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DATENREPORT ZUM BERUFSBILDUNGSBERICHT 2010

B2.1.2 Auswirkungen der Einführung von Bildungsgutscheinen aus Sicht der Weiterbildungsanbieter

Mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ist die Weiterbildungsförderung nach dem SGB III mit dem Ziel neu geordnet worden, in diesem wichtigen arbeitsmarktpolitischen Förderbereich mehr Wettbewerb und Transparenz zu schaffen und die Qualität in der SGB-III-geförderten Weiterbildung zu verbessern. Rechtliche Grundlage des neuen Verfahrens ist die Anerkennungs- und Zulassungsverordnung – Weiterbildung (AZWV), die zum 1. Juli 2004 in Kraft getreten ist. Für Bildungsträger, die beabsichtigen, berufliche Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten, die mittels Bildungsgutschein förderbar sind, ist sowohl ihre Zulassung als Bildungsträger als auch die Zulassung ihres Maßnahmeangebots für die Förderung mittels Bildungsgutschein eine zwingende Voraussetzung.278

Um die Auswirkungen der Neustrukturierung der geförderten beruflichen Weiterbildung auf die Weiterbildungsanbieter nach Etablierung des neuen Systems abschätzen zu können, enthielt die wbmonitor Umfrage 2009 Zusatzfragen hierzu. Diese bezogen sich in erster Linie auf Effekte der Einführung von Bildungsgutscheinen auf Organisation und Angebot.

Höhere Akzeptanz von Bildungsgutscheinen in den neuen Ländern

2008 haben bundesweit 48 % der Weiterbildungsanbieter Einnahmen von den Arbeitsagenturen bezogen. 10 % der Anbieter finanzieren sich zu mindestens drei Vierteln über diese. In den neuen Ländern ist die finanzielle Abhängigkeit der Weiterbildungsanbieter von den Arbeitsagenturen deutlich höher als in den alten Ländern: Der durchschnittliche Finanzierungsanteil an den Gesamteinnahmen durch Weiterbildung ist mit 34 % nahezu doppelt so hoch (alte Länder: 18 %). Offensichtlich bestehen in den strukturschwächeren neuen Ländern in geringerem Maße Möglichkeiten alternativer Finanzierung, etwa von Betrieben oder Teilnehmenden / Selbstzahlenden.279 Entsprechend werden Bildungsgutscheine häufiger akzeptiert (71 %) als von Anbietern in den alten Ländern (55 %). Bundesweit akzeptieren 60 % aller Anbieter Bildungsgutscheine.

Mittels einer multivariaten logistischen Regression wurden – getrennt für neue und alte Länder – Strukturmerkmale der Anbieter identifiziert, von denen die Akzeptanz von Bildungsgutscheinen abhängt.280 Es zeigt sich Tabelle B2.1.2-1 Internet, dass kommerzielle oder gemeinnützige private Weiterbildungseinrichtungen eine überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit aufweisen, Bildungsgutscheine zu akzeptieren. Ein deutlicher Unterschied zwischen alten / neuen Ländern besteht bei beruflichen Schulen und (Fach-)Hochschulen. Diese nehmen in den neuen Ländern mit überdurchschnittlicher Wahrscheinlichkeit Bildungsgutscheininhaber auf, in den alten Ländern dagegen ist die Wahrscheinlichkeit gegenüber den anderen Anbietertypen deutlich geringer. Vieles deutet darauf hin, dass berufliche Schulen in einigen Regionen der neuen Länder aufgrund der demografischen Entwicklung mit Abgängern aus den allgemeinbildenden Schulen alleine ihren Bestand nicht mehr sichern können und ihren Tätigkeitsbereich zunehmend in die Weiterbildung ausdehnen. Während in den alten Ländern insbesondere große Weiterbildungsanbieter Bildungsgutscheine akzeptieren, sind Bildungsgutscheine in den neuen Ländern für Anbieter jeder Größe ein relevantes Instrument. Im Vergleich zu Anbietern, die sich zu mindestens der Hälfte über Arbeitsagenturen finanzieren, sinkt bei geringeren Finanzierungsanteilen in den alten Ländern die Wahrscheinlichkeit, Bildungsgutscheine zu akzeptieren, deutlich ab. In den neuen Ländern hingegen besteht bis zu einem Finanzierungsanteil von 10 % eine hohe Bereitschaft zur Akzeptanz. Junge Einrichtungen, die erstmals nach 1989 Weiterbildung angeboten haben, nehmen mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit Bildungsgutscheine an als Anbieter, die schon vor diesem Zeitpunkt in der Weiterbildung aktiv waren.281

Nur Anbieter in den alten Ländern profitieren wirtschaftlich

Die Einführung der Bildungsgutscheine hat sich aus Sicht der Anbieter bundesweit sowohl auf die Nachfrage nach Weiterbildungsangeboten als auch auf die wirtschaftliche Situation der Anbieter positiv ausgewirkt. Zwischen alten und neuen Ländern bestehen jedoch erhebliche Unterschiede, profitiert haben in erster Linie Anbieter in den alten Ländern.

In den alten Ländern stehen 30 % der Anbieter, die über eine (stark) erhöhte Nachfrage nach Weiterbildungsangeboten berichten, lediglich 9 % gegenüber, bei denen sie sich (stark) vermindert hat. In den neuen Ländern dagegen ist der Saldo nahezu ausgeglichen (30 % erhöht und 27 % vermindert), sodass insgesamt laut den Anbietern keine Stimulierung der Nachfrage erfolgte. In Westdeutschland vermelden insbesondere Anbieter, die eine Mischfinanzierung aufweisen, d. h. bei denen der Finanzierungsanteil von Arbeitsagenturen zwischen 10 und 49 % liegt, einen Nachfragezuwachs (Saldo 44).282 Nur diese Gruppe konnte auch in den neuen Ländern einen Anstieg verzeichnen (Saldo 16).

Die Einführung der Bildungsgutscheine hat zu einer Diversifizierung und Spezialisierung der geförderten Bildungsziele geführt, was offensichtlich zur Folge hatte, dass verstärkt auch Anbieter angesprochen werden, deren Kerngeschäft nicht bzw. nicht zum Großteil in der Arbeit für die Arbeitsagenturen liegt. Es kann angenommen werden, dass zahlreiche Anbieter, die vor der Umstellung keine Einnahmen von Arbeitsagenturen bezogen, Bildungsgutscheininhaber nun trotz des damit verbundenen administrativen Aufwandes als willkommene Ergänzung zur Auslastung ihrer Kurse betrachten. Durch die geringere Abhängigkeit von Arbeitsagenturen sind Einrichtungen mit Mischfinanzierung auch resistenter gegenüber dem in den vergangenen Jahren stark schwankenden Fördervolumen der Bundesagentur für Arbeit.

Eine noch deutlichere Differenz zwischen alten und neuen Ländern besteht bei den Auswirkungen der Einführung von Bildungsgutscheinen auf die wirtschaftliche Situation der Einrichtungen: Während der Westen profitieren konnte, insbesondere bei einem mittleren Finanzierungsanteil von Arbeitsagenturen, hat sich die wirtschaftliche Lage bei Anbietern in den neuen Ländern per Saldo durchgängig verschlechtert Schaubild B2.1.2-1. Letzteres trifft insbesondere auf Anbieter zu, die eine starke Abhängigkeit von den Arbeitsagenturen aufweisen. Die genannten Ergebnisse korrespondieren mit der Entwicklung des Bestandes von Personen in Maßnahmen der geförderten beruflichen Weiterbildung: In den alten Ländern wurde das Ausgangsniveau von 2004 nach einem Rückgang 2009 wieder deutlich überschritten, wohingegen in den neuen Ländern lediglich wieder das Niveau von 2004 erreicht wurde Tabelle B2.1.2-2.

Auf die Bezahlung der Lehrkräfte hatte die Einführung der Bildungsgutscheine nach Auskunft der Bildungsanbieter keine nennenswerten Auswirkungen.

Schaubild B2.1.2-1: Schaubild B2.1.2-1: Effekte der Einführung von Bildungsgutscheinen aus Sicht der Anbieter: Veränderung der wirtschaftlichen Situation der Einrichtung*

Schaubild B2.1.2-1

Tabelle B2.1.2-2: Geförderte berufliche Weiterbildung nach dem SGB 2004 bis 2009 (Zahl der Förderfälle)

Tabelle B2.1.2-2

Mehr Themen, mehr Kurse, mehr Beratung

Infolge veränderter Nachfrage haben insgesamt zwei Drittel der Anbieter, die Bildungsgutscheine akzeptieren, ihr Angebot angepasst, bei einer hohen finanziellen Abhängigkeit von den Arbeitsagenturen (50 % und mehr Finanzierungsanteil) sogar neun von zehn Anbietern Schaubild B2.1.2-2. Insbesondere die Zahl der Beratungen wurde (stark) ausgeweitet, und zwar von 79 % der Anbieter. Eine Reduktion erfolgte dagegen lediglich bei 3 %. Bei großen Anbietern mit in der Regel entsprechend differenziertem Angebot und Anbietern mit 50 % und mehr Finanzierungsanteil von Arbeitsagenturen ist dieser Anteil mit 87 % bzw. 89 % sogar noch höher. Der starke Bedeutungsgewinn von Beratungen liegt zum einen begründet in der freien Anbieterwahl von Bildungsgutscheininhabern und dem hiermit verbundenen Beratungsaufwand zur Kundengewinnung. Zum anderen scheint vielfach auch Beratungsbedarf in der Hinsicht zu bestehen, dass Personen mit Bildungsgutschein keine klaren Vorstellungen über Ziel und Nutzen der bewilligten Weiterbildung haben.283

Offensichtlich bedingt durch die spezialisierte Förderung individueller Weiterbildungsbedürfnisse haben 67 % der Anbieter die Zahl ihrer Kurse (stark) ausgeweitet (reduziert: 11 %), das Themenangebot der Kurse haben 78 % (stark) ausgeweitet (reduziert: 6 %). Zwischen den alten und neuen Ländern sind hier keine nennenswerten Unterschiede vorhanden. Dass in den neuen Ländern mehr Anbieter die Anzahl der Plätze je Kurs reduziert (34 %) als ausgeweitet haben (20 %), ist ein Hinweis darauf, dass dort ein hoher Wettbewerb um Bildungsgutscheininhaber besteht und es sich für die Anbieter schwieriger darstellt, ihre Kurse auszulasten. Entsprechend geben auch mehr Anbieter, die Bildungsgutscheine akzeptieren, an, dass ihnen Wettbewerbsdruck zu schaffen macht (Saldo: 52), als in den alten Ländern (Saldo: 37).284

Aus dem höheren Wettbewerbsdruck in den neuen Ländern resultiert offensichtlich auch eine größere Kooperationsbereitschaft der Anbieter untereinander. Während hier 64 % der Anbieter mit Bildungsgutscheinakzeptanz von einer Verstärkung der Kooperation mit anderen Weiterbildungsanbietern seit der Neuausrichtung der Förderung der beruflichen Weiterbildung berichten, ist es in den alten Ländern nur die Hälfte. Kooperation ist offensichtlich besonders bei einer hohen finanziellen Abhängigkeit von den Arbeitsagenturen (50 % und mehr Finanzierungsanteil) erforderlich: In dieser Gruppe haben 72 % der Anbieter in den neuen Ländern und 62 % der Anbieter in den alten Ländern die Kooperation verstärkt.

Schaubild B2.1.2-2: Effekte der Einführung von Bildungsgutscheinen aus Sicht der Anbieter: Anpassung des Angebots infolge veränderter Nachfrage

Schaubild B2.1.2-2

Mehr Wettbewerb, mehr Qualität?

Gewinner des Bildungsgutscheinsystems sind westdeutsche Anbieter mit einer Mischfinanzierung, die vor der Umstellung des Systems vermutlich in geringerem Maße für Arbeitsämter tätig waren und für welche die Bildungsgutscheininhaber eine zusätzliche Einkommensquelle darstellen. Diese konnten am stärksten profitieren, sowohl hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Situation als auch bezüglich der Nachfrage nach ihren Angeboten. Die Bildungsgutscheine haben in den alten Ländern somit allem Anschein nach zu einer Aufteilung des Volumens auf mehr Anbieter geführt. Dies hat auch zur Folge, dass die traditionell für Arbeitsagenturen tätigen Anbieter aufgrund der neuen Konkurrenzverhältnisse unter einem hohen Wettbewerbsdruck stehen.285

In den neuen Ländern besteht im Vergleich zu den alten strukturell eine stärkere Abhängigkeit der Anbieter von den Arbeitsagenturen. Aus der Einführung der Bildungsgutscheine resultierte auch hier eine Steigerung des Wettbewerbsdrucks und der Konkurrenz. In der jüngsten Zeit treten zudem mit den beruflichen Schulen weitere Akteure in das Feld ein. Infolge dieser Entwicklungen haben die Anbieter offensichtlich Probleme, ihre Kurse auszulasten. Ihre wirtschaftliche Situation hat sich sogar eher verschlechtert, insbesondere bei einem hohen Finanzierungsanteil von Arbeitsagenturen.

Eine zentrale Intention der Umstrukturierung der geförderten beruflichen Weiterbildung war, durch die Einführung von Bildungsgutscheinen den Wettbewerb und die Qualität der Weiterbildung zu steigern. Die Konkurrenzverhältnisse der Weiterbildungsanbieter untereinander, die insbesondere Anbieter mit hoher finanzieller Abhängigkeit von den Arbeitsagenturen treffen, haben aus Sicht der Anbieter jedoch Qualitätseinbußen nach sich gezogen: Die Aussage, dass die Vergabepraxis der Arbeitsagenturen bzw. ARGEn zu einem Preiswettbewerb zulasten der Qualität führt, findet unter den Anbietern eine sehr hohe Zustimmung286 Schaubild B2.1.2-3. Ein weiteres Problem scheint darin gegeben, dass die Voraussetzungen beim Wettbewerb um Bildungsgutscheininhaber ungleich verteilt sind. Große Einrichtungen, die bereits mit hohem Volumen für die Arbeitsagenturen tätig sind, verfügen eher über die Ressourcen, den damit verbundenen bürokratischen Aufwand zu bewältigen, als kleine Anbieter bzw. Anbieter, für welche die Tätigkeit für Arbeitsagenturen nur einen geringen Anteil ausmacht. Für diese sind der hohe Zertifizierungsaufwand der AZWV und die damit verbundenen Kosten verglichen mit dem Ertrag oft unverhältnismäßig hoch. Nicht ganz zwei von drei dieser Anbieter (Saldo: 65 bzw. 63) sind der Meinung, dass bürokratische Hürden gleichen Wettbewerb für alle verhindern (alle Anbieter, die Bildungsgutscheine akzeptieren: Saldo 52).

(Stefan Koscheck, Hana Ohly, Hans-Joachim Schade)

Schaubild B2.1.2-3: Auswirkungen der Vergabepraxis der Agenturen / ARGEn aus Sicht der Anbieter: „Die Vergabepraxis führt zu einem Preiswettbewerb zulasten der Qualität“

Schaubild B2.1.2-3

Fußnoten

278 Siehe www.arbeitsagentur.de, Untermenü: Institutionen / Träger / Anerkennung und Zulassung.

279 Der durchschnittliche Finanzierungsanteil von Teilnehmenden / Selbstzahlenden beträgt in den alten Ländern 32 % und in den neuen Ländern 22 %, von Betrieben 26 % bzw. 18 %.

280 Dies ermöglicht die isolierte Betrachtung einzelner Einflussgrößen unter Konstanthaltung der anderen (d. h. durchschnittliche Anbieter in allen anderen Merkmalen). Aufgrund der wesentlich höheren Zahl an Weiterbildungsanbietern in den alten Bundesländern (das Verhältnis beträgt 4 : 1) und entsprechend mehr Umfrageteilnehmenden sind die Ergebnisse für die alten Länder robuster als für die neuen.

281 In den neuen Ländern weisen auch mittelalte Anbieter (erstmaliges Angebot von Weiterbildung zwischen 1970 und 1989) gegenüber alteingesessenen Anbietern eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz auf. Diese ist jedoch statistisch nicht signifikant. Hinsichtlich der neuen Länder ist zudem zu beachten, dass die überwiegende Mehrheit der Anbieter (85 %) erst nach der Wende erstmalig in der Weiterbildung aktiv wurde.

282 Der Saldo ist die Differenz der positiven und negativen Anteilswerte.

283 Dieser Aussage stimmen 57 % der Anbieter (eher) zu, 43 % stimmen (eher) nicht zu.

284 Unter Wettbewerbsdruck leiden – sowohl in den alten als auch in den neuen Ländern – insbesondere Anbieter, die eine starke finanzielle Abhängigkeit (50 % und mehr Finanzierungsanteil) von Arbeitsagenturen aufweisen.

285 83 % der westdeutschen Anbieter mit 50 % und mehr Finanzierungsanteil von den Arbeitsagenturen stimmen zu bzw. eher zu, dass ihnen Wettbewerbsdruck zu schaffen macht.

286 Sauter (2009) weist in seinem Zwischenresümee „Fünf Jahre AZWV“ darauf hin, dass der SGB-geförderten Weiterbildung kein einheitliches Qualitätsverständnis zugrunde liegt. Anders als die Weiterbildung nach dem Gutscheinverfahren unterliegt die dem Rechtskreis SGB II zugeordnete und im Vergabeverfahren von den Arbeitsagenturen eingekaufte Weiterbildung nicht den Qualitätsstandards der AZWV, sondern anderen Qualitätsstandards. Diese sind im Urteil der Bildungsanbieter mehr an der Kostenseite als an der Qualität orientiert.

Bibliographischer Hinweis

Internetversion des BIBB-Datenreports zum Berufsbildungsbericht 2010 - Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn (2010).

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