Das Nachfragepotenzial ist definiert als die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich im Laufe einer Berichtsperiode (1. Oktober des Vorjahres bis zum 30. September) an einer Ausbildung im entsprechenden Jahr interessiert zeigen. Es stammt aus drei unterschiedlichen Personenkreisen:
Zu den beiden zuerst genannten Kreisen liegen nach Schulabschlüssen bzw. nach Schulformen differenzierte Vorausschätzungen vor, wie sich künftige Schulentlassjahrgänge quantitativ entwickeln werden. Entsprechende Daten für den Zeitraum 2005 bis 2020 sind zusammenfassend in Tabelle A2.2.1-1 aufgeführt. Des Weiteren lassen sich aus den BIBB-Schulabgängerbefragungen (vgl. Kapitel A3.1) Erfahrungswerte ableiten, wie hoch die Anteile in verschiedenen Schulabgänger- und -absolventengruppen sind, welche sich für die unmittelbare Aufnahme einer dualen Berufsausbildung interessieren Tabelle A2.2.1-2. So ist z. B. bekannt, dass diese Quote bei den Absolventen eines Berufsvorbereitungs- oder eines Berufsgrundbildungsjahres sehr hoch ist (jeweils über vier Fünftel), während sie bei den Abiturienten relativ niedrig ausfällt (gut ein Fünftel). Beide Informationsquellen (Schulentlassenenzahlen, Quoten der Ausbildungsinteressierten) können nun miteinander verknüpft werden, um das aus diesen Gruppen resultierende Nachfragepotenzial in einem bestimmten Jahr abzuschätzen.
Schwieriger ist es, das Nachfragepotenzial aus dem dritten Kreis der Jugendlichen zu bestimmen, welche bereits in früheren Jahren die allgemeinbildenden oder beruflichen Schulen verließen. Eine früher genutzte Möglichkeit bestand darin, auf der „Altbewerberstatistik“ der Bundesagentur für Arbeit (BA) aufzubauen.33 Diese liefert Hinweise darüber, wie viele der registrierten Bewerber/-innen die (allgemeinbildende oder berufliche) Schule bereits vor mehr als einem Jahr verlassen hatten (vgl. Kapitel A1.2). Solche Daten sind aber für künftige Jahre schwierig zu prognostizieren, zum einen, weil sie u. a. vom Einschaltungsgrad der Beratungs- und Vermittlungsdienste durch die Jugendlichen und somit auch von den Marktverhältnissen früherer Jahre abhängig sind (große Deters/Ulmer/Ulrich 2008), und zum anderen, weil die BA 2009 Messrevisionen vornahm. Diese führten dazu, dass die Altbewerberzahlen nicht mehr mit den Ergebnissen früherer Jahre vergleichbar sind (Bundesagentur für Arbeit 2009). Damit ist gegenwärtig der Aufbau regressions analytischer Schätzverfahren erschwert.
Deshalb soll hier behelfsweise ein alternativer Ansatz gewählt werden, der auf den Ausbildungswünschen der Schulentlassjahrgänge aufbaut. Mit ihm lassen sich zwar nicht alle Nachfragepotenziale aus dem Kreis der Altbewerber vorausschätzen, aber zumindest große Teile. Dies ist möglich, da aus den BIBB-Schulabgängerbefragungen (Friedrich 2009) nicht nur Erfahrungswerte vorliegen, wie viele Schulentlassene jeweils unmittelbar danach mit einer Ausbildung beginnen wollen, sondern auch, wie viele erst an einer späteren Ausbildungsaufnahme (in einem oder in zwei Jahren) interessiert sind Tabelle A2.2.1-2. Da die zwischenzeitlichen Alternativen nicht nur im Besuch weiterer Schulen bestehen, sind unter diesen Jugendlichen auch Personen zu finden, die später in der BA-Ausbildungsmarktstatistik zu den „Altbewerbern“ zählen werden. Dies trifft insbesondere auf die Abgänger und Absolventen teilqualifizierender beruflicher Schulen zu (die z. B. erst nach Beendigung der Schulpflicht an nicht schulischen berufsvorbereitenden Maßnahmen teilnehmen können und somit zum „Altbewerber“ im Sinne der BA-Definition werden), aber auch auf Abiturienten (die ihren Ausbildungswunsch in der Regel nicht deshalb aufschieben, weil sie noch einmal eine Schule besuchen wollen, sondern weil sie z. B. ein Auslandsjahr einplanen oder soziale Dienste ableisten).
Berechnet man nun die Nachfragepotenziale, welche aus dem Kreis dieser „Altbewerber“ entstammen, und fügt diese zu den Nachfragepotenzialen der unmittelbar nach Schulende ausbildungsinteressierten Schulentlassenen hinzu, gelangt man für 2011 bundesweit zu einem Schätzwert von 772.500.34 Dies wären etwa 15.200 Personen weniger als im Jahr zuvor, denn für 2010 wurde ein Wert von 787.600 ermittelt.35 Ursächlich für den Rückgang ist insbesondere die demografische Entwicklung, die insbesondere in Ostdeutschland zu einer starken Abnahme der Zahl der Jugendlichen führte. Bei den Berechnungen für 2011 sind die zusätzlichen Nachfragepotenziale, die aus den doppelten Abiturientenjahrgängen in Bayern und Niedersachsen resultieren, bereits berücksichtigt. Es fehlen an dieser Stelle allerdings noch die zusätzlichen Nachfrageimpulse, die 2011 durch die Aussetzung des Wehr- bzw. der Wehrersatzpflicht entstehen.