A4.9 Jugendliche mit Migrationshintergrund
Der Migrationshintergrund von Jugendlichen ist für den allgemein- wie berufsbildenden Bildungsverlauf von großer Bedeutung. Dies gilt für die Übergangs- und Einmündungsprozesse an der ersten Schwelle genauso wie für die Ausbildung selbst. Seit Jahren werden die Schwierigkeiten junger Menschen mit Migrationshintergrund im Übergang Schule – Ausbildung thematisiert. Neben dem Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2009, 2010 und 2011 greift auch der erste indikatorengestützte Integrationsbericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2009), der sich bei den in diesem Zusammenhang verwendeten Indikatoren u. a. auf die BA / BIBB-Bewerberbefragung stützt, dieses Thema auf. Die Ausbildungsbedingungen selbst und der Ausbildungsverlauf junger Menschen mit Migrationshintergrund stehen zurzeit hingegen kaum im Fokus von Forschung und Bildungspolitik. Auch die Binnendifferenzierung zwischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund erfährt bisher zu wenig Aufmerksamkeit. Dabei ist die Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund sehr heterogen sowohl hinsichtlich ihrer Migrationsgeschichte als auch bezüglich ihrer schulischen Voraussetzungen und ihrer Lebenslagen. Die Definition dieser Zielgruppe ist uneinheitlich, und es gibt eine breite Diskussion um den Begriff „Migrationshintergrund“, der als sozialwissenschaftliches Konstrukt zu verstehen ist.
Das folgende Kapitel stellt aktuelle Forschungsergebnisse zu den Einmündungschancen junger Menschen mit Migrationshintergrund differenziert nach Geschlecht sowie zur Bedeutung des Migrationshintergrundes in der betrieblichen Ausbildung dar.
E Migrationshintergrund
Das Konstrukt „Migrationshintergrund“ kann in sehr unterschiedlicher Weise operationalisiert werden. Der Blick auf aktuelle Erhebungen und Studien zeigt, dass die Definition des Begriffs nach verschiedenen Kriterien erfolgt: In der empirischen Berufsbildungsforschung des BIBB wird meist die aktuelle Staatsangehörigkeit und die Muttersprache (bzw. die als erste erlernte / n Sprache / n) herangezogen, teilweise auch das Geburtsland oder in Deutschland verbrachte Zeiten. Studien, die sich auf den Mikrozensus stützen, können auf die Variablen Staatsangehörigkeit, Einbürgerung, Geburtsland und auf entsprechende Angaben zu den Eltern zurückgreifen. Außerdem wird im Mikrozensus zwischen Personen mit eigener Migrationserfahrung (Ausländer, Deutsche, d. h. [Spät-]Aussiedler und Eingebürgerte) sowie Personen ohne eigene Migrationserfahrung (Ausländer der 2. und 3. Generation, Deutsche, d. h. Eingebürgerte und Deutsche mit mindestens einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil) unterschieden.
Unterschiedliche Definitionen führen nicht nur zu quantitativen Unterschieden der jeweils als Personen mit Migrationshintergrund bestimmten Gruppe, sondern können auch qualitative Konsequenzen nach sich ziehen, wenn man zu unterschiedlichen Aussagen, z. B. hinsichtlich des Bildungserfolgs, kommt. Forschende sowie Nutzer von Studien über Personen mit Migrationshintergrund sollten daher die jeweils verwendeten Kriterien offenlegen bzw. deren Auswahl beachten (vgl. Settelmeyer / Erbe 2010; Statistisches Bundesamt 2010).
(Anke Settelmeyer, Jessica Erbe)
Übergangsprozesse junger Frauen und Männer mit Migrationshintergrund an der ersten Schwelle
Die Übergangsprozesse von der allgemeinbildenden Schule in eine Berufsausbildung sind gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund oft besonders schwierig und langwierig (Eberhard / Ulrich 2011; Beicht / Granato 2009; Diehl / Friedrich / Hall 2009). Die Betrachtung der Ausbildungsbeteiligungsquote von ausländischen Jugendlichen zeigt, dass diese 2009 – wie auch in den vergangenen Jahren – mit 31,4 % sehr niedrig ist (vgl. Kapitel A4.5; Gericke / Uhly 2010). Bei deutschen Jugendlichen ist die Ausbildungsbeteiligungsquote mit 64,3 % mehr als doppelt so hoch wie bei ausländischen Jugendlichen (vgl. Tabelle A4.5-3). Weitere Unterschiede zeigen sich bei der Differenzierung nach Geschlecht. Die Ausbildungsbeteiligungsquote junger Frauen ausländischer Nationalität beträgt 29,1 %, die junger Männer ausländischer Nationalität 33,6 % (vgl. Tabelle A4.5-3). Die Ausbildungsbeteiligungsquote deutscher Frauen liegt mit 55,5 % rund 25 Prozentpunkte höher als die ausländischer junger Frauen, die der männlichen deutschen Jugendlichen mit 72,7 % sogar fast 40 Prozentpunkte über derjenigen männlicher Jugendlicher ausländischer Nationalität. Weitere Analysen zu ausländischen Auszubildenden nach Berufsgruppen und anderen Merkmalen finden sich in Kapitel A4.5
Die Ausbildungsbeteiligungsquote wird auf Basis der Berufsbildungsstatistik errechnet. Diese erfasst als Indikator für den Migrationshintergrund aber lediglich die ausländische Staatsangehörigkeit (vgl. Kapitel A4.5; Gericke / Uhly 2010), sodass sich die Aussagen zur Teilhabe junger Menschen mit Migrationshintergrund an beruflicher Ausbildung, nur auf die Teilgruppe der Auszubildenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit beziehen. Auf die Frage, wie es zu den oben genannten Unterschieden in der Ausbildungsbeteiligung der Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund kommt, liefert die amtliche Statistik (z. B. Berufsbildungsstatistik, Schulstatistik) keine Informationen. Zur Untersuchung der Übergangsprozesse von der allgemeinbildenden Schule in die Berufsausbildung muss deshalb auf Stichprobenerhebungen – wie die BIBB-Übergangsstudie 2006 – zurückgegriffen werden.
Im Folgenden werden anhand der Daten der BIBB-Übergangsstudie 2006 die Einmündungschancen von Schulabsolvierenden mit und ohne Migrationshintergrund in eine vollqualifizierende Ausbildung betrachtet und differenzierte Ergebnisse für junge Frauen und Männer dargelegt.
E BIBB-Übergangsstudie 2006
In der BIBB-Übergangsstudie 2006 wurden auf der Grundlage einer repräsentativen Stichprobe mittels computergestützter Telefoninterviews 7.230 Jugendliche der Geburtsjahrgänge 1982 bis 1988 befragt. Es handelt sich um eine retrospektive Längsschnittdatenerhebung, in der die gesamte Bildungs- und Berufsbiografie erfasst wurde (vgl. Beicht / Friedrich / Ulrich 2008).
Berücksichtigt werden bei den hier vorgestellten Analysen ausschließlich Untersuchungsteilnehmer / -innen, die die allgemeinbildende Schule bereits vor dem Jahr 2006 verlassen hatten und für die somit Informationen über den weiteren Werdegang vorliegen. Dies trifft auf rund 5.500 Befragungspersonen zu, von denen über 1.000 (23 %) einen Migrationshintergrund haben. Je nach Fragestellung bzw. Art der Analyse ist die zugrunde liegende Fallzahl allerdings deutlich kleiner.
Der Migrationshintergrund wird indirekt definiert: Kein Migrationshintergrund wird angenommen, wenn ein Jugendlicher die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, zudem als Kind in der Familie zuerst ausschließlich die deutsche Sprache gelernt hat und außerdem Vater und Mutter in Deutschland geboren sind. Treffen diese Bedingungen nicht vollständig zu, wird von einem Migrationshintergrund ausgegangen.
Auf Grundlage der BIBB-Übergangsstudie lässt sich zeigen: Junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund haben nach Beendigung der allgemeinbildenden Schule ein vergleichbar hohes Interesse an einer Berufsausbildung wie junge Frauen und Männer ohne Migrationshintergrund (Beicht / Granato 2010; Diehl / Friedrich / Hall 2009). Dies gilt auch bei einer Differenzierung nach Schulabschlüssen (Beicht / Granato 2010). Bei den angewandten Strate gien der Ausbildungsplatzsuche gibt es gleichfalls keine wesentlichen Unterschiede zwischen jungen Frauen und Männern mit bzw. ohne Migrationshintergrund (Beicht / Granato 2010). Wie sieht es angesichts vergleichbarer Bildungsziele und Suchstrategien mit den Einmündungschancen junger Frauen und Männer mit bzw. ohne Migrationshintergrund in eine berufliche Ausbildung aus?
Auf Grundlage der BIBB-Übergangsstudie lässt sich zeigen: Junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund haben nach Beendigung der allgemeinbildenden Schule ein vergleichbar hohes Interesse an einer Berufsausbildung wie junge Frauen und Männer ohne Migrationshintergrund (Beicht / Granato 2010; Diehl / Friedrich / Hall 2009). Dies gilt auch bei einer Differenzierung nach Schulabschlüssen (Beicht / Granato 2010). Bei den angewandten Strate gien der Ausbildungsplatzsuche gibt es gleichfalls keine wesentlichen Unterschiede zwischen jungen Frauen und Männern mit bzw. ohne Migrationshintergrund (Beicht / Granato 2010). Wie sieht es angesichts vergleichbarer Bildungsziele und Suchstrategien mit den Einmündungschancen junger Frauen und Männer mit bzw. ohne Migrationshintergrund in eine berufliche Ausbildung aus?
Werden alle Schulabgänger / -innen (einschließlich derjenigen mit Fachhochschulreife und Abitur) einbezogen, so schneiden bei der Suche nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz junge Frauen mit Migrationshintergrund mit Abstand am ungünstigsten ab. Wie Schaubild A4.9-1 verdeutlicht, sind ein Jahr nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule lediglich 34 % von ihnen in eine entsprechende Ausbildung eingemündet, und selbst nach 3 Jahren sind es nur 59 %. Ein wenig besser gelingt jungen Männern mit Migrationshintergrund und jungen Frauen deutscher Herkunft der Übergang in betriebliche Ausbildung. Mit Abstand am erfolgreichsten sind allerdings junge Männer deutscher Herkunft, ihre Übergangsquote beträgt nach einem Jahr bereits 68 % und nach 3 Jahren 86 %.
Ein kleinerer Teil der Jugendlichen, insbesondere junge Frauen, ziehen bei ihrer Ausbildungsplatzsuche auch eine Ausbildung in Schulberufen in Betracht (Beicht / Granato 2010). Werden diese Jugendlichen mit einbezogen und die Einmündung in alle vollqualifizierenden Formen der Berufsausbildung (betrieblich, außerbetrieblich oder schulisch) berücksichtigt, so verbessert sich insbesondere der Übergangserfolg junger Frauen deutscher Herkunft relativ stark Schaubild A4.9-1. Junge Frauen mit Migrationshintergrund profitieren von den nicht betrieblichen Ausbildungsformen weniger stark, erreichen aber zumindest fast ebenso hohe Einmündungsquoten wie männliche Migranten. Die Aussichten von Schulabsolventinnen und -absolventen mit Migrationshintergrund, nach Schulende rasch in eine vollqualifizierende Ausbildung einzumünden, erweisen sich somit als wesentlich geringer als die junger Frauen und Männer ohne Migrationshintergrund. Als wesentliche Ursache für den erschwerten Zugang zu beruflicher Ausbildung galten lange Zeit die ungünstigeren schulischen Voraussetzungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Schulabgänger / -innen mit Migrationshintergrund verfügen am Ende der allgemeinbildenden Schulzeit wesentlich seltener über weiterführende Schulabschlüsse als einheimische Schulabgänger / -innen (Beicht / Granato 2010). Den schulischen Voraussetzungen kommt beim Übergang an der ersten Schwelle eine besondere Bedeutung zu. Ein formal höheres Bildungsniveau gilt als Zeichen für Leistungsfähigkeit und -motivation und ist ein wichtiges Entscheidungskriterium bei Auswahlprozessen am Ausbildungsmarkt (vgl. Imdorf 2009). Nach den Ergebnissen der BIBB-Übergangsstudie unterscheiden sich Dauer und Wahrscheinlichkeit des Übergangs in eine Berufsausbildung deutlich nach der Höhe des erreichten Schulabschlusses am Ende der allgemeinbildenden Schulzeit (Beicht / Friedrich / Ulrich 2008). Zwar wirken sich gute schulische Voraussetzungen wie ein weiterführender Schulabschluss – bei einheimischen wie eingewanderten Jugendlichen – als förderlich aus, jedoch in sehr unterschiedlichem Maße (Beicht / Granato 2009). Wie aus den folgenden Analysen hervorgeht, gilt dies auch bei der Differenzierung nach Geschlecht.152
Wie Tabelle A4.9-1 zeigt, ist die Situation junger Frauen mit Migrationshintergrund besonders ungünstig: Bei maximal einem Hauptschulabschluss sind ihre Aussichten, in eine betriebliche Ausbildung einzumünden, sowohl im Vergleich zu Männern mit Migrationshintergrund als auch zu Frauen deutscher Herkunft noch wesentlich schlechter. Ein Jahr nach Beendigung der allgemeinbildenden Schule sind von den Schulabgängern mit maximal Hauptschulabschluss, die einen betrieblichen Ausbildungsplatz suchten, 27 % der jungen Frauen mit Migrationshintergrund, 39 % der jungen Frauen ohne Migrationshintergrund und 42 % der jungen Männer mit Migrationshintergrund in eine betriebliche Ausbildung eingemündet. Zwar steigen die Einmündungschancen junger Frauen mit Migrationshintergrund nach 3 Jahren – dennoch bleibt ein größerer Abstand zu Frauen ohne bzw. zu Männern mit Migrationshintergrund bestehen.
Durch die stärkere Wahrnehmung nicht betrieblicher Ausbildungsmöglichkeiten holen junge Migrantinnen mit maximal einem Hauptschulabschluss zwar Voraussetzungegenüber Männern mit Migrationshintergrund auf; sie erreichen aber auch bei Berücksichtigung aller vollqualifizierenden Ausbildungsformen mit 41 % innerhalb eines Jahres und 67 % innerhalb von 3 Jahren bei Weitem nicht die Übergangsquoten von Frauen deutscher Herkunft mit maximal Hauptschulabschluss (im ersten Jahr 55 %, innerhalb von 3 Jahren 78 %).
Liegt ein mittlerer Schulabschluss vor, so münden junge Migrantinnen im Verlauf von 3 Jahren ebenfalls etwas seltener in eine betriebliche Ausbildung ein (72 %) als männliche Migranten (78 %) und Frauen ohne Migrationshintergrund (78 %; Tabelle A4.9-1). Bei zusätzlicher Einbeziehung der schulischen und außerbetrieblichen Ausbildung erhöhen sich die Unterschiede noch, da nicht betriebliche Ausbildungsformen von jungen Frauen mit Migrationshintergrund weniger stark genutzt werden (können). Realschulabsolventinnen mit Migrationshintergrund sind innerhalb von 3 Jahren zu 76 % in eine vollqualifizierende Ausbildung eingemündet, diejenigen ohne Migrationshintergrund hingegen zu 91 %. Dies liegt möglicherweise an der großen Konkurrenz mit Frauen deutscher Herkunft um berufsfachschulische Ausbildungsplätze (vgl. Diehl / Friedrich / Hall 2009).
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Schulabschlüsse bei Weitem nicht die einzige Erklärung für die unterschiedlichen Übergangschancen in Berufsausbildung von jungen Frauen und Männern mit und ohne Migrationshintergrund darstellen. Auf Basis der BIBB-Übergangsstudie lässt sich nachweisen, dass über die Schulabschlüsse hinaus noch andere wichtige Faktoren existieren, die den Übergang in eine vollqualifizierende Ausbildung beeinflussen, unter anderem auch die soziale Herkunft. Diese hat ebenfalls einen (statistisch signifikanten) Einfluss auf die Einmündungsquoten in eine betriebliche Ausbildung: Die ungünstigere soziale Herkunft junger Frauen und Männer mit Migra tionshintergrund, d. h. die geringere Schul- und Berufsbildung der Eltern, der niedrigere Berufsstatus des Vaters, wirkt sich neben ihren eigenen schlechteren schulischen Voraussetzungen hemmend auf ihren Übergangserfolg aus (Beicht / Granato 2010). Aber auch die weniger günstigen sozialen Verhältnisse bieten keine hinreichende Erklärung für die geringeren Einmündungschancen von Schulabsolventinnen und -absolventen mit Migrationshintergrund in eine berufliche Ausbildung: Selbst unter Berücksichtigung all dieser Faktoren bleibt noch ein eigenständiger Effekt des Migrationshintergrunds bestehen (Beicht / Granato 2010). Dies bedeutet, dass junge Frauen wie Männer mit Migrationshintergrund selbst unter den gleichen Voraussetzungen in Bezug auf Schulabschluss, Schulnoten, soziale Herkunft und soziale Einbindung schlechtere Chancen haben, einen betrieblichen bzw. vollqualifizierenden Ausbildungsplatz zu erhalten, als junge Frauen und Männer ohne Migrationshintergrund. Somit sind über die berücksichtigten Faktoren hinaus offenbar weitere Einflussgrößen wirksam, die in Verbindung mit dem Migrationshintergrund stehen, aber mit den hier herangezogenen Daten nicht identifiziert werden können. Welche Faktoren es sind, die zu dem erheblich geringeren Übergangserfolg in Berufsausbildung bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund führen, konnte bislang noch nicht abschließend geklärt werden.
Schaubild A4.9-1: Wahrscheinlichkeit der Einmündung in eine betriebliche bzw. vollqualifizierende Berufsausbildung nach Verlassen des allgemeinbildenden Schulsystems – Frauen und Männer mit und ohne Migrationshintergrund (MH)
Tabelle A4.9-1: Wahrscheinlichkeit der Einmündung in eine betriebliche bzw. vollqualifizierende Berufsausbildung nach Verlassen des allgemeinbildenden Schulsystems – nicht studienberechtigte Frauen und Männer mit und ohne Migrationshintergrund
Zusammenfassung
Nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule streben junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund – ebenso wie diejenigen ohne Migrationshintergrund – stark in eine duale Berufsausbildung. Ihre Aussichten auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz sind verglichen mit jungen Frauen bzw. Männern ohne Migrationshintergrund jedoch wesentlich schlechter. Durch die schulischen und außerbetrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten verbessern sich die Zugangschancen junger Migrantinnen und Migranten in Berufsausbildung zwar etwas, vor allem diejenigen junger Frauen mit Migrationshintergrund. Dennoch bleiben die Unterschiede im Vergleich zu weiblichen bzw. männlichen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund beträchtlich.
Die schulischen Voraussetzungen haben einen deutlichen Einfluss auf die Einmündungschancen in eine vollqualifizierende Ausbildung. Die Einmündung junger Migrantinnen und Migranten in eine betriebliche bzw. vollqualifizierende Ausbildung wird zwar durch ihre schlechteren schulischen Voraussetzungen erschwert, diese reichen jedoch keineswegs zur Erklärung ihrer geringeren Chancen auf einen Ausbildungsplatz aus. Selbst bei gleichen schulischen Voraussetzungen und gleichen Voraussetzungen in Bezug auf soziale Herkunft und soziale Einbindung haben insbesondere junge Frauen, aber auch junge Männer mit Migrationshintergrund erheblich geringere Chancen als die Vergleichsgruppen ohne Migrationshintergrund, in eine vollqualifizierende Ausbildung einzumünden (vgl. Beicht / Granato 2010). Diese Ergebnisse sprechen „für eine strukturelle Benachteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung“ – so lautet die Schlussfolgerung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2010, S. 164) in seinem Jahresgutachten, der sich bei den Analysen zu den Einmündungschancen junger Migranten in Ausbildung auf Resultate der BIBB-Übergangsstudie stützt.
(Ursula Beicht, Mona Granato)
Der Migrationshintergrund in der betrieblichen Ausbildung: Merkmale und ihre Bewertung
Aspekte des Migrationshintergrundes von Auszubildenden sind nicht allein an der ersten Schwelle von Bedeutung, sondern auch innerhalb der betrieblichen Ausbildung selbst. Dies zeigen Ergebnisse des BIBB-Forschungsprojekts „Handlungskompetenz und Migrationshintergrund“.
Die Analyse macht deutlich, dass es „den“ Migrationshintergrund nicht gibt. Vielmehr wird eine ganze Reihe von Merkmalen mit der Herkunft von Personen im Sinne ihrer Verbundenheit mit (mindestens) einem anderen Land als Deutschland, einer anderen Ethnie oder Kultur in Zusammenhang gebracht. Ausführliche Interviews mit Auszubildenden und Ausbildern / Ausbilderinnen machen deutlich, dass neben den Merkmalen, die üblicherweise zur Bestimmung eines Migrationshintergrunds herangezogen werden (z. B. Staatsangehörigkeit, Einbürgerung, Geburtsland und entsprechende Angaben zu den Eltern; vgl. vorne in diesem Kapitel), auch ganz andere Aspekte im Ausbildungsalltag relevant werden können. Dies betrifft phänotypische Merkmale wie Hautfarbe, Namen, normative Orientierungen, die sich z. B. bei Betriebsfeiern im Verzicht auf Alkohol und Schweinefleisch äußern können, oder auch sprachliche Besonderheiten wie einen Akzent, Fehler beim Gebrauch der deutschen Sprache oder spezielle Sprachkenntnisse (vgl. Bethscheider / Settelmeyer 2011).
Der Stellenwert, der dem Migrationshintergrund von Auszubildenden in der Ausbildung zukommt, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Ob etwa die im Einzelfall vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse vor allem als fehlerhaft und damit unzureichend bewertet oder im Vertrauen auf absehbare Lernprozesse als Grundlage der Ausbildung akzeptiert werden, ob die Einhaltung von Essensvorschriften pragmatisch berücksichtigt oder – wie im Interview beschrieben, im Betrieb unausgesprochen – abgewertet wird und ob der spontane Gebrauch einer fremden Herkunftssprache als Ausdruck der betrieblichen Normalität respektiert wird oder Misstrauen erregt, variiert je nach Gruppe und Betrieb.
Von Bedeutung sind – in Kombination mit der Ausprägung eines Merkmals bei einzelnen Auszubildenden – dabei auch die Erfahrungen und Bewertungen der im Betrieb agierenden Personen (Ausbilder / -in, Kollege / Kollegin, Kunde / Kundin, Auszubildende). Dies zusammen wirkt sich auf die Kommunikation und das Klima im Betrieb aus und hat einen Einfluss auf die Vermittlung und den Erwerb beruflicher Handlungskompetenz im Ausbildungsprozess.
(Monika Bethscheider, Anke Settelmeyer)