A5.2.2 Auszubildende mit betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverträgen
Das duale System der Berufsausbildung ist durch zwei Lernorte und zwei Financiers gekennzeichnet: Weit überwiegend findet die Ausbildung in den nach Berufsbildungsgesetz bzw. Handwerksordnung anerkannten Berufen (BBiG / HwO-Berufe) an den beiden Lernorten Betrieb sowie Berufsschule statt. Die Kosten der betrieblichen Ausbildung werden dabei in der Regel von den Unternehmen bzw. Verwaltungen selbst getragen, und der Staat übernimmt allein die Kosten der berufsschulischen Ausbildung. Das betriebliche Ausbildungsangebot konnte jedoch wegen seiner starken Marktabhängigkeit eine Versorgung aller Ausbildungsstellenbewerber / -innen in der Vergangenheit oft bei Weitem nicht sicherstellen (vgl. Ulrich / Eberhard 2008). Daher wird seit vielen Jahren eine nicht unerhebliche Anzahl von zusätzlichen Ausbildungsplätzen bereitgestellt, die überwiegend aus öffentlichen Mitteln bzw. Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziert werden. Zudem gibt es Jugendliche, die einer besonderen pädagogischen Betreuung bedürfen und deshalb außerhalb realer Arbeitsabläufe ausgebildet werden müssen. In all diesen Fällen schließen die Auszubildenden ihren Ausbildungsvertrag nicht mit einem Betrieb, sondern mit einem außerbetrieblichen Träger der Ausbildung. Wie hoch der Anteil der außerbetrieblichen Ausbildung ist, geht allerdings bislang aus der Berufsbildungsstatistik zum Stichtag 31. Dezember nicht hervor.109 Daher differenziert das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) seit dem Jahr 1999 unter Hinzuziehung anderer Datenquellen die Gesamtzahl der Auszubildenden nach betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen .
E Differenzierung nach betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen
Das BIBB schätzt jährlich zum Stand 31. Dezember den Anteil der betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse differenziert nach Bundesländern. Dabei wird zunächst die Zahl der Auszubildenden ermittelt, die sich an diesem Stichtag insgesamt in einer außerbetrieblichen, d. h. überwiegend öffentlich finanzierten Berufsausbildung befanden. Der Umfang der betrieblichen Ausbildung wird dann auf indirektem Weg berechnet, indem von der Gesamtzahl der Auszubildenden, die das Statistische Bundesamt ausweist, die Anzahl der außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse abgezogen wird. Das Ergebnis ist deshalb als Schätzung aufzufassen, weil die Zusammenführung unterschiedlicher Datenquellen in der Regel mit Ungenauigkeiten bzw. Unsicherheiten verbunden ist.
Außerbetriebliche Ausbildung wird nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II und III), im Rahmen der Bund-Länder- Programme Ost, durch ergänzende Programme der neuen Länder sowie durch Förderprogramme einiger alter Länder finanziert. Für die Berechnungen wird der jeweilige Teilnehmerbestand Ende Dezember eines Jahres herangezogen. Die Angaben werden von der Bundesagentur für Arbeit und von den Ländern zur Verfügung gestellt. Dabei werden ausschließlich Ausbildungsverhältnisse in BBiG / HwO-Berufen einbezogen, die mit einem bei der zuständigen Stelle (z. B. Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer) eingetragenen Ausbildungsvertrag verbunden sind. Denn nur diese Ausbildungsverhältnisse werden in der Berufsbildungsstatistik gezählt. Geförderte schulische Ausbildungsgänge bleiben dagegen unberücksichtigt, da die Teilnehmer / -innen dort keinen entsprechenden Ausbildungsvertrag geschlossen und somit nicht den Status „Auszubildender“ haben.
Zu beachten ist, dass auch in der außerbetrieblichen Berufsausbildung teilweise lange Ausbildungsphasen in Betrieben stattfinden. Maßgeblich für die hier vorgenom mene Zuordnung ist jedoch allein die Finanzierungsform – und nicht der Lernort.
Anteile betrieblicher und außer betrieblicher Ausbildung 2008
Die öffentliche Finanzierung von Ausbildungsplätzen erfolgt für unterschiedliche Zielgruppen: So fördert die BA nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB III) die außerbetriebliche Ausbildung von lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen, die sozialpädagogischer Begleitung bedürfen und auch mit ausbildungsbegleitenden Hilfen nicht in eine betriebliche Berufsausbildung vermittelt werden können (Berufsausbildung Benachteiligter – BaE, siehe § 242 SGB III). Darüber hinaus werden von der BA Ausbildungsmaßnahmen zur beruflichen Eingliederung von Jugendlichen mit Behinderungen finanziert (Ausbildung Reha – RehabMA, siehe § 102 SGB III). Die Bund-Länder-Programme Ost, die ergänzenden Programme der neuen Länder sowie die Förderprogramme in einigen alten Bundesländern richten sich in der Regel an sogenannte „marktbenachteiligte“ Jugendliche, die allein aufgrund eines in der Region nicht ausreichenden betrieblichen Ausbildungsstellenangebots unversorgt blieben vgl. Kapitel D.
Ende 2008 befanden sich nach den Berechnungen des BIBB bundesweit 166.891 Auszubildende in einer dieser öffentlich geförderten außerbetrieblichen Ausbildungsformen. Dies waren 10,3 % der insgesamt 1.613.343 Auszubildenden, die es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zum Stichtag 31. Dezember 2008 gab Tabelle A5.2.2-1. Der Anteil der Auszubildenden in betrieblicher Ausbildung betrug dementsprechend 89,7 % (1.446.452). In den alten Ländern lag der Anteil der außerbetrieblichen Auszubildenden bei 6,5 % (84.233) aller Auszubildenden (1.298.140). In den neuen Ländern einschließlich Berlin erreichte der Anteil der außerbetrieblichen Auszubildenden sogar 26,2 % (82.658) aller Auszubildenden (315.203).
Die Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse verteilte sich 2008 wie folgt auf die verschiedenen Finanzierungsarten: In den alten Ländern nahm die Ausbildung lernbeeinträchtigter bzw. sozial benachteiligter Jugendlicher mit 53,8 % (45.313) einen deutlich höheren Anteil ein als die Ausbildung von behinderten Jugendlichen mit 37,4 % (31.538). Auf die Förderung marktbenachteiligter Jugendlicher im Rahmen von Länderprogrammen entfielen lediglich 8,8 % (7.382) der außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse. Allerdings gab es auch nur in drei der alten Länder (Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen) solche Förderprogramme.
In den neuen Ländern hatte die Ausbildung lernbeeinträchtigter bzw. sozial benachteiligter Jugendlicher mit 45,7 % (37.734) ebenfalls die größte quantitative Bedeutung, gefolgt von der durch das Bund-Länder-Programm Ost sowie die ergänzenden Länderprogramme finanzierten Ausbildung marktbenachteiligter Jugendlicher mit insgesamt 37,9 % (31.318). Die geförderte berufliche Eingliederung Jugendlicher mit Behinderungen nahm nur einen Anteil von 16,5 % (13.606) der außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse ein.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die außerbetriebliche Ausbildung in den neuen Ländern in erheblich höherem Maße als in den alten Ländern die Funktion hatte, Benachteiligungen auszugleichen, die allein aufgrund eines in der Region nicht ausreichenden betrieblichen Ausbildungsstellenangebots entstanden. In den alten Ländern stand dagegen die Förderung von lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen sowie Jugendlichen mit Behinderungen im Vordergrund. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in der Förderpraxis die Grenze zwischen „Marktbenachteiligung“ und originärer Benachteiligung fließend ist, d. h., bei schwieriger Ausbildungsmarktlage wird insbesondere der Kreis der lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen weiter gezogen (vgl. Ulrich 2003). Dies ist in den neuen Ländern möglicherweise stärker als in den alten Ländern der Fall, worauf der erheblich höhere Anteil der Benachteiligtenförderung an der Gesamtzahl aller (betrieblichen und außerbetrieblichen) Ausbildungsverhältnisse hindeutet: Dieser lag 2008 in den neuen Ländern bei 12,0 % gegenüber nur 3,5 % in den alten Ländern.110
Zwischen den einzelnen Bundesländern gab es deutliche Unterschiede in der Verbreitung der außerbetrieblichen Ausbildung. In den alten Ländern wiesen Hamburg mit 8,7 % und Hessen mit 8,6 % die höchsten prozentualen Anteile an außerbetrieblichen Aus bildungsverhältnissen auf. Bayern kam dagegen mit 4,5 % auf den geringsten relativen Anteil. Unter den neuen Ländern (einschließlich Berlin) hatte die außerbetriebliche Ausbildung in Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit Anteilen von 28,2 % bzw. 28,1 % die größte quantitative Bedeutung. In Thüringen war dagegen mit 23,1 % der niedrigste prozentuale Anteil zu verzeichnen.
Tabelle A5.2.2-1: Zahl der Auszubildenden mit betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverträgen 2008
Entwicklung der betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildung
In den alten Ländern erhöhte sich die Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnisse von 68.702 im Jahr 2007 auf 84.233 im Jahr 2008 und damit um 22,6 %. Der Anstieg bei der betrieblichen Ausbildung betrug lediglich 1,5 % (von 1.195.634 auf 1.213.907).111 In den neuen Ländern sank dagegen die Auszubildendenzahl in beiden Bereichen, und zwar in der betrieblichen Ausbildung mit minus 4,5 % (von 243.407 auf 232.545) und in der außerbetrieblichen Ausbildung mit minus 4,4 % (von 86.424 auf 82.658) prozentual gesehen nahezu gleich stark.112
Die Entwicklung der außerbetrieblichen Ausbildung verlief von 2007 zu 2008 im Hinblick auf die einzelnen Förderarten sehr unterschiedlich: So nahm in den alten Ländern die Zahl der Ausbildungsverhältnisse, die auf die Förderung der Ausbildung marktbenachteiligter Jugendlicher im Rahmen der Länderprogramme entfiel, mit einem Plus von 16,4 % (von 6.343 auf 7.382) deutlich zu. Auch die geförderte Ausbildung lernbeeinträchtigter bzw. sozial benachteiligter Jugendlicher gewann mit einer Erhöhung der Auszubildendenzahlen um 12,3 % (von 40.366 auf 45.313) an Bedeutung. Eine sehr starke Zunahme gab es bei der Förderung der Berufsausbildung von Jugendlichen mit Behinderungen, hier stieg die Zahl der Auszubildenden sogar um 43,4 % an (von 21.993 auf 31.538).
In den neuen Ländern ist dagegen 2008 bei den meisten Förderarten ein Rückgang der Auszubildenden gegenüber 2007 zu verzeichnen. So verringerte sich die Zahl der nach den Bund-Länder-Programmen Ost und den ergänzenden Länderprogrammen geförderten Ausbildungsverhältnisse für marktbenachteiligte Jugendliche um insgesamt 13,1 % (von 36.020 auf 31.318). Auch die Zahl der geförderten Ausbildungsverhältnisse von lernbeeinträchtigten bzw. sozial benachteiligten Jugendlichen nahm um 11,2 % ab (von 42.470 auf 37.734). Eine ganz erhebliche Steigerung um 71,5 % (von 7.934 auf 13.606) war demgegenüber bei den Ausbildungsmaßnahmen für Jugendliche mit Behinderungen zu verzeichnen.
Zusammenfassend ist festzustellen: Aufgrund der in den neuen Ländern seit einigen Jahren stark zurückgehenden Schulabgängerzahlen (vgl. Ulmer / Ulrich 2008) wurde inzwischen die Förderung von Ausbildungsplätzen für marktbenachteiligte Jugendliche reduziert. Dies machte sich 2008 in gegenüber dem Vorjahr gesunkenen Bestandszahlen bei dieser Förderart bemerkbar. Aber auch die in den neuen Ländern rückläufige Förderung der Ausbildung lernbeeinträchtigter bzw. sozial benachteiligter Jugendlicher dürfte auf eine insgesamt verringerte Nachfrage zurückzuführen sein. Anders stellt sich die Situation in den alten Ländern dar: Hier hatte eine anhaltend hohe Ausbildungsplatznachfrage, die durch das betriebliche Angebot bei Weitem nicht gedeckt werden konnte, eine Ausweitung der Förderung außerbetrieblicher Ausbildung zur Folge.
(Ursula Beicht, Joachim Gerd Ulrich)