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DATENREPORT ZUM BERUFSBILDUNGSBERICHT 2012

C1 Reformdiskussionen und Strukturreformen

Bereits 2007 hatte der Innovationskreis berufliche Bildung in seine „10 Leitlinien zur Modernisierung und Strukturverbesserung der beruflichen Bildung“ 3 Aspekte aufgenommen, die zum Übergang gehören: Die Verbesserung der Ausbildungsreife soll vor allem durch die Stärkung von Berufsorientierung, durch individuelle Betreuung und Begleitung von der Schule bis zum Übergang in Ausbildung und Beschäftigung sowie durch die Verknüpfung von Schulunterricht und Praxiserfahrung erreicht und unterstützt werden. Die Ausbildungsvorbereitung für Benachteiligte soll durch konzertierte Regionalinitiativen und -netzwerke und die Koordinierung der Instrumente zur Benachteiligtenförderung optimiert werden. Optimiert werden sollen auch Übergänge, und zwar dadurch, dass Wege in betriebliche Ausbildung – speziell auch für Altbewerber / -innen – durch anschlussfähige und anrechenbare Qualifizierungsmaßnahmen gesichert werden, insbesondere durch Zulassung zur Externenprüfung, durch Ausbildungsbausteine sowie durch den Ausbau der Einstiegsqualifizierungen. Die Leitlinien beziehen sich also auf 3 Handlungsfeldern: die Schule, den Übergang zwischen Schulabschluss und Ausbildung und den Übergang von Maßnahmen in Ausbildung und Beruf. Zielgruppen sind Schüler / -innen mit schwächeren Schulleistungen, benachteiligte Jugendliche, darunter vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund, und Altbewerber / -innen.309

Ebenfalls im Jahr 2007 verabschiedete der Hauptausschuss des BIBB ein Positionspapier zur „Ausbildung für Altbewerber über Ausbildungsbausteine“ (vgl. Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung 2007) sowie die Empfehlung „Handlungsvorschläge für die berufliche Qualifizierung benachteiligter junger Menschen“ (vgl. Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung 2008). Beides wurde zielgruppenbezogen stark ausdifferenziert. Das Positionspapier zu den Ausbildungsbausteinen bezieht sich auf die Zielgruppe Altbewerber / -innen, wobei diese teilweise sehr heterogen gesehen wird. Es wird dafür plädiert, dass spezielle Maßnahmen für diese Zielgruppe zeitlich begrenzt sein sollen, nämlich bis zur Veränderung der demografischen Entwicklung und der Verringerung der Anzahl der Schulabsolventen / -absolventinnen. Die Empfehlung enthält eine weit gefasste Definition der jungen Menschen, die als benachteiligt gelten, und ebenso breit gefächerte Handlungsvorschläge, um deren individuellen Unterstützungsbedarfen gerecht werden zu können.

Hier schlagen sich die vielfältigen Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Benachteiligtenpädagogik und -förderung nieder, wie sie speziell durch das Good Practice Center zur Förderung von Benachteiligten in der Berufsbildung (GPC) des BIBB dokumentiert und verbreitet werden.310 Dazu gehört die Hervorhebung des Lernorts Betrieb auch für Benachteiligte, Angebote zur Begleitung beim Übergang in die Ausbildung, der stärkere Einsatz von Qualifizierungsbausteinen mit dem Ziel der Verbesserung von Chancen auf eine betriebliche Ausbildung sowie eine Verbesserung der Kooperation der Akteure vor Ort.

Die Diskussionen und Vorschläge zur besseren Gestaltung von Übergängen zwischen Schule und Ausbildung bezogen auch kommunale Ansätze und Verantwortungsstrukturen mit ein. Sie fanden Eingang in die „Weinheimer Erklärung“ von 2007, in der Expertinnen und Experten aus Kommunen, Betrieben, Stiftungen, Verbänden, Instituten und zivilgesellschaftlichen Projekten vorschlagen, wie öffentliche Verantwortung für Bildung, Ausbildung und Zukunftsperspektiven vor allem auch durch lokale Verantwortungsgemeinschaften und kommunale Koordinierung wahrgenommen werden sollte (Freudenbergstiftung 2007).

Die Kooperation der Akteure vor Ort zur Umsetzung effektiver Modelle von Übergangsmanagement wurde auch aus Sicht des Bundes ein wichtiges Thema. Von 2008 bis 2010 wurden im Programm „Perspektive Berufsabschluss“ entsprechende Projekte gefördert. Dabei sollten vorhandene Förderangebote und Unterstützungsleistungen so aufeinander abgestimmt werden, dass Jugendlichen der Übergang von der Schule in eine Ausbildung erleichtert wird. Während die erste Förderrunde auf „eine effektivere zielgruppenbezogene Förderung Jugendlicher“ ausgerichtet war, zielt die zurzeit laufende zweite Förderrunde darauf ab, die gesammelten Erfahrungen dafür zu nutzen, „Kooperationsstrukturen und strukturelle Verantwortung so zu gestalten, dass die Instrumente der Förderung flexibler, bedarfs- und zielgruppenorientierter genutzt werden können“.311

2009 befasste sich eine „Vereinbarung der Partner des Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland, der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Integrationsbeauftragten mit der Kultusministerkonferenz“ mit den beiden Zielen „Ausbildungsreife sicherstellen – Berufsorientierung stärken“. Unter Einbeziehung der bisherigen Impulse und Konzepte wird dafür plädiert, aus einzelnen Projekten Regelangebote zu schaffen und bundesweit in der Praxis zu verankern. Zur Förderung Jugendlicher mit Lernproblemen sollen bundesweit bedarfsgerecht Praxisklassen angeboten werden. Berufsorientierung soll an allen Schulen eingeführt und, in Kombination damit, das Übergangsmanagement unter Nutzung positiver Erfahrungen aus einigen Ländern optimiert sowie die regionale Zusammenarbeit zwischen Schulen und Betrieben ausgebaut werden.312

Im Jahr 2010 erschienen die „Eckpunkte der Initiative ‚Übergänge mit System‘“, die Erfahrungen und Vorschläge aus den zunächst 5 beteiligten Bundesländern umfassen, die sich in der Initiative der Bertelsmann Stiftung engagierten. Mit der Unterscheidung zwischen 2 „Strängen“ im Übergangsbereich soll ein transparentes System zwischen Schule und Arbeitswelt gefördert werden: Der Strang für nicht ausbildungsreife Jugendliche beinhaltet Angebote, mit denen die Ausbildungsreife und eine abschlussorientierte Berufsausbildung erreicht werden soll. Der Strang für ausbildungsreife Jugendliche ohne Ausbildungsplatz beinhaltet keine Übergangsmaßnahmen, sondern 3 Segmente: duale Ausbildung, Ausbildung durch Schulen und Ausbildung bei Bildungsträgern (Bertelsmann Stiftung 2010).

Angesichts der Kritik, dass Übergangsmaßnahmen eher Umwege als Wege in eine Berufsausbildung seien, wozu auch die Vielzahl und Unübersichtlichkeit des Maßnahmespektrums beitrage, wurde die Frage der Gestaltung des Übergangs nun auch stärker unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert. Dazu war es erforderlich, einen systematischen Überblick über alle Maßnahmen und Angebote sowie deren Kosten zu gewinnen. Im Rahmen der Initiative „Übergänge mit System“ wurden entsprechende Studien über Ausgaben und Einsparmöglichkeiten auf Bundes- und Länderebene, bei der BA sowie bei weiteren Trägern (Unternehmen, Jugendhilfe, karitative Einrichtungen) erstellt (Werner / Neumann / Schmidt 2008). Ein Fazit der Studie lautete: „… von einem geschlossenen Konzept zwischen den 4 Zielbereichen der Integration Jugendlicher, namentlich der Berufsorientierung, der Berufsvorbereitung, der Förderung von Ausbildungsplätzen und der Integration an der zweiten Arbeitsmarktschwelle, (kann) in der deutschen Förderlandschaft derzeit nicht die Rede sein“ (ebda, S. 318).

Ein Zuviel an Maßnahmen und Kosten im Übergangsbereich wird in den letzten beiden Jahren in der bildungspolitischen Diskussion immer häufiger unter 2 Aspekten – der Entspannung der Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt und der demografischen Entwicklung – thematisiert (vgl. Euler 2010). Das Hauptaugenmerk liegt darauf, dass bei weniger Jugendlichen die Zahl der unversorgten Ausbildungsplatzbewerber / -innen sinken werde und dass zugleich Betriebe dazu neigen werden, auch Jugendliche mit schwächeren Schulleistungen einzustellen. Aus dieser veränderten Konstellation ergibt sich aus Sicht der Bundesregierung die Notwendigkeit, „Programme und Förderinstrumente für junge Menschen zur Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit besser aufeinander abzustimmen und – wo es sinnvoll und möglich ist – zu bündeln“ (Koalitionsvertrag von CDU / CSU und FDP, Rz 2717 ff.). Mit dieser Aufgabe wurde eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe beauftragt, die Ziele und Handlungsschwerpunkte am Übergang Schule – Beruf (neu) definieren will und – angesichts der veränderten Lage am Ausbildungsstellenmarkt – dafür plädiert, Programme für „marktbenachteiligte“ junge Menschen einzustellen. 313 Auch von der Ressort-AG werden Maßnahmen des Bundes und der Länder überprüft, um etwaige Überschneidungen zu erkennen.314 Die Ressort-AG empfiehlt, eine Bund-Länder-AG einzurichten, in der Förderungen von Bund und Ländern im Übergangsbereich koordiniert und abgestimmt werden sollen.

Ganz im Sinne von koordinierten Maßnahmen hilft die im Jahr 2010 auf den Weg gebrachte BMBFInitiative „Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“ Jugendlichen dabei, sich auf den Schulabschluss und ihren beruflichen Einstieg vorzubereiten und den Ausbildungsabschluss zu erreichen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) setzt hierbei auf die systemische, bundesweite Umsetzung bereits in der Praxis erprobter und erfolgreicher Instrumente und verzahnt diese miteinander. So soll in Kooperation mit den Ländern, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), der BA und dem BIBB ein neuer konzeptioneller Rahmen geschaffen werden, um die präventive Förderung junger Menschen auszuweiten und möglichst zu verstetigen.

Auch der Hauptausschuss des BIBB hatte sich in seiner Empfehlung „Leitlinien zur Verbesserung des Übergangs Schule – Beruf“ im Jahre 2011 erneut an der Diskussion beteiligt (Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung 2011). Er unterstreicht insbesondere den Vorrang regulärer betrieblicher Ausbildung. Die Empfehlung des Hauptausschusses hat keine zielgruppenbezogene Ausrichtung, sondern formuliert Leitlinien, an denen das „Übergangsmanagement“ – im Sinne der Organisation des Übergangsbereichs – ausgerichtet sein soll: Es soll frühzeitig vorbereiten, individuell fördern, begleiten und beraten, Nähe zur Berufs- und Betriebspraxis haben, regional koordiniert und gesteuert werden, transparent und anschlussfähig sein und prozessbegleitend evaluiert werden. Hier wird das Thema Übergang nun zu einer Normalität im Feld der Bildungspolitik und verliert seinen bisherigen Status als Sonderthema für spezielle Zielgruppen zwischen Schule, Ausbildung und Beruf.

Das Übergangsgeschehen ist komplex und vielschichtig. Eine Studie des BIBB zeigt, dass die Übergangsprozesse zwischen den beiden Extremen „Verbesserung von Ausbildungschancen“ und „Warteschleifen“ liegen können und deshalb eine differenzierte Be- wertung erforderlich ist (Beicht 2009). So konnten beispielsweise Jugendliche, die in teilqualifizierende Berufsfachschulen einmündeten, zum großen Teil einen höherwertigen Schulabschluss erwerben und dadurch ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz verbessern. Teilnehmende an berufsvorbereitenden Maßnahmen (BVB / BVJ, BGJ) gelangten hingegen viel seltener zu einem höheren Schulabschluss, der Anteil, der in betriebliche Berufsausbildung einmündete, war geringer, und der Übergangsprozess dauerte länger. Zahlreiche Jugendliche, die direkt nach der Schule eine Übergangsmaßnahme begonnen haben, nach dieser aber keine Ausbildung beginnen konnten, sondern erneut in eine Übergangsmaßnahme eingemündet sind, laufen Gefahr, auf Dauer ohne Ausbildung zu bleiben (ebda., S. 14, vgl. Kapitel A9.3). Auch unter dem Aspekt der Übergangschancen ist es notwendig, den Übergangsbereich differenziert zu betrachten.

Fußnoten

309 Vgl. http://www.bmbf.de/pub/leitlinien_innovationskreis.pdf.

310 Vgl. http://www.good-practice.de/.

311 Vgl. http://www.perspektive-berufsabschluss.de/de/215.php.

312 Vgl. http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_06_19-Ausbildungsreife-Berufsorientierung.pdf.

313 Vgl. http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Meldungen/bericht-zur-besseren-abstimmung-foerderprogramme.pdf?__blob=publicationFile.

314 Auch auf Länderebene werden entsprechende Systematiken entwickelt (vgl. z. B. Krüger-Charlé / Leisering / Rolff 2011).

Bibliografischer Hinweis

Internetversion des BIBB-Datenreports zum Berufsbildungsbericht 2012 - Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn (2012).

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