A2 Vorausschätzung des Ausbildungsplatzangebots und der Ausbildungsplatznachfrage für 2010
Auf dem Ausbildungsmarkt treffen vier grundlegende gesellschaftliche Dynamiken aufeinander: Bevölkerungsentwicklung, Schulabgängerstruktur, Arbeitsmarkt und Wirtschaftskonjunktur (Kau / Lösch 2006; Lösch / Kau 2005). Die Vorhersage des Ausbildungsplatzangebotes und der Ausbildungsplatznachfrage ist dementsprechend eine komplexe Aufgabe, bei der die demografischen Veränderungen, das schulische und berufliche Bildungsstreben der nachwachsenden Generationen, der Fachkräftebedarf, die Wirtschaftslage sowie die zugehörigen Interdependenzen und Wechselwirkungen zu berücksichtigen sind.
Das für diesen Komplexitätsgrad besonders geeignete Instrument zur Analyse der Ausbildungsmarktentwicklung ist ein auf Zeitreihen gestütztes ökonometrisches Prognose- und Simulationsmodell. Dabei handelt es sich um ein System aus definitorischen Beziehungen und stochastischen Gleichungen. Jede Gleichung erklärt den zeitlichen Verlauf einer abhängigen Variablen als Funktion eines theoriegestützten und statistisch operationalisierten Bündels von Einflussfaktoren. Der Systemcharakter des Modells entsteht, wenn die zu erklärenden; abhängigen Variablen der Gleichungen ihrerseits wiederum direkt oder indirekt als Erklärungsgrößen in andere Gleichungen eingehen und umgekehrt. Somit erhält man einen rückgekoppelten Verbund aus wechselseitig verzahnten und deshalb gemeinsam abhängig genannten Variablen.
PROSIMA (Prognose- und Simulationsmodell der betrieblichen Ausbildung)
Zur Abschätzung der künftigen Verhältnisse hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) den Aufbau eines ökonometrischen Prognose- und Simulationsmodells für den Ausbildungsmarkt (PROSIMA) veranlasst. Das in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für quantitative Analysen der Universität Bochum entwickelte Gesamtmodell ist ein aus einem Zentralmodell und 3 Hilfsmodellen bestehendes Gleichungssystem mit (derzeit) 213 Verhaltens- und Definitionsgleichungen. Auf das im Mittelpunkt des Interesses stehende Zentralmodell zur betrieblichen Berufsausbildung entfallen 61 Gleichungen. Die 3 Hilfsmodelle „Schüler / Schulabgänger / Studierende“, „Arbeitsmarkt“ und „Gesamtwirtschaft“ bestehen aus jeweils 24, 43 und 85 Gleichungen Schaubild A2-1. Die Hilfsmodelle dienen dem Zweck, die Prognose- und Simulationsfähigkeit des Zentralmodells sicherzustellen.
Ein Grundsatz in Prognosemodellen lautet, dass in analytisch leistungsfähigen Modellen alle prozessbestimmenden Einflussfaktoren endogen sein sollten. „Endogen“ bedeutet, dass diese Faktoren selbst wiederum im Modell über Verhaltens- oder Definitionsgleichungen erklärt werden. Hierzu zählt z. B. das reale Bruttoinlandsprodukt, das somit von PROSIMA selbst geschätzt werden muss. Exogen sollten primär nur solche Größen sein, die in der Entscheidungsgewalt politischer Institutionen liegen, auslandsbestimmt sind oder für die Prognosen Dritter vorliegen. Diese exogenen Variablen müssen folglich nicht in PROSIMA gesondert erzeugt werden, sondern werden von außen in das Modell eingeführt. Zu ihnen zählen z. B. gesamtwirtschaftliche Größen wie der Zentralbankzinssatz, der Euro-Dollar-Wechselkurs, der Volumenindex des Auftragseingangs aus dem Ausland und der Mineralölpreis, zudem die Prognosen des Statistischen Bundesamtes zum Umfang der ausbildungsrelevanten Altersjahrgänge.
E PROSIMA (Ökonometrisches Prognose- und Simulationsmodell des Ausbildungssystems)
Endogene Variable
Modellvariable, die im Modell mithilfe einer Verhaltensoder Definitionsgleichung erklärt wird.
Exogene Variable
Modellvariable, die im Sinne der Modelllogik außerhalb der Modellwelt entsteht, von außen zugeführt und somit im Modell nicht über eine Definitions- oder Verhaltensgleichung erklärt werden muss.
Definitionsgleichung
Modellgleichung, in der eine Variable durch einen vollständig bekannten Ausdruck auf der rechten Gleichungsseite festgelegt wird. Definitionsgleichungen enthalten keine unbekannten Parameter und keine Störvariablen. Ein Beispiel für eine Definitionsgleichung in PROSIMA bildet das Ausbildungsplatzangebot, das als Summe der zum 30. September neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge und der zum 30. September unbesetzten Plätze errechnet wird.
Stochastik
Wahrscheinlichkeitsrechnung
Verhaltensgleichung
Modellgleichung, in der eine Variable als Funktion anderer, beobachtbarer Variablen dargestellt wird. Da der unterstellte Zusammenhang in der Regel nicht perfekt ist, wird eine unbeobachtbare Restgröße (Störvariable) aufgenommen. Zudem wird der funktionale Zusammenhang mithilfe von unbekannten Parametern formuliert, für die Schätzwerte ermittelt werden müssen. Beispiele für Verhaltensgleichungen in PROSIMA sind die Gleichungen zur Erklärung der Anzahl der zum 30. September neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge und der zum 30. September unbesetzten Ausbildungsplätze.
Zeitreihen
Messwerte einer Variablen zu mehreren Zeitpunkten (z. B. Jahre)
Schaubild A2-1 Übersicht über den Aufbau des ökonometrischen Prognose- und Simulationsmodells des Ausbildungssystems (PROSIMA)
Berücksichtigung der Angebots- und Nachfragepotenziale
Zwar sind die Messungen von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage zum 30. September als abschließende Bilanzierungen eines Berichtsjahres angebracht und zweckmäßig, doch vermögen sie die Dynamik der Ausbildungsmarktentwicklung im Laufe des jeweiligen Jahres nicht ausreichend valide widerzuspiegeln (Ulrich 2005). Denn die gesetzlich vorgegebenen Definitionen von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage sind ausschließlich mit Messungen nach dem Marktausgleich verbunden: Wiedergegeben werden sollen zum Stichtag 30. September – wenn das neue Ausbildungsjahr bereits vor einigen Wochen begonnen hat –, wie viele Betriebe und Jugendliche ihren Ausbildungswunsch bis dato erfolgreich realisieren konnten, darüber hinaus die statistischen Restgrößen der zu diesem Zeitpunkt noch bei der Arbeitsverwaltung gemeldeten unbesetzten Ausbildungsplätze und der noch Ausbildungsplätze suchenden Ausbildungsstellenbewerber / -innen. Erfolglose Marktteilnehmer / -innen der vergangenen Monate (Betriebe, Jugendliche), die ihren Ausbildungswunsch bereits vor dem 30. September aufgegeben oder auf kommende Ausbildungsjahre aufgeschoben hatten, bleiben unberücksichtigt34; ebenso jene Marktteilnehmer / -innen (Betriebe, Jugendliche), die ihr Ausbildungsinteresse der Arbeitsverwaltung nicht bekannt gegeben hatten.35
Da die erfolglosen Ausbildungsplatznachfrager / -innen und die erfolglosen Ausbildungsplatzangebote zum Stichtag 30. 09. nur (noch) zu einem Teil erfasst werden, werden die beiden Variablen „Angebot“ und „Nachfrage“ statistisch unverhältnismäßig stark von der gemeinsamen Größe der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge dominiert. Dies führte in den vergangenen Jahren z. B. dazu, dass die statistisch erfasste Ausbildungsplatznachfrage nach traditioneller Definition stets ähnlich groß ausfiel wie das Ausbildungsplatzangebot und dass demografische Effekte auf die Nachfrage statistisch nicht mehr sichtbar wurden – was wiederum mit methodischen Problemen für die Vorausschätzung der künftigen Marktentwicklung verbunden ist (Behringer / Ulrich 1997).36
Ein Versuch, von dieser Tautologie wegzukommen, besteht darin, die Betrachtung nach dem Marktausgleich (Ex-post-Größen) durch eine Simulation der Verhältnisse vor dem Marktausgleich (Ex-ante- Größen) zu ergänzen, das heißt, die Analyse zum Ende des Ausbildungsjahres mit einer Betrachtung der Ausbildungsmotivationen und Marktkräfte zum Jahresbeginn zu verbinden (vgl. dazu auch Ulrich 2006). Zur sprachlichen Unterscheidung werden diese Ex-ante-Größen mit dem Begriff „Potenziale“ gekennzeichnet.
Das Nachfragepotenzial ist dabei mit der latenten Gesamtzahl von Jugendlichen gleichzusetzen, die sich im Jahresablauf für eine Berufsausbildung interessiert zeigen, unabhängig davon, ob sie Schulabgänger / -innen des laufenden Jahres oder früherer Jahre sind, ob sie bei der Arbeitsverwaltung als Bewerber / -in registriert werden, wie intensiv sie suchen und wie erfolgreich sie letztlich bei ihrer Suche sind. Das Angebotspotenzial entspricht der latenten Gesamtzahl der Lehrstellen, welche die Betriebe, Praxen und Verwaltungen zu Beginn der Planungsperiode neu einrichten oder wieder besetzen wollen, unabhängig davon, ob sie die Arbeitsverwaltung hierüber informieren, wie intensiv sie suchen und wie erfolgreich sie bei der Akquisition von Auszubildenden sind.
Angebots- und Nachfragepotenzial werden somit statistisch weitgehend unabhängig voneinander definiert. Beide Größen können deshalb zum einen beträchtlich voneinander abweichen und zum anderen je nach den aktuellen Marktverhältnissen bisweilen weit über das offiziell erfasste Angebot und über die offiziell erfasste Nachfrage hinausgehen. Sie schließen die möglichen Reserven mit ein, die unter veränderten Rahmen- und Marktbedingungen günstigstenfalls aktiviert werden könnten, und sind deshalb auch für eine Abschätzung des künftigen Ausbildungsplatzangebots und der künftigen Ausbildungsplatznachfrage zum 30. September von besonderem statistischem Wert.
Zumindest für die Nachfrageseite zugänglich ist jedoch das Datenmaterial der Arbeitsverwaltung, welches über die Variablen der in eine Berufsausbildungsstelle einmündenden und der „unversorgten Bewerber / -innen“ hinaus viele marktrelevante Informationen zu ausbildungsinteressierten Jugendlichen enthält, über die eine Schätzung des Nachfragepotenzials möglich ist. Für die Angebotsseite ist die Datenlage ungleich schwieriger, weil es statistisch keine Ex-ante-Information über Ausbildungspläne von Betrieben gibt. Zum versteckten, statistisch nicht bekannt gewordenen Angebot gehören alle Ausbildungsplätze, die besetzbar sind, der Arbeitsverwaltung jedoch nicht gemeldet werden. Je ungünstiger die Marktlage für die ausbildungsinteressierten Jugendlichen aber ist, desto größer wird dieser Teil sein, weil nun viele Betriebe ihre Ausbildungsplätze ohne Mithilfe der Arbeitsverwaltung zu besetzen versuchen.
Zu Schätzung von quantitativ nicht eindeutig fassbaren Größen wurde im Kontext der Zeitreihenanalyse das Instrumentarium des Zustandsraummodells entwickelt (Lösch / Kau / Walden 2008). Zustandsraummodelle erlauben die Modellierung und Schätzung latenter Variablen.37 In Schaubild A2-2 wird nun wiedergegeben, wie sich das von PROSIMA modellierte Angebots- und das Nachfragepotenzial von 1975 bis 2009 entwickelte.38 In den Kurvenverläufen der jüngeren Jahre spiegeln sich zum einen der starke Einbruch des Nachfragepotenzials wider, der sich auch 2010 fortsetzen wird, und zum anderen der durch die Wirtschaftskrise bedingte Einbruch des Angebotspotenzials, der aber 2010 aller Voraussicht nach wieder gestoppt werden wird (siehe dazu auch unten).
Mit der Einbindung von Angebots- und Nachfragepotenzialen ist es dem Modell gelungen, die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt umfassender, also auch vor dem Marktausgleich, abzubilden und damit auch die Prognose der letztlich interessierenden Größen (Angebot und Nachfrage nach dem Marktausgleich) weiter zu verbessern (Lösch / Kau / Walden 2008). Die Leistungskraft von PROSIMA hat sich in den vergangenen Jahren recht gut bewährt.
39 Gleichwohl basieren auch bei diesem Modell die Vorausschätzungen auf einer Vielzahl von zum Teil diffizilen Annahmen, die selbst bei einer nur einjährigen Vorausschätzung unsicher sind (Kau / Lösch 2006). Dies ist bei der Interpretation der folgenden Schätzergebnisse für 2010 zu berücksichtigen.
E Ausbildungsplatzangebot und Ausbildungsplatznachfrage
Ausbildungsplatznachfrage
Die Ausbildungsplatznachfrage wird in Anlehnung an § 86 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) als Summe der Zahl der zwischen dem 1. Oktober und 30. September neu abgeschlossenen (und Ende September noch bestehenden) Ausbildungsverträge und der Zahl der Ende September bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Vermittlung gemeldeten, aber am 30. September noch suchenden Ausbildungsstellenbewerber / -innen definiert (vgl. z. B. Lakies / Nehls 2007, S. 322 f.).
Unterschiedlich gehandhabt wurde bislang, wer zu den am 30. September noch Ausbildungsplätze suchenden Personen zu rechnen ist. Im Rahmen der traditionellen Nachfragemessung wurden nur „unversorgte Ausbildungsstellenbewerber / -innen“ hinzugerechnet. Dagegen werden im Rahmen der neuen, erweiterten Nachfragemessung auch jene Ausbildungsstellenbewerber / -innen zu den Ausbildungsplatznachfragern gezählt, die sich aus alternativen Verbleibsformen (z. B. Maßnahmen, Arbeitsverhältnissen, Schulbesuchen) weiter um einen Ausbildungsplatz bemühen und gegenüber der Bundesagentur für Arbeit (BA) ihren Vermittlungswunsch aufrechterhalten („Bewerber / -innen mit Alternative zum 30. 09.“).
Ausbildungsplatzangebot
Das Ausbildungsplatzangebot wird in Anlehnung an § 86 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) als Summe der Zahl der zwischen dem 1. Oktober und 30. September neu abgeschlossenen (und Ende September noch bestehenden) Ausbildungsverträge und der bei der BA zur Vermittlung angebotenen, aber am 30. September noch unbesetzten Ausbildungsstellen definiert. Im Angebot sind sowohl besetzte und unbesetzte Plätze für eine betriebliche als auch besetzte Plätze für eine außerbetriebliche Ausbildung enthalten.
Gemeldete Berufsausbildungsstellen
Als Berufsausbildungsstellen werden jene Ausbildungsplätze bezeichnet, die Betriebe, Praxen, Verwaltungen und außerbetriebliche Bildungsträger der BA melden, um diese Stellen mithilfe der BA besetzen zu können.
Unbesetzte Berufsausbildungsstellen
Als „unbesetzte Berufsausbildungsstellen“ gelten die bei der BA gemeldeten betrieblichen Ausbildungsstellen, die bis zum Ende des Berichtsjahres am 30. September nicht besetzt und nicht storniert wurden Y vgl. in Kapitel A1.2.
Bewerber / -innen für Berufsausbildungsstellen
Als „Bewerber / -innen für Berufsausbildungsstellen zählen diejenigen gemeldeten Personen, die im Berichtsjahr individuelle Vermittlung in eine betriebliche oder außerbetriebliche Berufsausbildungsstelle in anerkannten Ausbildungsberufen nach dem BBiG wünschen und deren Eignung dafür geklärt ist bzw. deren Voraussetzungen dafür gegeben sind“.
Unversorgte Bewerber / -innen
Zum „Bestand an unversorgten Bewerbern“ zählen gemeldete Bewerber / -innen für Berufsausbildungsstellen, „für die weder die Einmündung in eine Berufsausbildung noch ein weiterer Schulbesuch, eine Teilnahme an einer Fördermaßnahme oder eine andere Alternative zum 30.09. bekannt ist und für die Vermittlungsbemühungen laufen“ Y vgl. in Kapitel A1.2.
Bewerber / -innen mit Alternative zum 30. 09.
Wird die Ausbildungssuche von bzw. für gemeldete Ausbildungsstellenbewerber / -innen fortgesetzt, obwohl diese über eine alternative Möglichkeit zur Ausbildung verfügen, werden diese Bewerber / -innen „der Gruppe Bewerber / -innen mit Alternative zum 30. 09. zugeordnet. Zu den Alternativen gehören z. B. Schulbildung, Berufsgrundschuljahr, Berufsvorbereitungsjahr, berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, Einstiegsqualifizierung Jugendlicher oder Wehr- / Zivildienst.“
Unterscheidung zwischen Ausbildungsplatzangebot und gemeldeten Berufsausbildungsstellen
Wichtig zum Verständnis der hier skizzierten Zusammenhänge ist die Unterscheidung zwischen „Ausbildungsplatzangeboten“ und „gemeldeten Berufsausbildungsstellen“. Beide Größen stellen keine Synonyme dar, sondern bezeichnen zwei unterschiedliche Größen, die sich nur teilweise überlappen (siehe Einzeldefinitionen). Gegenstand der Vorausschätzung ist das Ausbildungsplatzangebot.
Unterscheidung zwischen Ausbildungsplatznachfragern und Ausbildungsstellenbewerbern
Ebenso wichtig ist die Unterscheidung zwischen „Ausbildungsplatznachfragern“ und „Bewerbern für Berufsausbildungsstellen“. Auch diese beiden Größen stellen keine Synonyme dar, sondern bezeichnen zwei unterschiedliche Personenkreise, die sich nur teilweise überlappen (siehe Einzeldefinitionen). Gegenstand der Vorausschätzung ist die Ausbildungsplatznachfrage.
E Angebots- und Nachfragepotenzial
Angebotspotenzial
Das Angebotspotenzial entspricht der latenten Gesamtzahl der Lehrstellen, welche die Betriebe, Praxen und Verwaltungen zu Beginn der Planungsperiode neu einrichten oder wieder besetzen wollen. Der Intensitätsgrad der Bemühungen, die Betriebe zur Besetzung dieser Ausbildungsplätze aufwenden, bleibt dabei unberücksichtigt. Deshalb lässt sich aus der Differenz zwischen dem Angebotspotenzial und dem letztlich ermittelten Ausbildungsplatzangebot nicht auf die Höhe des zum 30. September latenten erfolglosen Angebots schließen.
Nachfragepotenzial
Das Nachfragepotenzial ist mit der latenten Gesamtzahl von Jugendlichen gleichzusetzen, die sich im Jahresablauf für eine Berufsausbildung interessiert zeigen, unabhängig davon, ob sie Schulabgänger / -innen des laufenden Jahres oder früherer Jahre sind. Der Intensitätsgrad der Bemühungen, welche die Jugendlichen bei der Ausbildungsplatzsuche aufwenden, bleibt dabei unberücksichtigt, ebenso ihre Eignung. Deshalb lässt sich aus der Differenz zwischen dem Nachfragepotenzial und der letztlich ermittelten Ausbildungsplatznachfrage nicht auf die Höhe der zum 30. September latenten unbefriedigten Nachfrage schließen.
Potenzialrelationen
Potenzialrelationen beschreiben die rechnerischen Verhältnisse zwischen Angebots- und Nachfragepotenzial. Setzt man beim Quotienten beider Größen das Angebotspotenzial in den Zähler und das Nachfragepotenzial in den Nenner, entsteht eine Größe analog zur Angebots-Nachfrage- Relation (ANR), welche zur Beschreibung der Entwicklung der Marktmöglichkeiten aus der Perspektive der Jugendlichen eingesetzt werden kann. Während die ANR aber die Situation nach dem Marktausgleich beschreibt, reflektiert die Potenzialrelation die latenten Marktverhältnisse zu Beginn der Marktperiode. Errechnet man den Bruch zwischen Nachfrage- und Angebotspotenzial, erzielt man einen Indikator, der verwendet werden kann, um die sich verändernden Chancen der Betriebe zur Besetzung ihrer Ausbildungsplatzangebote zu beschreiben.
Abschätzung des Ausbildungsplatzangebots für 2010
Ein wesentlicher Kernpunkt der für 2010 prognostizierten Veränderung des Ausbildungsplatzangebots betrifft die wirtschaftliche Entwicklung. Die prognostizierte Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird – bei einer geschätzten Standardabweichung von 0,7 Prozentpunkten – für 2010 mit etwa 1,6 % veranschlagt.40 Die aufgelegten Konjunkturprogramme sind dabei berücksichtigt und modelltechnisch in der exogenen Größe „Staatliche Bruttoinvestitionen“ niedergelegt.41 Dabei wird die Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe in 2010 wieder zunehmen und auf 77 % steigen (2009: 73 %), aber noch deutlich unterhalb des Wertes des Vorvorjahres (2008: 86 %) liegen. Nach PROSIMA wird der durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Rückgang des Angebotspotenzials (siehe oben) in 2010 gestoppt werden, und das Angebotspotenzial wird sich mit rund 693.000 Plätzen in etwa auf dem Niveau des Jahres 2009 stabilisieren.
Was das für den 30. September 2010 zu erwartende Ausbildungsplatzangebot betrifft, geht PROSIMA gleichwohl von einem Rückgang aus: PROSIMA gelangt zu einer Punktprognose des Ausbildungsplatzangebots im Jahr 2010 von 563.000 Schaubild A2-3. Dies würde bedeuten, dass das Ausbildungsplatzangebot 2010 um rund 20.000 Plätze (-3,5 %) niedriger ausfällt als 2009 (583.135).42 Im zu erwartenden Rückgang spiegeln sich Nachwirkungen des vergangenen Jahres, die Folgen der noch nicht vollständig überwundenen Wirtschaftskrise, aber auch negative demografische Effekte auf
Entwicklung des Ausbildungsplatzangebots seit 2000 (bis 2009 Ist-Zahlen):
2000: 647.383
2001: 638.773
2002: 590.328
2003: 572.474
2004: 586.374
2005: 562.816
2006: 591.540
2007: 644.028
2008: 635.758
2009: 583.135
2010: 563.000 (Vorausschätzung)
Im Jahr 2009 blieben von den offiziell ausgewiesenen 583.135 Ausbildungsplatzangeboten 17.131 unbesetzt.43 Für 2010 errechnet PROSIMA einen Schätzwert von rund 15.000 unbesetzten Ausbildungsplätzen.44 Dies bedeutet wiederum, dass mit einer Gesamtzahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge (= erfolgreich besetztes Angebot) im Umfang von 548.000 zu rechnen wäre (2009: 566.004). Das Vertrauensintervall der Schätzung der neu abgeschlossenen Verträge schließt dabei mögliche Abweichungen im Umfang von rund ± 20.000 ein.
Abschätzung der Ausbildungsplatznachfrage für 2010
Wie in Schaubild A2-2 deutlich wurde, muss für 2010 mit einem weiteren deutlichen Rückgang des Nachfragepotenzials gerechnet werden. PROSIMA geht von einer Veränderung um rund -69.000 (-7,1 %) auf nunmehr 902.000 aus. Das Angebotspotenzial bleibt dagegen, wie oben bereits erwähnt, mit 693.000 weitgehend konstant (2009: 694.000). Dies heißt, dass sich bundesweit betrachtet die Ausbildungsmarktsituation für die Jugendlichen 2010 zwar nicht grundlegend entspannen, aber verbessern dürfte.45
Da das Nachfragepotenzial ungeachtet des deutlichen Rückgangs bundesweit noch merklich über dem Angebotspotenzial liegt, besteht in Hinblick auf die zum Stichtag 30. September zu erwartende Nachfrage noch genügend Puffer, um sich von der Angebotsentwicklung nicht allzu weit zu entfernen. Deshalb wird nach PROSIMA die Ausbildungsplatznachfrage im Sinne der traditionellen, alten Nachfragedefinition (Ausbildungsplatznachfrage = neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zuzüglich unversorgte Bewerber / -innen) lediglich um -2,3 % bzw. -13.000 auf nunmehr knapp 563.000 zurückgehen (2009: 575.599). Wie oben berichtet, wird die Zahl der neu abgeschlossenen Verträge (= erfolgreiche Nachfrage) auf voraussichtlich 548.000 taxiert. Dies würde wiederum bedeuten, dass für 2010 mit knapp 15.000 unversorgten Bewerbern zu rechnen wäre (hier: nur Agenturen für Arbeit und ARGEn), also rund 5.000 mehr als 2009 (9.595).
Die von PROSIMA prognostizierte höhere Zahl unversorgter Bewerber und Bewerberinnen ver wundert zunächst. Eine Erklärungsmöglichkeit für dieses Ergebnis lässt sich aber gewinnen, wenn man a) berücksichtigt, dass die „unversorgten Bewerber / -innen“ nur eine Teilmenge der am 30. September bei der Arbeitsverwaltung gemeldeten, Ausbildungsplätze suchenden Personen darstellt, und wenn man b) untersucht, wie die demografischen Veränderungen auf die Zusammensetzung des Nachfragepotenzials und auf den Vermittlungsstatus der bei der Arbeitsverwaltung gemeldeten Bewerber / -innen Einfluss nehmen: Infolge der demografischen Entwicklung steigt der relative Anteil älterer Personen innerhalb des Nachfragepotenzials deutlich, während der Anteil der jüngeren Bewerber / -innen abnimmt. Ältere Personen zählen aber – sofern sie bei der BA als Ausbildungsstellenbewerber / -innen gemeldet sind und ihre Ausbildungsplatzsuche bis zum 30. September fortsetzen, häufiger zu den „unversorgten Bewerbern“ (und gehen damit in die traditionelle Nachfrageberechnung mit ein). Erfolglose jüngere Bewerber / -innen gehören dagegen öfter zu den „Bewerbern mit Alternative zum 30. 09.“, da sie teilqualifizierende Bildungsgänge noch nicht (so häufig) wie ältere Bewerber / -innen besucht haben und die Berufsberatung damit über mehr Ausweichempfehlungen für sie verfügt Schaubild A2-4. Bei einer entsprechenden demografisch bedingten Verschiebung der Alterszusammensetzung der Ausbildungsstellenbewerber / -innen würde dies bedeuten, dass die Quote der „Bewerber / -innen mit Alternative zum 30. 09.“ sinkt, während der Anteil der „unversorgten Bewerber / -innen“ steigt. Letztlich sind es somit wohl relativ variable institutionelle Setzungen (welche alternativen Angebote werden im jeweiligen Jahre für welche Gruppen von erfolglosen Bewerbern angeboten?), die darüber entscheiden, zu welchen Anteilen die noch „Ausbildungsplätze suchenden Personen“ (§ 86 BBiG) den „unversorgten Bewerbern“ oder den „Bewerbern mit Alternative zum 30. 09.“ zuzurechnen sind. Dieses Phänomen erschwert allerdings eine Prognose im Rahmen eines ökonometrischen Modells.
Schaubild A2-4 macht in diesem Zusammenhang auf ein weiteres grundsätzliches Problem der Nachfragevorausschätzung aufmerksam. Gemäß § 86 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) ist die Ausbildungsplatznachfrage als Summe der Zahl der zwischen dem 1. Oktober und 30. September neu abgeschlossenen (und am 30. September noch bestehenden) Ausbildungsverträge und „der Zahl der zu diesem Zeitpunkt bei der BA gemeldeten Ausbildungsplätze suchenden Personen“ definiert. Relevant für die Messung der erfolglosen Nachfrage ist demnach der Status der Ausbildungssuche (die Ausbildungssuche ist zum 30. September noch nicht beendet) und nicht die Art des Verbleibs.46 In früheren Jahren wurde aber ausschließlich die kleinere Gruppe jener Bewerber / -innen zur erfolglosen Nachfrage gerechnet, die als „unvermittelte Bewerber / -innen“ bzw. als „unversorgte Bewerber / -innen“ geführt wurden.47 Für die wesentlich größere Gruppe der weiter suchenden „Bewerber / -innen mit Alternative zum 30. 09.“ (die sich von den „unversorgten Bewerbern“ vor allem dadurch unterscheidet, dass sie im Schnitt jünger sind und dass für sie noch Überbrückungsmöglichkeiten gefunden werden können) gibt es bislang jedoch weder längere Zeitreihen noch eine Schätzgleichung innerhalb von PROSIMA.48 Diese Personen sind zwar indirekt im von PROSIMA ermittelten Nachfragepotenzial enthalten, sie können dort aber bislang noch nicht gesondert identifiziert werden. Deshalb kann PROSIMA für sie noch keine Prognose erstellen, wie sich ihre Zahl in Zukunft weiterentwickeln wird. Sollte aber, wie oben vermutet, die Zahl der jüngeren Bewerber / -innen infolge der demografischen Entwicklung weiter sinken, darf angesichts der allgemeinen Marktentwicklung (Verbesserung der Potenzialrelation zugunsten der Jugendlichen; s. o.) auch mit einem weiteren Rückgang der Zahl der Bewerber gerechnet werden, die aus Alternativen heraus weiter nach einem Ausbildungsplatz suchen.
Ein weiteres Problem besteht schließlich darin, dass PROSIMA nicht diejenigen erfolglosen Ausbildungsstellenbewerber berücksichtigen kann, die bei den zugelassenen kommunalen Trägern (zkT) registriert sind. Die BA veröffentlichte 2009 erstmals konkrete Zahlen zu dieser Gruppe: Zu den bei den zugelassenen kommunalen Trägern gemeldeten „unversorgten Bewerbern“ zählten demnach 2009 6.836 Personen, zu den „Bewerbern mit Alternative“ weitere 3.284 Personen (Bundesagentur für Arbeit 2009b). Eine Abschätzung, wie sich diese Nachfragergruppen in 2010 quantitativ entwickeln, ist angesichts fehlender Erfahrungswerte über ein Zeitreihenmodell zurzeit noch nicht möglich.49
Schaubild A2-2: Entwicklung des Angebots- und des Nachfragepotenzials auf dem Ausbildungsmarkt: Modellierung durch PROSIMA (Werte bis 1990 nur alte Länder und Berlin-West)
Schaubild A2-3: Entwicklung des Ausbildungsplatzangebots von 1975 bis 2010: Ist-Entwicklung bis 2009 und Prognose durch PROSIMA (Werte bis 1990 nur alte Länder und Berlin-West)
Schaubild A2-4: Anteile der bei Arbeitsagenturen, ARGEn und zugelassenen kommunalen Trägern gemeldeten Ausbildungsstellenbewerber, für die auch noch zum Ende des Berichtsjahres 2009 die Vermittlungsbemühungen weiterliefen, in Abhängigkeit vom Lebensalter
Zusammenfassung der erwarteten Entwicklungen in 2010
Zusammengefasst ist davon auszugehen, dass sich 2010 das Ausbildungsplatzangebot weiter vermindert. Ursachen sind vor allem die Folgen des vergangenen Jahres, die noch nicht vollständig überwundene Wirtschaftskrise und zum Teil auch der demografisch bedingte Rückgang der Nachfrage. Es muss damit gerechnet werden, dass bundesweit auch die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge weiter zurückgeht und womöglich auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung fällt. Ungeachtet dessen sollte sich aber die Marktlage für die Ausbildungsplätze suchenden Jugendlichen in 2010 nach dem mäßigen Einbruch in 2009 wieder verbessern: Die demografischen Effekte dürften so stark sein, dass sie die zu erwartenden Rückgänge des Angebots mehr als kompensieren Tabelle A2-1.Trotz der zu erwartenden Verbesserung wird die Bewerbungssituation für viele Jugendliche je nach regionaler Herkunft und Marktlage vor Ort weiterhin schwierig sein. Das Nachfragepotenzial liegt bundesweit immer noch merklich über dem Angebotspotenzial, auch wenn sich beide Größen weiter aufeinander zubewegen. Eine allgemein und regional sogar beträchtlich schwierigere Marktsituation haben allerdings auch die an Ausbildung interessierten Betriebe zu erwarten. Der Wandel von einem Anbieter- zu einem Nachfragermarkt hat bereits eingesetzt, und er wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen.
Tabelle A2-1: Einschätzung der Ausbildungsmarktentwicklung zum 30. 09. 2010 (Angaben in Tsd.)
Ausblick auf die kommenden Jahre
Sollte sich der von PROSIMA angenommene deutliche Wirtschaftsaufschwung für 2011 bewahrheiten50, so wird dies zu einem signifikanten Aufwuchs des Angebotspotenzials führen. Gleichzeitig wird aber auch in 2011 das Nachfragepotenzial weiter sinken, sodass starke Veränderungen in den Potenzialrelationen zu erwarten sind Schaubild A2-5. Damit würden sich die Probleme der Betriebe, die Bewerber / -innen für ihre Ausbildungsplätze suchen, gegenüber 2010 weiter verschärfen, und die Betriebe werden immer stärker in einen Wettbewerb um Nachwuchskräfte eintreten müssen.
Dabei ist auch für die kommenden Jahre keine grundlegende Verbesserung der Akquisitionschancen der Betriebe zu erwarten (vgl. Ulmer / Ulrich 2008). Zwar verlassen 2011 bis 2013 in zum Teil bevölkerungsreichen Bundesländern doppelte Abiturientenjahrgänge die allgemeinbildenden Schulen51, sodass die Zahl der studienberechtigten Absolventen und Absolventinnen aus den allgemeinbildenden Schulen vorübergehend deutlich nach oben schnellt Tabelle A2-2 Internet. Angesichts der relativ geringen Nachfrage der Abiturienten und Abiturientinnen nach dualer Berufsausbildung (vgl. dazu auch Friedrich 2009) sind die kompensatorischen Effekte zugunsten der Betriebe zumindest auf Bundesebene jedoch begrenzt.52
(Winand Kau, Manfred Lösch, Joachim Gerd Ulrich, Günter Walden)
Schaubild A2-5: Entwicklung der Potenzialrelationen auf dem Ausbildungsmarkt: Modellierung durch PROSIMA (Werte bis 1990 nur alte Länder und Berlin-West).