A3.1 Verbleib von Altbewerbern und Altbewerberinnen
Der Anteil der Altbewerber/-innen an allen Bewerbern und Bewerberinnen um eine Berufsausbildungsstelle stieg über viele Jahre an und bewegt sich noch immer auf hohem Niveau.53 Nach der BA/BIBBBewerberbefragung 2008 betrug im Vermittlungsjahr 2007 / 2008 die Quote der Altbewerber / -innen 40 %. Sie lag damit ebenso hoch wie bei der vorangegangenen BA / BIBB-Bewerberbefragung 2006, die sich auf das Vermittlungsjahr 2005 / 2006 bezog (vgl. Ulrich / Krekel 2007). Das BIBB definiert bei seinen Analysen auf Grundlage der Bewerberbefragungen die Altbewerber / -innen als diejenigen Personen, die sich bereits einmal für einen früheren Ausbildungsbeginn als den des jeweils aktuellen Ausbildungsjahres beworben haben.54
Nach den Ergebnissen der BA / BIBB-Bewerberbefragung war die Wahrscheinlichkeit, dass sich Altbewerber / -innen am Ende des Jahres 2008 in einer Berufsausbildung befanden, geringer als bei den übrigen Bewerbern und Bewerberinnen (vgl. BIBB-Datenreport 2009, Kapitel A3.3). So verblieben nur 51 % der Altbewerber / -innen in einer vollqualifizierenden Ausbildungsform (einschließlich Studium) gegenüber 58 % der sonstigen Bewerber / -innen. Verhältnismäßig selten wurden Altbewerber / -innen betrieblich ausgebildet: Für nur 33 % war ein entsprechender Verbleib festzustellen, während von den übrigen Bewerbern und Bewerberinnen immerhin 42 % in betrieblicher Ausbildung waren. Dagegen befanden sich die Altbewerber / -innen mit 11 % häufiger in einer außerbetrieblichen bzw. schulischen BBiG-Ausbildung als die sonstigen Bewerber / -innen (8 %). In einer Ausbildung in einem Schulberuf oder in einem Studium waren 7 % der Altbewerber / -innen anzutreffen und damit fast ein ebenso großer Anteil wie bei den übrigen Bewerbern und Bewerberinnen (8 %).
Von welchen Faktoren hängt der Verbleib von Altbewerbern und Altbewerberinnen in einer Berufsausbildung ab?56 Einbezogen in die Analysen werden dabei persönliche Merkmale (Geschlecht, Migrationshintergrund, Alter), schulische Bildungsvoraussetzungen (Schulabschluss, Schulnoten in Mathematik und Deutsch), berufsbildungsbiografische Merkmale (absolvierte teilqualifizierende Berufsbildungsgänge bzw. berufliche Schulen, bereits Abbruch einer Ausbildung), Bewerbungsmerkmale (Dauer des Altbewerberstatus, überregional beworben, keine rechte Mühe bei der Ausbildungsstellensuche gegeben) sowie regionale Bedingungen (Wohnort in West- oder Ostdeutschland, Umfang der Arbeitslosigkeit vor Ort).
E
BA / BIBB-Bewerberbefragung 2008
Hierbei handelt es sich um eine schriftlich-postalische Befragung von Personen, die im Berichtsjahr 2007 / 2008 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) als Ausbildungsstellenbewerber oder -bewerberinnen gemeldet waren. Aus allen 620.002 Bewerbern und Bewerberinnen, die ihren Wohnsitz im Inland hatten (Grundgesamtheit), zog die BA hierfür eine repräsentative Stichprobe. Insgesamt wurden 13.000 Ausbildungsstellenbewerber / -innen angeschrieben, die Rücklaufquote betrug 40 %. Die Befragung fand von Ende November 2008 bis Anfang März 2009 statt. Insgesamt konnten 5.087 weitgehend vollständig ausgefüllte Fragebogen in die Auswertung einbezogen werden. Die Befragungsergebnisse wurden über eine Soll-Ist-Anpassung gewichtet und auf die Grundgesamtheit hochgerechnet. Hochrechnungsmerkmale waren die Herkunftsregion, das Geschlecht und die offizielle Verbleibseinstufung der Bewerber / -innen.55
Verbleibsquoten in Ausbildung nach Merkmalen der Altbewerber / -innen
Zunächst soll betrachtet werden, für wie viel Prozent der jeweiligen Teilgruppen von Altbewerbern und Altbewerberinnen zum Jahresende 2008 ein Verbleib in einer vollqualifizierenden Berufsausbildung insgesamt sowie in den verschiedenen Ausbildungsformen zu verzeichnen war (Tabelle A3.1-1, linker Teil). Hierbei fällt vor allem Folgendes auf: Die Anteile der Altbewerber / -innen, die sich in vollqualifizierender Ausbildung befanden, waren bei Vorliegen einer Studienberechtigung sowie bei (sehr) guten Mathematik- und Deutschnoten auf dem letzten Schulzeugnis relativ hoch. Absolventen und Absolventinnen einer Einstiegsqualifizierung sowie einer (höheren) Handelsschule waren ebenfalls verhältnismäßig oft in einer Berufsausbildung anzutreffen. Dagegen lagen die Verbleibsquoten in Berufsausbildung bei einem höheren Lebensalter (ab 21 Jahren) sowie bei einem Migrationshintergrund relativ niedrig. Auch Altbewerbern und Altbewerberinnen, die bereits eine Ausbildung abgebrochen hatten, waren weniger häufig in einer (neuen) Berufsausbildung. Eine Ausbildung erfolgte ebenfalls recht selten, wenn der Altbewerberstatus bereits mehr als 2 Jahre bestand. Nicht verwunderlich ist, dass von denjenigen, die sich nach eigener Angabe keine rechte Mühe bei der Ausbildungsplatzsuche machten, auch ein geringerer Anteil in Ausbildung war.
Altbewerber / -innen mit Wohnsitz in den neuen Ländern befanden sich deutlich öfter in einer vollqualifizierenden Ausbildung als bei einem Wohnort in den alten Ländern. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in den neuen Ländern weiterhin relativ viele öffentlich finanzierte außerbetriebliche bzw. schulische Ausbildungsplätze in BBiG / HwO-Berufen bereitgestellt wurden, um die Ausbildungschancen der dortigen Jugendlichen zu erhöhen. Somit war ein fast doppelt so hoher Anteil der Altbewerber / -innen in einer derartigen Ausbildungsform anzutreffen wie in den alten Ländern. Dagegen war in den neuen Ländern etwas seltener ein Verbleib der Altbewerber / -innen in betrieblicher Ausbildung festzustellen. Bei der betrieblichen Ausbildung unterschied sich zudem die Verbleibsquote der Altbewerber / -innen je nach Arbeitsmarktlage vor Ort sehr deutlich: Bei niedriger Arbeitslosenquote in der Region wurde ein wesentlich größerer Anteil betrieblich ausgebildet als bei einer regional sehr hohen Arbeitslosigkeit.
Einflussfaktoren auf den Verbleib der Altbewerber / -innen in Ausbildung
Die betrachteten Merkmale der Altbewerber / -innen korrelieren zum Teil miteinander. Um zu überprüfen, ob von den einzelnen Merkmalen noch ein eigenständiger Effekt hinsichtlich des Verbleibs in Ausbildung ausgeht, wenn jeweils alle übrigen potenziellen Einflussgrößen kontrolliert werden, wurden drei Regressionsmodelle gerechnet, und zwar a) für betriebliche Ausbildung, b) für betriebliche und nicht betriebliche Ausbildung in BBiG / HwO-Berufen zusammengenommen sowie c) für die vollqualifizierende Ausbildung insgesamt. Die Ergebnisse sind in Tabelle A3.1-1 (rechter Teil) enthalten und lassen sich wie folgt beschreiben:
Was den Verbleib in betrieblicher Ausbildung anbetrifft, so werden die wichtigsten Determinanten vom Marktcharakter dieser Ausbildungsform bestimmt (vgl. Modell 1). Die Betriebe wählen aus allen Bewerbern und Bewerberinnen in der Regel diejenigen aus, die sie als die Leistungsstärksten und Bestgeeigneten für ihre Ausbildungsstellen einschätzen. Das Niveau des Schulabschlusses und die Schulnoten stellen hierbei für die Betriebe bedeutende Indikatoren dar und haben daher in der Auswahlsituation besonderes Gewicht. Insofern zeigt sich im Hinblick auf den Verbleib der Altbewerber / -innen in betrieblicher Ausbildung ein signifikant positiver Einfluss eines höheren und mittleren Schulabschlusses sowie guter Mathematik- und Deutschnoten. Sehr günstig wirkt sich auch eine betriebliche Einstiegsqualifizierung aus, was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass relativ viele Teilnehmer / -innen anschließend von ihrem Praktikumsbetrieb in ein Ausbildungsverhältnis übernommen werden. Ebenfalls einen sehr positiven Effekt hat es, wenn Altbewerber / -innen eine (höhere) Handelsschule besuchten. Die dort erworbenen Kenntnisse werden insbesondere bei der Besetzung von Ausbildungsstellen in kaufmännischen Berufen von den Betrieben besonders geschätzt. Der Einfluss eines Bewerbungstrainings ist dagegen nicht positiv, sondern geht sogar in die entgegengesetzte Richtung. Dieses paradox erscheinende Ergebnis ist damit erklärbar, dass zum Befragungszeitpunkt (am Ende des Kalenderjahres) ein Teil der nicht in Ausbildung verbliebenen Altbewerber / -innen ein solches meist nur wenige Wochen dauerndes Bewerbungstraining bereits durchlaufen hatte, um die künftigen Erfolgsaussichten zu verbessern.
Der Verbleib der Altbewerber / -innen hängt zudem stark davon ab, seit wann sie sich bereits um eine Ausbildungsstelle bemühen: Je länger die erstmalige Bewerbung zurückliegt, umso schlechter sind die Chancen auf eine betriebliche Ausbildung. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass lang andauernde Erfolglosigkeit zum Stigma wird (vgl. Solga 2005, S. 189 ff.). Ein negativer Effekt geht auch von einem höheren Alter aus: Altbewerber / -innen, die bereits über 20 Jahre alt sind, haben erheblich schlechtere Chancen, in betrieblicher Ausbildung zu verbleiben, als maximal 20-Jährige. Dies kann damit erklärt werden, dass Betriebe eine Präferenz für Bewerber / -innen haben, die aus ihrer Sicht für eine Ausbildung weder zu jung (unter 17 Jahre) noch zu alt (über 20 Jahre) sind (vgl. Imdorf 2009). Hemmend auf die Chancen von Altbewerbern und Altbewerberinnen, betrieblich ausgebildet zu werden, wirkt sich außerdem ein Migrationshintergrund aus. Welches Entscheidungskalkül der Betriebe für die generell niedrigeren Ausbildungschancen von Migranten und Migrantinnen verantwortlich ist, blieb für Deutschland bisher allerdings weitgehend ungeklärt (vgl. Beicht / Granato 2009).
Der Marktcharakter der betrieblichen Ausbildung schlägt sich auch in dem hohen Einfluss nieder, den die regionale Arbeitslosenquote auf den Verbleib der Altbewerber / -innen hat. Aufgrund der engen Koppelung von Arbeits- und Ausbildungsmarkt geht in der Regel eine schlechte Arbeitsmarktlage in einer Region auch mit einem knappen betrieblichen Ausbildungsstellenangebot einher. Sehr deutlich zeigt sich daher, dass die Chancen der Altbewerber / -innen, in betrieblicher Ausbildung zu verbleiben, umso niedriger sind, je ungünstiger die Marktsituation vor Ort ist.
Die außerbetriebliche bzw. schulische BBiG / HwOAusbildung hat marktausgleichenden Charakter, d. h., sie ist grundsätzlich für Jugendliche vorgesehen, die schlechte Aussichten auf eine betriebliche Ausbildung haben, sei es aufgrund der Ausbildungsmarktsituation („marktbenachteiligte“ Jugendliche), sei es aufgrund anderer Benachteiligungen („sozial benachteiligte“ Jugendliche bzw. Jugendliche mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen). Bei der Besetzung der nicht betrieblichen Ausbildungsplätze spielen somit ganz andere Kriterien eine Rolle als bei der betrieblichen Ausbildung. Wird nun die betriebliche und nicht betriebliche Ausbildung in BBiG/HwO-Berufen zusammen betrachtet, so verändern sich – wegen der speziellen Besetzungslogiken bei einer nicht betrieblichen Ausbildung – zum Teil die Faktoren, die einen signifikanten Einfluss auf den Verbleib der Altbewerber / -innen haben (vgl. Modell 2). Es zeigt sich dann, dass männ liche Altbewerber stärker von der nicht betrieblichen BBiG / HwO-Ausbildung profitieren und sie hierdurch deutlich bessere Chancen im Vergleich zu Altbewerberinnen erreichen. Die Teilnahme an berufsvorbereitenden Maßnahmen erhöht nunmehr signifikant die Chancen eines Verbleibs in Ausbildung, was daran liegt, dass im unmittelbaren Anschluss an eine solche Maßnahme häufig eine Vermittlung in eine nicht betriebliche Ausbildung erfolgt. Auffallend ist: In den neuen Ländern ist die Chance auf eine Ausbildung in BBiG / HwO-Berufen – vor allem wegen der relativ umfangreichen Bereitstellung nicht betrieblicher Ausbildungsplätze für marktbenachteiligte Jugendliche – fast doppelt so hoch wie in den alten Ländern.
Schließlich wird in die Analyse zusätzlich zur Ausbildung in BBiG / HwO-Berufen noch die Ausbildung in Schulberufen sowie das Studium einbezogen und somit die gesamte vollqualifizierende Ausbildung betrachtet (vgl. Modell 3). Die schulischen Eingangsvoraussetzungen bei einer Ausbildung in Schulberufen und einem Studium sind in der Regel recht hoch (mittlerer bzw. höherer Schulabschluss, gute Noten); somit sind hier die Selektionsprozesse zum Teil an ähnliche Kriterien geknüpft wie in der betrieblichenAusbildung. Die Faktoren, die sich signifikant auf den Verbleib von Altbewerbern und Altbewerberinnen in einer vollqualifizierenden Ausbildung auswirken, sind daher nahezu die gleichen wie bei der betrieblichen Ausbildung; lediglich die Einflussstärke variiert leicht. Hinzu kommt allerdings der Einfluss der Wohnregion: Ein Wohnsitz in den neuen Ländern erhöht vor allem aufgrund der dort recht stark verbreiteten außerbetrieblichen bzw. schulischen Berufsausbildung in hohem Maße die Chancen von Altbewerbern und Altbewerberinnen, in einer vollqualifizierenden Ausbildung zu verbleiben.
Tabelle A3.1-1: Determinanten des Verbleibs von Altbewerbern und Altbewerberinnen in Berufsausbildung
Zusammenfassung
Die Wahrscheinlichkeiten, in eine vollqualifizierende Ausbildung einzumünden, hängen sehr stark von der Höhe des Schulabschlusses und den Schulnoten ab; das gilt generell (vgl. Beicht / Friedrich / Ulrich 2008) und auch für die Altbewerber / -innen. Diese verfügen allerdings über fast ebenso gute schulische Voraussetzungen wie die „Erstbewerber / -innen“ (vgl. BIBB-Datenreport 2009, Kapitel A3.3). Mit mangelnden Schulleistungen sind die geringeren Erfolgschancen der Altbewerber / -innen somit nicht erklärbar. Hierfür scheinen andere Faktoren verantwortlich zu sein. Die Analysen deuten auf zwei wesentliche Faktoren hin, die insbesondere den Übergang in betriebliche Ausbildung beeinflussen und – da betriebliche Ausbildungsangebote eine dominierende Rolle spielen – auch bei Betrachtung der gesamten vollqualifizierenden Ausbildung große Bedeutung haben. Erstens wirkt sich der Altbewerberstatus, wenn er über längere Zeit andauert, negativ aus: Erfolgte die erste Bewerbung um eine Ausbildungsstelle erst vor einem Jahr, so ist im Vergleich zu den Nichtaltbewerbern und -bewerberinnen noch kein Einfluss nachweisbar.57 Liegt die Erstbewerbung jedoch bereits 2 oder mehr Jahre zurück, so verschlechtern sich die Erfolgschancen immer mehr; die andauernde Erfolglosigkeit führt möglicherweise zu einer Stigmatisierung. Zweitens verringern sich die betrieblichen Ausbildungschancen, wenn ein Lebensalter von 20 Jahren bereits überschritten ist. Betriebe haben offenbar eine Präferenz für Bewerber / -innen, die weder zu jung noch zu alt sind, und ein Alter von 21 Jahren gilt in vielen Betrieben bereits als zu hoch für den Beginn einer Ausbildung. Der Alterseffekt ist nicht nur bei den Altbewerbern und Altbewerberinnen festzustellen, sondern auch bei den übrigen Bewerbern und Bewerberinnen. Aufgrund des oft höheren Lebens alters der Altbewerber / -innen -32 % sind über 20 Jahre alt, dagegen nur 11 % der „Erstbewerber / -innen“ – hat dieser Effekt bei ihnen jedoch größere Auswirkungen.
(Ursula Beicht, Joachim Gerd Ulrich)