Sofern das Ausbildungsverhältnis vor Ablauf der im Ausbildungsvertrag bestimmten Ausbildungszeit gelöst wird, gilt das als vorzeitige Vertragslösung. Zur Lösung des Vertrags (§ 15 BBiG) kann es kommen: erstens durch Kündigung während der Probezeit oder durch Kündigung nach der Probezeit aus wichtigem Grund, zweitens durch Kündigung infolge einer Berufsaufgabe oder eines Betriebs-/Berufswechsels des/der Auszubildenden. Weiterhin kann das Ausbildungsverhältnis vorzeitig im gegenseitigen Einvernehmen ohne Angabe von Gründen beendet werden oder aus Gründen, die beim Ausbildenden liegen (z. B. Betriebsaufgabe, Wegfall der Ausbildereignung). Ursächlich für vorzeitige Vertragslösungen können nicht übereinstimmende Erwartungen der Beteiligten sein oder wirtschaftliche Probleme, aber auch Änderungen der Eigentumsverhältnisse oder der Rechtsform der Ausbildungsbetriebe.179 Keinesfalls jedoch darf die vorzeitige Lösung des Ausbildungsverhältnisses mit einem (endgültigen) Ausbildungsabbruch gleichgesetzt werden. Darüber hinaus ist das vorzeitige Beenden einer begonnenen Ausbildung keine Besonderheit des dualen Systems; im Durchschnitt fallen die Lösungen sogar weniger hoch aus als im Hochschulbereich (vgl. Heublein et al. 2010; Konsortium Bildungsberichtserstattung 2006, S. 92).
Die nachfolgenden Ergebnisse zu vorzeitig gelösten Ausbildungsverträgen (Zeitraum 1996 bis 2008) wurden im Rahmen der Berufsbildungsstatistik des Statistischen Bundesamtes erhoben. Die Statistik zählt alle vorzeitigen Lösungen von Ausbildungsverhältnissen im Laufe eines Kalenderjahres. Aus datentechnischen Gründen ist eine Unterscheidung von Personen, die auf die weitere Ausbildung verzichten („Ausbildungsabbrecher“), Personen, die das bisherige Ausbildungsverhältnis lösen, aber die Ausbildung in einem anderen Beruf oder einem anderen Betrieb fortführen (Ausbildungswechsler), und Personen, die sich umorientieren und z. B. eine Schule besuchen oder ein Studium beginnen, nicht möglich. Infolge der methodischen Umstellung der Statistik von einer Aggregat- auf eine Individualstatistik hat das Statistische Bundesamt für das Berichtsjahr 2007 keine Angaben zu vorzeitig gelösten Ausbildungsverträgen veröffentlicht. Aufgrund der weitreichenden Änderungen sind zudem Vergleiche ab dem Jahr 2007 mit früheren Ergebnissen (bis einschließlich Berichtsjahr 2006) nur eingeschränkt möglich.180
Die Anzahl der vorzeitigen Vertragslösungen und die Höhe und Entwicklung der Vertragslösungsquote sind Indikatoren für die Effizienz des dualen Ausbildungssystems. Die Lösungsquote gibt an, wie viele neu abgeschlossene Ausbildungsverträge voraussichtlichwährend der Ausbildungszeit vorzeitig gelöst werden. Die Vertragslösungsquoten haben somit aktuellen wie prognostischen Aussagewert. Berechnet wird die Lösungsquote hier nach dem Schichtenmodell des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB).182
Die Zahl der Vertragslösungen bewegte sich in den Jahren von 1996 bis 2008 zwischen rund 118.000 und 156.000 pro Jahr Tabelle A5.7-1. Die Lösungsquote variierte zwischen 20 % und 24 %. Aus - gehend von rund 130.000 Vertragslösungen im Jahr 1996 (21 %) stiegen diese in den Folgejahren an. Mit jeweils mehr als 150.000 (24 %) Vertragslösungen wurden in den Jahren 2000 bis 2002 jeweils Höchststände registriert. In der nachfolgenden Zeit setzte ein Rückgang ein, der im Jahr 2005 mit einer Lösungsquote von 20 % den bislang niedrigsten Wert erreichte (rd. 118.000)185. Für das Berichtsjahr 2008 wurden laut Berufsbildungsstatistik insgesamt wieder rund 139.300 (21,5 %) vorzeitig gelöste Ausbildungsverträge erfasst und damit rund 20.000 Vertragslösungen mehr als im Jahr 2006.186 Auf Männer entfielen 78.400 (56 %) der Lösungen, auf Frauen 60.900 (44 %); die für Ausländer gemeldeten gelösten Berufsausbildungsverhältnisse betragen 9.000.
Wie aus Tabelle A5.7-1 außerdem hervorgeht, differiert die Quote vorzeitig gelöster Ausbildungsverhältnisse innerhalb wie auch zwischen den Ausbildungsbereichen. Besonders ausgeprägt war der Anstieg der Lösungsquote um 5 Prozentpunkte im Bereich Hauswirtschaft auf 27,2 % zur Jahrtausendwende. Noch höher lag zu dieser Zeit die Quote mit Werten um 30 % im ausbildungsstarken Handwerkssektor. Das Handwerk nahm ab 2002 eine positive Entwicklung und konnte seine Quote deutlich zurückführen (2006: 23,7 %).
Werden die einzelnen Ausbildungssektoren im aktuellen Berichtsjahr 2008 betrachtet, so zeigt sich eine überdurchschnittliche Lösungsquote im Handwerksbereich mit 26,6 % und im Bereich der Hauswirtschaft (27,3 %). Im ausbildungsstärksten Bereich Industrie und Handel liegt die Quote vorzeitiger Vertragslösungen mit 19,9 % um fast 2 Prozentpunkte unter dem Gesamtwert (21,5 %); die Lösungsquote der freien Berufe (20,6 %) weicht hiervon nur wenig ab. Noch seltener vorzeitig aufgelöst wird ein in 2008 begonnenes Ausbildungsverhältnis in der Landwirtschaft (19,4 %).187 Für den öffentlichen Dienst errechnete sich mit 5,9 % die niedrigste Lösungsquote.
In den neuen Ländern liegt im Berichtsjahr 2008 der Anteil vorzeitig gelöster Ausbildungsverträge (rd. 32.000) mit 25,4 % um 5 Prozentpunkte höher als in den alten Ländern, wo bei einer Lösungsquote von 20,5 % rd. 107.000 Vertragslösungen gemeldet wurden Tabelle A5.7-2. Mitte der 1990er-Jahre waren die Quoten dagegen nur einen Prozentpunkt (1996) auseinandergelegen. Insgesamt entwickelte sich in regionaler Sicht die Lösungsquote so, dass die der neuen Länder im gesamten Betrachtungszeitraum stets die der alten Länder übersteigt; die Quoten der beiden Landesteile liefen dabei immer mehr auseinander.
Tabelle A5.7-2 macht weiterhin teils beachtliche regionale Unterschiede in den Vertragslösungsquoten der Ausbildungsbereiche im untersuchten Zeitraum sichtbar. Sie finden sich ausgeprägt im Bereich Industrie und Handel schon ab 1996: In den letzten vier Jahren ab 2004 haben die neuen Länder hier inzwischen sogar eine rund 6 Prozentpunkte höhere Lösungsquote als die alten Länder; diese lag im Jahr 2008 bei 25,2 %, in den alten bei 18,5 %. Die anhaltend schwierige Lage in der ostdeutschen Industrie könnte dafür ursächlich sein. Auffällig verläuft die Entwicklung der Lösungsquote im Handwerk und den freien Berufen: Sie fiel vor 2004 in den neuen Ländern jeweils etwas geringer aus als in den alten Ländern; ab 2004 übertrifft dann jedoch die Quote der beiden Bereiche im östlichen Landesteil die der alten Länder. So ist davon auszugehen, dass im ostdeutschen Handwerk drei von zehn der im Jahr 2008 (29,2 %) begonnenen Ausbildungsverhältnisse be reits vor Ende der Ausbildungszeit wieder aufgelöst werden; die Lösungsquote in den alten Ländern liegt bei 26,0 %. Im betrachteten Zeitraum werden neue Ausbildungsverhältnisse im öffentlichen Dienst in beiden Landesteilen äußerst selten vorzeitig gelöst. So beträgt die Lösungsquote für das Jahr 2008 in den neuen Ländern nur 3,7 % und in den alten Ländern 6,5 %.
Sichtbar wird außerdem eine beachtliche Spannweite der Vertragslösungsquoten zwischen den einzelnen Bundesländern, wobei die Strukturen im Zeitverlauf recht stabil sind Tabelle A5.7-3. Im Berichtsjahr 2008 reicht die Lösungsquote von 18 % in Baden-Württemberg und Bayern bis zu knapp drei Zehntel in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg- Vorpommern (je rund 28 %). Unterdurchschnittliche Lösungsquoten im untersuchten Zeitraum waren typisch für die eher wirtschaftsstarken Flächenstaaten Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen oder Hessen. Rückläufig entwickelten sich zwischen 1996 und 2008 die Vertragslösungsquoten in Nordrhein- Westfalen (von 24,0 % auf 21,7 %), Sachsen-Anhalt (von 27,8 % auf 25,1 %), Niedersachsen (von 22,4 % auf 20,6 %) und Schleswig-Holstein (von 25,7 % auf 24,1 %). Ebenfalls sanken die Quoten in den Stadtstaaten Bremen (von 25,4 % auf 21,2 %) und Hamburg (von 24,2 % auf 22,6 %). Starke Anstiege der Lösungsquoten verzeichneten dagegen Mecklenburg- Vorpommern um rund 8 Prozentpunkte (von 19,7 % auf 28,0 %) und Brandenburg um rund 7 Prozentpunkte (von 21,1 % auf 28,0 %). Das bedeutet, dass in beiden Ländern 28 % der Neuverträge des Jahres 2008 bereits vor dem Ende der Ausbildungszeit wieder gelöst werden dürften. Unterschiedliche Lösungsquoten zeigen sich ebenso für die verschiedenen Ausbildungsberufe.
Tabelle A5.7-4 verdeutlicht die (In-)Stabilität der im Berichtsjahr 2008 neu geschlossenen Ausbildungsverhältnisse für jene 10 Berufe mit den jeweils niedrigsten bzw. höchsten Lösungsquoten. In die Analyse eingegangen sind Berufe mit mehr als 300 gemeldeten Neuverträgen in 2008.188 Ähnlich wie in früheren Jahren (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 93) zählen zur Gruppe mit den höchsten Lösungsquoten Berufe im Gast- und Beherbergungsgewerbe. Sehr häufig gelöst werden beispielsweise die Ausbildungsverträge in den Ausbildungsberufen Fachkraft für Schutz und Sicherheit (47,0 %), Restaurantfachmann / -frau (45,3 %) und Koch/Köchin (43,8 %). Aber auch Gebäudereiniger/-innen oder Kosmetiker/-innen weisen hohe Lösungsquoten auf. Die niedrigsten Vertragslösungsquoten fanden sich im öffentlichen Dienst sowie bei Bankkaufleuten. Aber auch anspruchsvolle industrielle Produktionsberufe wie Fluggerätmechaniker/-in, Werkzeugmechaniker/-in und Verfahrensmechaniker/-in in der Hütten- und Halbzeugindustrie gehören zur Spitzengruppe mit hoher Stabilität bei den untersuchten Ausbildungsverhältnissen.
(Hermann Herget)