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DATENREPORT ZUM BERUFSBILDUNGSBERICHT 2012

B3.6 Tarifverträglich geregelte Finanzierung der beruflichen Weiterbildung

Tarifliche Regelungen zur betrieblichen Weiterbildung und Qualifizierung wurden in den letzten Jahren in einer Reihe großer Tarifbereiche wie z. B. in der chemischen Industrie (2003), der Metall- und Elektroindustrie (2001 / 2006) und im öffentlichen Dienst (2005 / 2006) vereinbart. Der Geltungsbereich allein dieser neuen Tarifabkommen umfasst etwa 5 Mio. Beschäftigte (Bahnmüller / Hoppe 2011).

Qualifizierungstarifverträge regeln meist Verfahrensfragen der betrieblichen Weiterbildung, die häufig durch freiwillige Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Betriebs- bzw. Personalräten detaillierter ausgestaltet werden können. Oft beinhalten die Qualifizierungstarifverträge einen verbindlichen „Anspruch auf ein regelmäßiges Gespräch mit der jeweiligen Führungskraft“ zur Feststellung des individuellen Qualifizierungsbedarfs wie z. B. beim Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD). Verbindliche Weiterbildungsansprüche, wie sie z. B. im Jahr 2009 für die Beschäftigten im Erziehungsdienst in den westdeutschen Kommunen tariflich vereinbart wurden, finden sich hingegen selten.

Die Mehrzahl der Qualifizierungstarifverträge hält am Prinzip der einzelbetrieblichen Weiterbildungsfinanzierung fest. Nur wenige Tarifverträge beteiligen über ein Fondssystem alle Betriebe des Tarifbereichs an der Weiterbildungsfinanzierung und begreifen damit die Qualifizierung von Fachkräften nicht mehr als einzelbetriebliches Problem, sondern als Herausforderung für die gesamte Branche.

Tariffonds zur Weiterbildungsfinanzierung

Der zentrale Ansatz eines tariflichen Branchenfonds zur Finanzierung betrieblicher Weiterbildung beruht auf der Entkopplung der betrieblichen Weiterbildungsentscheidung von der betrieblichen Weiterbildungsfinanzierung . So zahlen alle Betriebe, die einem solchen Tarifvertrag unterliegen, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Bruttolohnsumme oder einen festen Beitrag pro Beschäftigten in einen meist von beiden Tarifparteien paritätisch verwalteten Fonds ein Tabelle B3.6-1. Aus diesem Fonds können Betriebe, die in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten investieren, ihre Kosten refinanzieren.

E Tarifliche Branchenfonds zur Weiterbildungsfinanzierung

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2001 eingesetzte Expertenkommission „Finanzierung lebenslangen Lernens“ forderte in ihrem Abschlussbericht „die Tarifparteien und die betrieblichen Partner auf, die Instrumente der Arbeits- und Lernzeitkonten intensiv zu nutzen und ggf. auf tarifvertraglicher Ebene kollektive Finanzierungsregeln zu entwickeln, wie sie etwa in der Baubranche bekannt sind“ (Expertenkommission 2004).

Während die Empfehlung an die Sozialparteien, tarifliche Regelungen zu Lernzeiten zu vereinbaren, im Konsens erfolgte, blieb das Instrument tariflicher Finanzierungsregelungen in der Kommission umstritten. Lediglich für die Leiharbeitnehmer / -innen im expandierenden Zeitarbeitsmarkt empfahl die Kommissionsmehrheit die Einrichtung tariflicher Branchenfonds, da weder Verleiher noch Entleiher einen Anreiz hätten, in die Weiterbildung der Leiharbeiter / -innen mit ihren schnell wechselnden Arbeitsorten zu investieren. Um hier einen Anreiz für betriebliche Weiterbildungsaktivitäten zu schaffen, soll nach dem Vorbild anderer EU-Mitgliedstaaten ein geringer Prozentsatz der Lohnsumme in einen Fonds eingezahlt werden, aus dem die Leiharbeitsfirmen Weiterbildungsmaßnahmen für ihre Beschäftigten refinanzieren können. Die Kommission verweist hierbei u. a. auf die Einrichtung tariflicher Weiterbildungsfonds in der Leiharbeitsbranche der Niederlande. In den Niederlanden existieren tarifliche Branchenfonds zur Weiterbildungsfinanzierung jedoch nicht nur in der Leiharbeitsbranche, sondern spätestens seit den 1980er- Jahren in einer Vielzahl von Branchen. Mitte 2007 gab es in den Niederlanden 140 Aus- und Weiterbildungsfonds (O&O Fonds) in 116 Wirtschaftszweigen. 86 % der 6,9 Mio. Arbeitnehmer /- innen in den Niederlanden fallen unter diese O&O Fonds (Donker van Heel u. a. 2008, S. 10). Im Gegensatz dazu sind in Deutschland tarifliche Regelungen zur Einrichtung von Weiterbildungsfonds auf wenige kleine Branchen begrenzt (Berger / Moraal 2011).

Bahnmüller (2009) hebt 3 Vorteile der tariflichen Fondsfinanzierung hervor. So ermöglichen Tariffonds eine Weiterbildungsfinanzierung unabhängig von konjunkturellen Schwankungen und der aktuellen wirtschaftlichen Lage eines Betriebes, wenngleich die Beitragszahlung an die Beschäftigtenzahlen in der jeweiligen Branche gekoppelt ist und die Höhe der zur Verfügung stehenden Fondsmittel somit auch von der aktuellen Wirtschaftslage abhängig ist. Durch die paritätische Beteiligung von Arbeitgebern und Gewerkschaften orientieren sich Finanzierungsentscheidungen weniger an betrieblichen Einzelinteressen, sondern mehr am Bedarf der gesamten Branche. In eher klein- und mittelbetrieblich geprägten Branchen entlasten Tariffonds gerade kleinere Einzelbetriebe nicht nur finanziell, sondern auch bei der Organisation von Weiterbildungsmaßnahmen.

Tabelle B3.6-1: Tarifliche Branchenfonds zur Weiterbildungsfinanzierung für das Jahr 2011
Tabelle B3.6-1 (barrierefrei)


Tabelle B3.6-1: Tarifliche Branchenfonds zur Weiterbildungsfinanzierung für das Jahr 2011

Tariffonds beruhen auf „Kompensationstarifverträgen“ in eher kleinen Branchen

Trotz der hier genannten Vorteile stimmen die Arbeitgeberverbände einer Fondslösung zur Weiterbildungsfinanzierung oft erst dann zu, wenn die Gewerkschaften ihrerseits auf andere Forderungen verzichten. Insofern handelt es sich bei Qualifizierungstarifverträgen immer um sogenannte „Kompensationstarifverträge“, da der Finanzierungsbeitrag der Arbeitgeber meist durch Verzicht der Arbeitnehmer kompensiert wird. Beim Tariffonds der Textil- und Bekleidungsindustrie nahmen diese z. B. eine geringere Steigerung ihres Urlaubsgeldes in Kauf.

Bisher einigten sich die Tarifparteien vorrangig kleinerer Branchen mit meist klein- und mittelbetrieblicher Struktur auf die Einrichtung eines überbetrieblichen Tariffonds zur Weiterbildungsfinanzierung. Entsprechend fallen derzeit auch nur knapp 100.000 Arbeitnehmer / -innen in den Geltungsbereich eines Tariffonds. Das derzeit für Weiterbildung über Tariffonds verwaltete Mittelvolumen lässt sich dabei nicht genau beziffern, da es teilweise nicht nur für Weiterbildung, sondern auch für Ausbildung, Altersvorsorge und Gesundheitsförderung der Arbeitnehmer / -innen verwendet wird. Schätzungsweise standen im Kalenderjahr 2010 bzw. 2011 für die Finanzierung der beruflichen Weiterbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern tarifliche Fondsmittel in Höhe von knapp 3,8 Mio. € zur Verfügung. Hiervon wurden in den betreffenden Branchen knapp 3 Mio. € zur Finanzierung der Weiterbildungsteilnahme der Beschäftigen ausgezahlt.

Tarifliche Fonds zur Finanzierung der Weiterbildungsteilnahme bestehen derzeit in den folgenden Branchen:

Textil- und Bekleidungsindustrie

Im Wirtschaftsbereich Textil und Bekleidung haben sich die Tarifparteien von 3 kleinen Branchen auf überbetriebliche Fondslösungen zur Weiterbildungsfinanzierung geeinigt. Zu Beginn des Jahres 2012 trat die neu verhandelte Tarifvereinbarung zur überbetrieblichen Fondsfinanzierung der Weiterbildung in der Miederindustrie in Kraft. Erstmals wurde dieser Tariffonds im Jahr 1963 ausgehandelt und seitdem immer wieder verlängert. In der aktuellen Vereinbarung verpflichten sich die Arbeitgeber, 3,4 % der Bruttolohn- und Gehaltssumme in einen Fonds zur Altersversorgung, Bildung und Gesundheitsförderung der Arbeitnehmer / -innen einzuzahlen.

In der Branche Textil Service trat im Jahr 2009 ein Tarifvertrag in Kraft, bei dem der Industrieverband Textil Service – intex – e.V. und die IG Metall übereinkamen, „die Aus-, Fort-, Weiterbildung, präventiven Gesundheitsschutz sowie die Altersversorgung der Beschäftigten zu fördern“. Die intex-Mitgliedsbetriebe verpflichten sich zu diesem Zweck, jährlich 35 E je Beschäftigten an einen Verein zur Verwaltung des Tariffonds abzuführen.

Im Jahr 1997 vereinbarten die Tarifparteien der Textil- und der Bekleidungsindustrie den Tarifvertrag zur Förderung von Aus-, Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten in diesem Industriezweig. Zentrale Elemente dieses Tarifvertrags waren die Regelung eines individuellen Weiterbildungsanspruchs für die Beschäftigten bei gleichzeitiger Begrenzung des jährlichen Anspruchs auf maximal 2 % der Belegschaft und die Einführung eines paritätisch verwalteten Bildungsfonds. Die Fondsmittel stehen jeweils zur Hälfte für arbeitgeberseitig und für arbeitnehmerseitig veranlasste Weiterbildung zur Verfügung.

Land- und Forstwirtschaft

Mitte der 1990er-Jahre vereinbarten die für Landund Forstwirtschaft zuständigen Tarifparteien einen tariflichen „Qualifizierungsfonds“ für das ostdeutsche Tarifgebiet. Die Besonderheit dieses Fonds bestand darin, dass über ihn Qualifizierungsmaßnahmen gefördert wurden, die sich auch an ehemalige Beschäftigte in der Land- und Forstwirtschaft richteten, die eine Wiederaufnahme der land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit anstrebten. Mit Datum vom 10. November 2006 wurde der Qualifizierungsfonds der Land- und Forstwirtschaft e.V. (QLF) schließlich liquidiert. Die Modalitäten des eingestellten Tariffonds waren im Jahr 2001 Vorbild für die Errichtung von Qualifizierungsfonds, die die Tarifparteien der Forstwirtschaft in Niedersachsen und der Land- und Forstwirtschaft in Schleswig-Holstein vereinbarten.

Gerüstbaugewerbe

Der finanziell bedeutendste Tariffonds mit langer Tradition stellt die Sozialkasse im Gerüstbaugewerbe dar (Berger / Häusele / Moraal 2012). Die Tarifvertragsparteien des Gerüstbaugewerbes vereinbarten dieses tarifliche Fondsmodell im Jahr 1981. Aus der Sozialkasse werden die tarifvertraglich geregelten Sozialleistungen einschließlich der Kosten für die berufliche Aus- und Weiterbildung finanziert. Förderfähig sind nach Tarifvertrag dieser Branche nur die Fortbildungslehrgänge zum geprüften Gerüstbau-Kolonnenführer, zur Vorbereitung auf die Ausbildereignungsprüfung und zur Abschlussprüfung Gerüstbauer / Gerüstbauerin gemäß § 45 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz. Die Teilnahmen an diesen Lehrgängen wurden im Jahr 2010 mit 1,76 Mio. € aus der Sozialkasse bezuschusst.

Tabelle B3.6-1 verdeutlicht, dass die für Weiterbildung zur Verfügung stehenden Fondsmittel oft nur zum Teil ausgeschöpft werden. Die Nutzung der Fonds könnte möglicherweise durch eine stärkere aufsuchende Betriebsberatung durch die fondsverwaltenden Stellen gefördert werden. Die Tabelle zeigt ferner, dass die Nutzung der hier aufgeführten Tariffonds weder im Gerüstbau noch bei den Fonds der Textilbranchen auf die alleinige Weiterbildungsfinanzierung fokussiert ist. Sie dient teilweise ebenso der Ausbildungsfinanzierung wie auch der Förderung anderer tariflich festgelegter Sozialleistungen. In diesem Zusammenhang ist auch der im Jahr 2008 in der chemischen Industrie aufgelegte Demografiefonds zu erwähnen. Er dient jedoch in erster Linie der Schaffung alters- und leistungsgerechter Arbeitsbedingungen und flexibler Übergänge in den Ruhestand. In der Verbindung mit Langzeitkonten ist allerdings auch hier eine Fondsnutzung für Qualifizierungszwecke nicht ausgeschlossen. Das Beispiel des Demografietarifvertrags in der chemischen Industrie zeigt, dass derartige tarifliche Fondsmodelle zur Berufsbildungsfinanzierung nicht auf kleine Branchen begrenzt bleiben müssen.

(Klaus Berger, Daniela Decker, Dick Moraal)

Bibliografischer Hinweis

Internetversion des BIBB-Datenreports zum Berufsbildungsbericht 2012 - Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn (2012).

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