C1.2 Neue Dienstleistungen des Handwerks am Beispiel der Gebäudesystemintegration
Beispielhaft lässt sich anhand der Gebäudedienstleistungen des Handwerks die umfassende Informatisierung der Facharbeit nachzeichnen, die das Verschmelzen von Lernen und Arbeiten mit digitalen Medien dokumentiert. Gleichzeitig zeigt diese Entwicklung deutlich, in welchem Maße betriebliche Aus- und Weiterbildung und zukunftsfähige handwerkliche Dienstleistungen von der sachgerechten Nutzung digitaler Medien abhängt. Komplexe Gebäudesystemtechnik mit allen Möglichkeiten der Fernüberwachung, -bedienung und automatisierter Steuerung energieeffizienter Systeme (Smart Home, Smart Meter, Smart GRID) wird vom Handwerksbetrieb beim Kunden in Wohn- oder Funktionsgebäuden installiert.
Laut einer Studie „Global Smart Home Market“ (zitiert in Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2011b, S. 6–67) wächst der weltweite Smart-Home-Markt von 4 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 8,3 Milliarden Euro im Jahr 2015, was einem jährlichen Zuwachs von 15,6 % entspricht. Für Deutschland errechnen die Universität Potsdam und die VDI/VDE Innovation und Technik GmbH eine Steigerung des Smart Home Markts von 2 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 2,3 Milliarden Euro im Jahr 2015, danach wird von einer Entwicklung des Marktvolumens um 23,5 % jährlich auf 19 Milliarden Euro im Jahr 2025 ausgegangen. Der auf ITKAnwendungen beruhende Anteil des Umsatzes erhöht sich von 70 % im Jahr 2010 auf über 75 % im Jahr 2015 und 80 % im Jahr 2025. Der ITK-Umsatz beträgt dann 1,4 Milliarden Euro im Jahr 2010, 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2015 und 15,2 Milliarden Euro im Jahr 2025. Das Handwerk wird nur mit hoch qualifiziertem Fachpersonal, das in der Lage ist, die damit verbundenen IT-basierten Gebäudedienstleistungen einwandfrei zu erbringen, auf diesem Wachstumsmarkt bestehen. Wissensvermittlung, Wissensreflexion und -adaption, Wissenstransfer und Wissensdokumentation bilden grundlegende Elemente eigenverantwortlichen Handelns einzelner Fachkräfte oder Teams in diesem Segment. Die dafür benötigten Herstellerinformationen der Industrie zur Installation der vernetzten Systemkomponenten sind fast vollständig digitalisiert. Sie werden von Handwerksbetrieben genutzt, die spezifische Produkte bzw. Anlagen im Rahmen ihrer Kundendienstleistungen installieren, warten und betreuen. Die Hersteller haben ihre Informationen über Produkte, Produktinnovationen, technische Dokumentationen und Ersatzteile für die verschiedenen Systeme und Anlagen z. B. in Form elektronischer Kataloge als Teil ihrer Homepage aufbereitet. Anleitungen zur Installation, Steuerung, Wartung, Störfallsuche und -behebung existieren in Form multimedialer Trainingssoftware. Die verfügbaren digitalen Hilfen können Arbeitsablaufpläne, Checklisten, Manuals und digitale Videos zur Unterstützung der Facharbeit abbilden:
- Installation (Umsetzung des Installationsplanes oder der technischen Zeichnung in Stücklisten und Arbeitsablaufpläne und Videos, die den „richtigen“ Arbeitsvorgang darstellen);
- Inbetriebnahme (Manuals oder Checklisten sowie animierte Computersimulationen zur Vorbereitung auf den Umgang mit den Prüfprogrammen des Computers in der Heizungsanlage);
- Wartung (spezifische Wartungsmanuals und Arbeitsablaufpläne, digitale Videos mit den einzelnen Schritten einer Wartung, Programme zum Lokalisieren und Benennen der zu wartenden Teile und der vorzunehmenden Reihenfolge von Arbeitsschritten);
- Störfallbehebung (vom Vorgehen nach Versuch und Irrtum bis zu einer gezielten Fehlerdiagnose unter Hinzuziehung der gespeicherten Regelparameter der Anlage und Fehlersuchprogrammen).
Über die Vermittlung von Produktkenntnissen hinaus geht es in den Qualifizierungsangeboten der herstellenden Industrie zunehmend auch um die Vermittlung von System- und Beratungswissen (Hahne 2001, S. 111):
- Hersteller veranschaulichen abstrakte Funktionszusammenhänge ihrer technischen Systeme durch Visualisierungen. Sie öffnen die „Black Box“. Hierbei nutzen sie insbesondere die netzgestützten Möglichkeiten, um von einem realen Bild zum animierten Funktionsbild zu wechseln. Typisch hierfür sind z. B. in der Haustechnik die Darstellung der schrittweisen Öffnungen von Niedertemperatur- und Brennwertgeräten bis hin zu animierten Funktionskreisläufen. Auch Thermostatarmaturen im Wasserbereich werden fließend vom Realbild bis hin zu animierten Schnittdarstellungen über die Mischungsvorgänge in diesen Thermostatarmaturen dargestellt.
- Gleiches gilt für die Simulation von Steuerungs- und Regelungsvorgängen. Teilweise kann man durch Ansteuern bestimmter Bereiche Steuerungsparameter verändern und die Auswirkung auf andere Bereiche in der Simulation erfahren. Auch Havarien, die entsprechende Störfallsuche und -behebung, können als Simulation für Lehr-/ Lernzwecke genutzt werden. Die Installation, Wartung und Instandhaltung komplexer technischer Systeme erfolgt im virtuellen Raum und kann ohne teure Fehler eingeübt werden.
- Die Online- und Offline-Angebote enthalten videogestützte Montage-, Demontage- und Wartungsmanuals, die den ursprünglich dickleibigen Printmedien an Verständlichkeit erheblich überlegen sind.
- Demontage und Explosionszeichnungen können dabei z. B. direkt mit dem Ersatzteilbestellwesen verknüpft werden. Die Entwicklungen enthalten Testprogramme zur Störfallbehebung mit Checklisten und Fehlersuchkonzepten.
Für die handwerklichen Dienstleistungen beim Kunden vor Ort, aber auch für Servicearbeiten von Monteuren und Technikern in Großunternehmen haben sich mobil verfügbare IuK-Technologien zu einem unverzichtbaren Medium entwickelt, das lernförderliche Informationen ortsunabhängig für den spezifischen Einsatz beim Kunden sowie die Option für kollaboratives Lernen und Erfahrungsaustausch in Echtzeit verlässlich bietet (Bundesinstitut für Berufsbildung 2012).
„Denn gerade beim Wissen gilt mehr als jemals zuvor: Nichts ist so beständig wie der Wandel. Während es um 1800 noch hundert Jahre dauerte, bis sich das Wissen verdoppelt hatte, geschieht dies seit Anfang des 21. Jahrhunderts im Abstand von nur noch 4 Jahren. Zugleich sinkt die Halbwertszeit unseres Wissens rapide. In einigen Branchen ist das Fachwissen teils schon nach einem Jahr überholt. … Aus diesem Grund ist es notwendig, eine neue Form des Lernens zu etablieren, in der das Lernen im Kontext der Arbeit stattfinden kann und in der es dem Mitarbeiter möglich ist, situativ zu lernen“ (Blum/Dübner 2012, S. 42) Schaubild C1.2-1.
Schaubild C1.2-1: Halbwertszeit von Wissen
E Smart Grid, Smart Meter, Smart Home
„Intelligente Energiesysteme“ sind eine der Grundvoraussetzungen für die Nutzung von Effizienzpotenzialen unter Einbeziehung erneuerbarer Energien. Der sich zusehends etablierende Gesamtmarkt intelligenter Energiesysteme setzt sich in der Hauptsache aus der Errichtung und Instandhaltung der Stromnetzinfrastruktur und der zugehörigen Steuerungstechnik (Smart Grid), der individualisierten Abrechnung von Strom (Smart Metering), der Integration energieeffizienter Mobilität (Elektromobilität) inkl. ihrer Infrastruktur (Ladestationen), der individualisierten „intelligenten“ Anpassung des Energieverbrauchs durch bedarfsgerecht arbeitende Hausgeräte (Smart Appliances) sowie schließlich der Anbindung an „intelligente“ Gebäude (Smart Home) zusammen.
Informationstechnologie und Energieströme verschmelzen technologisch miteinander, um einem zukunftsfähigen Energiemix die notwendigen Funktionalitäten bereitstellen zu können. Diese werden durch qualifizierte und hochmoderne handwerkliche Dienstleistungen realisiert, bei denen zusehends Elektrotechnik und Informationstechnologie miteinander vernetzt werden („Cyber Physical Systems“). Zur Identifizierung und Entwicklung der dafür notwendigen hochwertigen und wissensintensiven handwerklichen Dienstleistungen unterstützt das BMBF im Zusammenhang mit seiner Fördermaßnahme „Mobile Learning“ das Pilotprojekt „SmartMobile“ des Elektrotechnologiezentrums Stuttgart (http://www.etz-stuttgart.de/Index.html).307
Der Informationsaustausch auf Grundlage immer leistungsstärkerer mobiler Endgeräte eröffnet die Möglichkeit, das für die Durchführung einer fachlichen Tätigkeit benötigte Wissen in Echtzeit sowohl abrufen wie auch entgegennehmen zu können. Überschaubare Wissensbausteine und Informationseinheiten ermöglichen Lernen und Kompetenzerwerb im realen Arbeitsprozess sowie die Weitergabe von zusätzlich erworbenem Wissen direkt auf der Baustelle oder beim Kunden.
„Die Aktivierung der Lerner zur Erstellung und Einstellung eigener Inhalte sowie die Förderung ihres Engagements zu gemeinsamer Interaktion und Kollaboration bringen große Lernerfolge. Diese Ansätze methodisch zu verankern heißt, interaktive Tools und Applikationen mit zu berücksichtigen. Bilder, Audio- Dateien oder Videos hochladen, Tests und Umfragen ausfüllen, kurze Reporte in Foren zu schreiben – all das sind mögliche dezentrale Erfassungs- und Contentgenerierungsmöglichkeiten, die im mobilen Lern- Management-System mit aufzunehmen sind. Dabei gilt es vor allem sie so flexibel zu integrieren, dass sie für die konkrete Ausgestaltung von Lernsituationen ohne weiteren Entwicklungs- bzw. Implementierungsaufwand immer neu arrangiert zur Anwendung kommen können“ (Jarosch/Hofmann 2010, S. 8).
Dieses der Projektskizze „SmartMobile“ des etz Stuttgart308 entnommene Zitat steht beispielhaft für die neuen Möglichkeiten, die mobile Technologien für das Lernen im Prozess der Arbeit eröffnen. Gleichzeitig verweist es auf die Herausforderung für die Berufsbildung, die dafür notwendige Informationsund Lernumgebung zu konzipieren und im Rahmen von Pilotprojekten zu erproben, um sie dann auf Grundlage valider Erfahrungswerte breitflächig für den Einsatz im Arbeitsalltag verwenden zu können.
„Für den breiten Erfolg mobilen Lernens wird also entscheidend sein, wie gut durch Qualitätssicherung Prozesse zur Konzeption und Umsetzung kurzer Lerneinheiten standardisierbar sind … Der bereits erwähnte Trend zu immer kürzeren Abschnitten in der Interaktion und der Informationsaufnahme stellt die Didaktik vor die Aufgabe des Micro Learnings. Komplexe Sachverhalte sind in kurze und vor allem granulare Informationseinheiten einzuteilen und zu zergliedern“ (Jarosch/Hofmann 2010, S. 8).
Die Erprobung digitaler Anwendungsszenarien erfolgt am Beispiel vielfältiger Lern- und Arbeitsumgebungen, die u. a. mit Unterstützung von Fördermaßnahmen309 die Möglichkeiten eröffnen, die Lehr- und Lernhaltigkeit digitaler Medien für die berufliche Bildung zu erproben sowie übertragbare Modelle für den Einsatz in der Aus- und Weiterbildung und der Facharbeit zu entwickeln. Besonders mobile Anwendungen ermöglichen die Koppelung von Arbeitsprozessen mit Lernprozessen. Miteinander vernetzte fachliche Themen der täglichen Facharbeit können mithilfe von systematisierten kleinen Informationseinheiten reflektiert werden („Micro Learning“). Lernprozesse lassen sich durch die Einbindung in konkrete Aufgabenstellungen initiieren, Erfahrungsaustausch kann aktiviert und dokumentiert werden. Weitergegebenes Wissen wird durch Teilung mit Fachkollegen/-kolleginnen vermehrt und im Arbeitsprozess direkt neu generiert. Es kommt zu einer kontinuierlichen Optimierung von Arbeitsprozessen, getragen durch den eingebetteten arbeitsintegrierten Austausch von Informationen. Technologischer Wandel kann mithilfe solcher beruflicher Qualifizierungsprozesse durch die Fachkräfte bewältigt werden.
Die zunehmende Verbreitung mobiler Endgeräte stellt aber auch neue Fragen der angemessenen Vermittlung zu Fragen des Urheberrechts, zum Thema Jugendschutz und der (Daten-)Sicherheit in Betrieben. Die notwendige Sensibilität und das Know-how im Umgang mit internen Daten, der Übermittlung von Fachinhalten und privaten Botschaften existieren (noch) nicht im wünschenswerten Maße. Hierdurch kann eine Barriere entstehen, die den Einsatz für Lehr- und Lernzwecke erschwert.