswelt notwendig werdenden Veränderungsprozesse nicht proaktiv gestalten können. Die wichtige Funktion, die überbetriebliche Berufsbildungsstätten (ÜBS) und Kompetenzzentren im Zusammenhang mit der Ergänzung der betrieblichen Ausbildung wahrnehmen, sollte in diesem Kontext unbedingt berücksichtigt werden, da mit diesen Bildungsstätten eine bundesweite Infrastruktur zur Erprobung entsprechender Aktivitäten existiert. Konzepte, mit deren Hilfe beispielhaft Modelle für die veränderte Rolle des Bildungspersonals als Lernprozessbegleiter entwickelt und erprobt werden, sind hier zu nennen. Flankierende und beispielhafte Projektierungen zum gezielten Ausbau digitaler Lehr-/Lernkulturen und -umgebungen sollten zur Unterstützung dieses Modernisierungsprozesses in der beruflichen Aus- und Weiterbildung beitragen. Damit könnte ein unmittelbarer Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe geleistet und deren Wandel zu „lernenden Unternehmen“ kontinuierlich vorangetrieben werden.
  5. Die eingestellten BLK-Modellversuche zur Modernisierung des Lernortes Berufsschule sowie zur Lehrerfortbildung sollten vor dem Hintergrund der seinerzeit gemachten Erfahrungen wieder aufgenommen werden. Angesichts der im vorliegenden Dokument skizzierten Darstellungen des Wandels von Lehren und Lernen in modernen Arbeitsumgebungen ist festzustellen, dass in Berufsschulen die flexible, mobile und alle Möglichkeiten ausschöpfende Nutzung digitaler Medien aufgrund logistischer, technischer und methodisch-didaktischer Defizite oft problematisch ist. Bestehende mediendidaktische Angebote und Möglichkeiten der Berufsschulen wären unter qualitativen Gesichtspunkten zu bewerten, um daraus gezielt Vorschläge zur Etablierung moderner Kooperationen mit Betrieben abzuleiten sowie modellhaft zu konzipieren. Konzepte für „virtuelle Berufsschulen“, die bereits Gegenstand von Pilotprojekten waren, sollten auf ihr Transferpotenzial hin untersucht, die Anforderungen an Lehrerfortbildung analog überprüft werden. Übergreifendes Ziel der hier zu initiierenden Maßnahmebündel muss sein, Berufsschulen zu einem starken Partner von Lernortkooperationen im Kontext der beschriebenen technologischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zu machen.
  6. Der Beitrag digitaler Medien zur Integration spezifischer Zielgruppen ist angesichts der demografischen Entwicklung und der Debatte um die Teilhabe möglichst aller Personengruppen an persönlicher und beruflicher Entwicklung viel stärker als bisher geschehen zu untersuchen und zu fördern. Inklusion heißt in diesem Falle, die hervorragenden Möglichkeiten digitaler Medien zur individualisierten sowie orts- und zeitunabhängigen Vermittlung relevanter Fachinhalte zu nutzen. Die Möglichkeiten der Visualisierung komplexer und abstrakter Sachverhalte in Verbindung mit einer qualifizierten (tutoriellen) Begleitung dürfte für viele Personengruppen, die bisher nur schwer Zugang zu Ausbildung und qualifizierter Beschäftigung erhalten, neue Optionen für die Wahrnehmung beruflicher Perspektiven eröffnen.
  7. Die systematische Überprüfung, ob sich die Einführung digitaler Medien „lohnt“, ist bisher für die Betriebe vielfach noch Neuland. Hier besteht direkter Forschungsbedarf, um Optimierungsmöglichkeiten und belastbare Konzepte für nachhaltig wirkende Anwendungsszenarien in diesem Segment entwickeln zu können. In diesem Zusammenhang stellt sich weiterhin die Aufgabe, Indikatoren für die Qualitätsmessung sowie zur Entwicklung von Qualitätsstandards zu entwickeln, um für die Betriebe angesichts des sehr heterogenen Anbietermarktes digitaler Medien Orientierungsmöglichkeiten für deren Einsatz anbieten zu können. Aus betrieblicher Sicht stellt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls die Frage, welche Lernergebnisse sich durch den Einsatz digitaler Medien schließlich erzielen und nachweisen lassen. Der Kompetenzerwerb mithilfe digitaler Medien erfolgt über informelles Lernen und ist häufig nur schwer abzubilden. Entwicklung, Messung und Dokumentation von formell wie informell erworbenen Kompetenzen spielen aber eine zentrale Rolle im Prozess der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Auch hier besteht konkreter Forschungsbedarf, um den Kompetenzerwerb mittels digital unterstützter Lehr- und Lernprozesse feststellen zu können.
  8. Die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen mit digitalen Medien in der beruflichen Aus- und Weiterbildung fordert von allen Beteiligten eine grundsätzlich neue Form der Informationsbeschaffung, der Informationsverarbeitung und -verteilung. Viele Barrieren verhindern allerdings einen effektiven und gewinnbringenden Einsatz digitaler Medien in der Berufsbildung, da sie noch zu undifferenziert in ihrer Abgrenzung zu anderen (analogen) Medien untersucht und konnotiert werden. Zu häufig wird der sogenannte „computergestützte Unterricht“ als Ergänzung im Kontext der Modelle analoger betrieblicher (und berufsschulischer) Wirklichkeiten gesehen, ohne die Mächtigkeit der Anwendungsmöglichkeiten digitaler Medien mit ihren Verknüpfungsmöglichkeiten zu thematisieren. Zwischen Geistes- und Technikwissenschaften anzusiedelnder interdisziplinärer Forschungsbedarf besteht in der Ermittlung der Einsatzräume und -bedingungen digitaler Medien, die sich in kurzen Innovationszyklen beständig weiterentwickeln und immer neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung und des Wissenstransfers in der beruflichen Aus- und Weiterbildung eröffnen.
  9. Der unter Punkt 8 genannte Forschungsbedarf sollte durch eine systematische Begleitforschung der vielfältigen Initiativen auf nationaler und EU-Ebene flankiert werden, um den Beitrag und den Ertrag digitaler Medien in der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu quantifizieren und zu qualifizieren. Ein Panel sollte initiiert werden und solch eine umfassende Untersuchung fundieren, um die durch technologische Entwicklungen entstehenden Veränderungsprozesse des Lehrens und Lernens in der beruflichen Ausund Weiterbildung und die damit verbundenen Konsequenzen für die Organisation der betrieblichen Facharbeit in Form eines regelmäßigen Berichtssystems zu dokumentieren. Eine dringend benötigte Planungsgrundlage zur pragmatischen Gestaltung von Formen und Formaten der Informations- und Wissensgenerierung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung analog den sich ständig weiterentwickelnden digitalen Medien könnte damit der Berufsbildung auf einer validen Basis zur Verfügung gestellt werden.

     

     (Michael Härtel)

Fußnoten

325 Die Übersicht basiert auf dem Anfang 2012 erstellten Sachstandsbericht des BIBB für die Projektgruppe „Bildung und Forschung“ der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages zum Schwerpunktthema „Berufliche Aus- und Weiterbildung“.

Bibliografischer Hinweis

Internetversion des BIBB-Datenreports zum Berufsbildungsbericht 2013 - Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn (2013).

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