49 Nach der BA / BIBB-Bewerberbefragung 2010 hatten von den rubd 552.000 im Berichtsjahr 2009 / 2010 gemeldeten Bewerbern und Bewerberinnen um eine Ausbildungsstelle insgesamt 26 % einen Migrationshintergrund . Von ihnen kamen über ein Drittel (36 %) aus osteuropäischen Staaten und den GUS-Staaten. Sie selbst bzw. ihre Familien waren meist ab Ende der 1980er-Jahre als (Spät-)Aussiedler / -innen nach Deutschland gekommen. Fast ebenso groß war der Anteil der Bewerber / -innen mit türkischem oder arabischem Hintergrund (35 %), wobei die Mehrheit aus der Türkei stammte. Bei ihnen handelte es sich größtenteils um Nachfahren türkischer „Gastarbeiter / -innen“, die in den 1960erbis Anfang der 1970er-Jahre zuwanderten. Nur etwa halb so groß war die Gruppe der Bewerber / -innen südeuropäischer Herkunft (18 %), die ebenfalls oftmals aus ehemaligen Gastarbeiterfamilien kamen. Die übrigen Bewerber / -innen mit Migrationshintergrund bzw. ihre Familien waren aus anderen Staaten der Erde nach Deutschland zugereist (12 %).
Von den gemeldeten Ausbildungsstellenbewerbern und -bewerberinnen mit Migrationshintergrund hatten 44 % einen Hauptschul-, Sonderschul- oder keinen Schulabschluss erreicht. Am häufigsten besaßen diejenigen mit südeuropäischer Herkunft maximal einen Hauptschulabschluss, und zwar mit 48 % fast die Hälfte. Bei türkisch-arabischem Hintergrund waren es 45 %, bei osteuropäischer Herkunft 43 %, bei Herkunft aus anderen Staaten 40 %. Lag hingegen kein Migrationshintergrund vor, so betrug der Anteil derjenigen mit maximal Hauptschulabschluss lediglich 33 %. 43 % der Bewerber / -innen aus Familien mit einer Zuwanderungsgeschichte verfügten über einen mittleren Schulabschluss, 10 % über die (Fach-)Hochschulreife. Bei türkisch-arabischer Herkunft war ein mittlerer Schulabschluss (45 %) relativ häufig zu verzeichnen, aber nur selten die (Fach-)Hochschulreife (7 %). Bei osteuropäischer Herkunft erreichten die entsprechenden Anteile 42 % bzw. 13 %, bei südeuropäischer Herkunft 38 % bzw. 10 %, bei Herkunft aus sonstigen Staaten 45 % bzw. 11 %. Von den Bewerbern und Bewerberinnen ohne Migrationshintergrund verfügten 51 % über einen mittleren Abschluss und 14 % über die (Fach-) Hochschulreife.
Die Unterschiede in den erreichten Schulabschlüssen sind vor allem damit zu erklären, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem erhebliche Nachteile haben. Bislang gelingt eine ausreichende Förderung der jungen Migranten und Migrantinnen in deutschen Schulen nicht, wie durch die internationalen Schulleistungstests in den vergangenen 10 Jahren immer wieder nachgewiesen wurde (vgl. u. a. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010). Dies führt dazu, dass sie bei Verlassen der allgemeinbildenden Schule viel häufiger als diejenigen ohne Migrationshintergrund über einen Hauptschulabschluss oder keinen Schulabschluss verfügen, womit ihre Ausgangsbedingungen beim Übergang in die Berufsausbildung bedeutend ungünstiger sind.
Die Analysen der BA / BIBB-Bewerberbefragung 2010 zeigen, dass das Engagement junger Migranten und Migrantinnen bei der Ausbildungsplatzsuche oftmals besonders groß war. Trotzdem wurden sie deutlich seltener von Betrieben zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Während sich mehr als drei Fünftel (61 %) der Bewerber / -innen ohne Migrationshintergrund persönlich in Betrieben vorstellen konnten, traf dies nur auf die Hälfte der Bewerber / -innen aus Familien mit einer Migrationsgeschichte zu. Besonders niedrig lag mit 46 % der Anteil bei Jugendlichen türkisch-arabischer Herkunft.
Bis zum Jahresende 2010 waren nur 28 % der Bewerber / -innen aus Familien mit einer Zuwanderungsgeschichte in eine betriebliche Berufsausbildung nach BBiG / HwO eingemündet, gegenüber 42 % bei denjenigen ohne Migrationshintergrund Tabelle A3.1-1. Während bei einer osteuropäischen oder südeuropäischen Herkunft die Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung mit 34 % bzw. 33 % etwas häufiger gelang, waren es bei einem türkisch-arabischem Hintergrund lediglich 20 %.
Die Einmündungsquoten stiegen in der Regel an, je höher die Schulabschlüsse der Bewerber / -innen waren. Die Vorteile einer besseren schulischen Qualifikation fielen allerdings unterschiedlich aus: So erhöhte sich bei jungen Migranten und Migrantinnen der Anteil erfolgreicher Übergänge in betriebliche Ausbildung bei einem mittleren Schulabschluss (29 %) im Vergleich zu maximal einem Hauptschulabschluss (24 %) bei Weitem nicht so stark wie bei Jugendlichen ohne Migrationsgeschichte (48 % zu 28 %).
Bei Bewerbern und Bewerberinnen mit türkisch-arabischem Hintergrund ließ sich jedoch überhaupt kein Vorteil eines mittleren Schulabschlusses erkennen: Die Übergangsquoten waren in diesem Fall mit 20 % ebenso niedrig wie bei maximal einem Hauptschulabschluss. Selbst wenn sie die (Fach-)Hochschulreife vorweisen konnten, blieben ihre Aussichten auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz sehr gering (26 %). Bei Bewerbern und Bewerberinnen mit südeuropäischem Hintergrund war dies ganz anders: Während ihnen nur vergleichsweise selten der Übergang in betriebliche Ausbildung gelang, wenn sie maximal einen Hauptschulabschluss hatten (22 %), stieg ihre Erfolgswahrscheinlichkeit bei einem mittleren Schulabschluss beträchtlich an (40 %). Besaßen sie die (Fach-)Hochschulreife, so war ihre Einmündungsquote mit 59 % sogar die höchste im Vergleich zu den übrigen Herkunftsgruppen einschließlich der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.
Durch außerbetriebliche Ausbildung50 in BBiG / HwOBerufen wird zum Teil eine Kompensation für fehlende betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen, die benachteiligten Jugendlichen zugutekommen soll.51 Bei Berücksichtigung auch dieser Ausbildungsform erhöhten sich die Übergangsquoten in duale Berufsausbildung zwar bei Bewerberinnen und Bewerbern mit bzw. ohne Migrationshintergrund auf 34 % bzw. 48 %,52 der Abstand zwischen beiden Gruppen blieb damit aber unvermindert groß Tabelle A3.1-1.
Vor allem stieg durch die außerbetriebliche Ausbildung der Anteil erfolgreicher Einmündungen in eine duale Ausbildung für Bewerber / -innen, die über maximal einen Hauptschulabschluss verfügten, deutlich an. Bei jungen Migrantinnen und Migranten führte dies dazu, dass die Aussichten auf einen (betrieblichen oder außerbetrieblichen) Ausbildungsplatz in BBiG / HwO-Berufen bei einem Hauptschulabschluss sogar höher waren als bei einem mittleren Schulabschluss. Dies traf auf alle Migrantengruppen mit Ausnahme der Jugendlichen südeuropäischer Herkunft zu. Am wenigsten profitierten bei maximal einem Hauptschulabschluss die Bewerber / -innen türkischarabischer Herkunft von der außerbetrieblichen Ausbildung: Während bei ihnen die Einmündungsquote nur um 7 Prozentpunkte anstieg, nahm sie bei vergleichbaren Bewerbern und Bewerberinnen ohne Zuwanderungsgeschichte sowie mit ost- bzw. südeuropäischer Herkunft um jeweils 13 Prozentpunkte zu.
Es ist bekannt, dass die Chancen für einen erfolgreichen Übergang in Berufsausbildung nicht allein vom erreichten Schulabschluss abhängen, sondern auch die Schulnoten, die im Such- und Bewerbungsprozess angewandten Strategien, die Situation auf dem Ausbildungsmarkt sowie die persönlichen Merkmale Geschlecht und Alter eine Rolle spielen. Um festzustellen, welche Faktoren für die Bewerber und Bewerberinnen des Berichtsjahres 2009 / 2010 von besonderer Relevanz waren, wurden multivariate Analysen (binäre logistische Regressionen) durchgeführt. Damit lässt sich für jedes einzelne Merkmal der eigenständige Effekt auf den Übergangserfolg in Ausbildung feststellen, denn die Einflüsse aller übrigen in die Analyse einbezogenen Größen werden dabei jeweils berücksichtigt. Vor allem kann auf diese Weise auch geklärt werden, ob die Chancen junger Migrantinnen und Migranten selbst bei gleichzeitiger Beachtung aller anderen Einflussgrößen immer noch geringer waren als die von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.
Die wichtigsten Ergebnisse der Analysen53 zur Einmündung in betriebliche Berufsausbildung können wie folgt zusammengefasst werden:
Wird in den Analysen über die betriebliche Ausbildung hinaus auch die außerbetriebliche Ausbildung in BBiG / HwO-Berufen berücksichtigt, so ist als zentrales Ergebnis Folgendes hervorzuheben: Im Vergleich zu Bewerbern und Bewerberinnen ohne Migrationshintergrund verbesserten sich durch die außerbetriebliche Ausbildung die Übergangschancen junger Migranten und Migrantinnen nicht. Die außerbetriebliche Ausbildung schaffte demnach für junge Menschen mit Migrationshintergrund keinerlei Ausgleich für die schlechteren Chancen, die sie beim Zugang zu betrieblicher Ausbildung hatten. Dies galt insbesondere für junge Menschen türkisch-arabischer Herkunft.
Die Bewerber / -innen, die keinen betrieblichen oder außerbetrieblichen Ausbildungsplatz in BBiG / HwOBerufen gefunden hatten, waren am Jahresende 2010 in unterschiedliche Alternativen gemündet. Ein kleiner Teil befand sich in einer Ausbildung in einem Schulberuf oder in einem Studium (mit Migrationshintergrund: 6 %, ohne Migrationshintergrund: 7 %). Die übrigen Bewerber / -innen gingen z. B. weiter zur Schule, besuchten einen teilqualifizierenden Berufsbildungsgang, jobbten oder waren arbeitslos. Solche Verbleibe kamen bei jungen Migrantinnen und Migranten erheblich häufiger vor als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (55 % zu 40 %).
Insgesamt waren die Bewerber / -innen mit Migrationshintergrund mit ihrer Situation daher auch unzufriedener als diejenigen ohne Migrationshintergrund. Wesentlich seltener bezeichneten sie ihren Verbleib als wunschgemäß oder als eine von vornherein ebenfalls in Betracht gezogene Alternative (48 % zu 60 %). Deutlich öfter stuften sie hingegen ihre Situation als „Notlösung“ oder als „Sackgasse“ ein (21 % zu 16 %); bei Jugendlichen mit türkischarabischer Herkunft traf dies sogar auf ein Viertel zu Schaubild A3.1-1.
Worauf die geringeren Einmündungschancen in eine duale Ausbildung, die sich auch unter Kontrolle wesentlicher Einflussgrößen für junge Menschen mit Migrationshintergrund – und vor allem bei einer türkisch- arabischen Herkunft – deutlich zeigen, letztlich zurückzuführen sind, ist anhand der durchgeführten Analysen auf Datenbasis der BA / BIBB-Bewerberbefragung nicht aufzuklären. Andere vorliegende Studien deuten darauf hin, dass die Gründe für den wesentlich schwierigeren Zugang zu betrieblicher Ausbildung vor allem in den Selektionsprozessen der Betriebe bei der Vergabe ihrer Ausbildungsplätze zu suchen sind (Imdorf 2010a, 2010b).