Die Daten der IAB-Beschäftigtenstichprobe 2004 umfassen Angaben zur Beschäftigung über Meldungen der Sozialversicherung sowie zur Arbeitslosigkeit über die amtliche Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Hiermit kann die Berufseinstiegsphase von Ausbildungsabsolventinnen und Ausbildungsabsolventen nachvollzogen werden. Denn im Unterschied zu den vorherigen Analysen werden hier nicht nur einzelne Zeitpunkte analysiert, sondern der gesamte Prozess des Berufseinstiegs. Die Untersuchung des individuellen Berufsverlaufs ist möglich, da der Datensatz auf tagesgenauen Meldungen beruht. Denn eine Analyse von Zuständen zu bestimmten Zeitpunkten gibt nur begrenzt Aufschluss zur Beurteilung der beruflichen Integration. So kann sich nach einer Phase der Sucharbeitslosigkeit eine integrierte Beschäftigung anschließen. Es ist aber auch möglich, dass einer Übernahmephase, wie sie zum Teil auch in Ausbildungstarifverträgen festgeschrieben ist, eine längere Periode von Arbeitslosigkeit folgt. Bei der Untersuchung des Berufseinstiegsverlaufs wird daher auch die Abfolge der Zustände berücksichtigt.
Um eine vertiefende Einsicht in den Berufseinstieg der dualen Absolventen / Absolventinnen des Jahres 2001 zu gewinnen, werden die Meldungen nach Ausbildungsabschluss monatlich bis 3 Jahre danach analysiert. Zugleich wird sozialversicherungspflichtige Beschäftigung differenziert untersucht: als integrierte sowie als prekäre Beschäftigung (vgl. Castel 2000 und Kraemer / Speidel 2004). Kriterien für prekäre Beschäftigung sind bei der Analyse der IAB-Beschäftigtenstichprobe das Auftreten von Niedrig einkommen und Leiharbeit. Aufgrund der Möglichkeit, einzelne Berufsverläufe detailliert zu verfolgen331, und der unterschiedlichen Angaben im Datensatz wird hier der Begriff Prekarität nicht deckungsgleich mit den vorherigen Abschnitten verwendet.
Es stellt sich die Frage, inwieweit junge Fachkräfte, die eine duale Ausbildung absolviert haben, von Prekarität und Entkopplung betroffen sind und welche Faktoren ihre berufliche Integration beeinflussen. Im Mittelpunkt steht dabei die Untersuchung des Berufsfelds der Ausbildung. Erfolg oder Misserfolg der beruflichen Integration haben Implikationen für die Attraktivität der Ausbildung in einem Berufsfeld. Um bei der Untersuchung des Berufseinstiegsverlaufs auch die Abfolge der Zustände einzubeziehen, erfolgt die Zuordnung der Berufsverläufe zu den Integrationstypen mittels Sequenzmusteranalyse und inhaltlicher Kriterien. Dabei wird die rein quantitative Verteilung der Zustände, besonders in den letzten 14–18 Monaten des Untersuchungszeitraums, mit einbezogen. Zeigt sich hier eine eindeutige Tendenz, wird der entsprechende Zustand als dominant gewertet. Ein wichtiges Kriterium für eine gelungene Integration ist zusätzlich eine ununterbrochene Beschäftigungsphase von mindestens 15 Monaten. Kurze Beschäftigungsunterbrechungen zu Beginn werden als weniger gravierend betrachtet, als wenn diese gegen Ende des Untersuchungszeitraums auftauchen. Auf dieser Grundlage wird der gesamte Berufseinstiegsverlauf als integriert, prekär oder entkoppelt gewertet. Berufsverläufe, die weitgehend von Arbeitslosigkeit geprägt sind, gelten als entkoppelt (vgl. Castel 2000).
Als integriert werden Berufsverläufe definiert, die entweder
- durchgehend von integrierter Beschäftigung geprägt sind,
- nach einer gewissen Phase der Sucharbeitslosigkeit integrierte Beschäftigung aufweisen,
- nur sehr wenige und eher kurze Unterbrechungen von ansonsten integrierter Beschäftigung zeigen,
- außer bis zu einem Jahr fehlender Angabe mit integrierter Beschäftigung verbunden sind, was auf eine Wehr- oder Zivildienstphase hindeutet,
- oder wenn nach einer länger andauernden beruflichen Integrationsphase weitere Ausbildungsphasen oder fehlende Meldungen folgen (hier könnten eher karrierefördernde Weiterbildungsphasen oder ein erfolgreicher Übergang in Selbstständigkeit vermutet werden, wenn ansonsten keine Anzeichen von Prekarität oder Arbeitslosigkeit im Berufsverlauf auftauchen).332
Nach diesen Kriterien kann bei 52 % der jungen Fachkräfte von einer gelungenen beruflichen Integration ausgegangen werden.
Dominiert Arbeitslosigkeit zumindest die zweite Hälfte der Berufseinstiegsphase, so werden die beruflichen Verläufe als entkoppelt eingestuft. Dies betrifft über 3 % der jungen Fachkräfte. Fast 11 % aller Berufsverläufe können nicht den beruflichen Integrationstypen zugeordnet werden, da fehlende Meldungen oder weitere Ausbildungszeiten vorherrschen.
Prekäre Berufsverläufe liegen vor, wenn
- sie von prekärer Beschäftigung dominiert sind, vor allem gegen Ende des Beobachtungszeitraums,
- vermeintlich integrierte Phasen häufig unterbrochen werden („unsteter Berufsverlauf“).
Danach kann die Berufseinstiegsphase von knapp 34 % der Absolventinnen und Absolventen als prekär bewertet werden.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Insgesamt können 52 % der Berufsverläufe als integriert bezeichnet werden. Immerhin über ein Drittel (34 %) muss als prekär bewertet werden. Der Anteil entkoppelter Berufsverläufe erscheint zwar gering (3 %), ist aber nach erfolgreichem Abschluss einer dualen Ausbildung so nicht zu erwarten gewesen. Es zeigt sich daher, dass nach einer dualen Ausbildung nicht selbstverständlich von einer gelungenen Integration ausgegangen werden kann.
Hat man die Berufsverläufe eingeteilt in integrierte, entkoppelte und prekäre, kann man in einem weiteren Schritt bestimmen, welche Variablen die Zugehörigkeit zu diesen drei Kategorien beeinflussen. Dies wird mittels multinominaler logistischer Regression333 berechnet. Als Einflussvariablen sind die Ausbildungsfelder, das Geschlecht, die Region (Ost / West) und die Schulbildung der Absolventen / Absolventinnen (Abitur ja / nein) von Interesse. Bei den vorliegenden Ausbildungsfeldern werden analog zu Kapitel C2 aufgrund ihrer Besetzung 16 einzeln ausgewertet, die insgesamt 88 % der Absolventen / -innen umfassen. Die übrigen Ausbildungsfelder werden zu einer Restkategorie zusammengefasst.334 Nicht alle Berufsgruppen aus der IAB-Beschäftigtenstichprobe lassen sich exakt den Ausbildungsfeldern (nach Tiemann u. a. 2008) zuordnen. Verteilt sich eine Berufsgruppe auf mehrere Ausbildungsfelder, so wird sie dem Ausbildungsfeld zugeordnet, das im Jahr 2001 mindestens 75 % aller Absolventen / -innen umfasste. Dies konnte über die Zahlen der Absolventen / Absolventinnen der einzelnen Ausbildungsberufe335 errechnet werden.336
Im Folgenden wird der Effekt der einzelnen Kategorien der Variablen auf die berufliche Integration untersucht.337 Zunächst werden Berufsverläufe daraufhin verglichen, ob sie von Entkopplung oder gelungener Integration bestimmt sind. Betrachtet man die Ausbildungsfelder Tabelle C3-1, so zeigt sich vor allem im Bereich „Bauberufe, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ ein höchst signifikant338 erhöhtes Risiko beruflicher Desintegration. Signifikant größer ist diese Gefahr auch im Ausbildungsfeld „Hotel-, Gaststättenberufe, Hauswirtschaft“ und „Metall-, Anlagenbau, Blechkonstruktion, Installation, Montierer / -innen“. Bei den sonstigen kaufmännischen Berufen (ohne Groß- und Einzelhandel, Kreditgewerbe) erscheint die Gefahr beruflicher Desintegration gering zu sein, da in dieser Stichprobe keine / keiner der 80 Absolventen / -innen dieses Ausbildungsfelds dem entkoppelten Berufsverlauf zuzurechnen ist.339
Außerdem zeigt sich in Westdeutschland – höchst signifikant – eine geringere Wahrscheinlichkeit von Entkopplung als in Ostdeutschland und für junge Fachkräfte ohne Abitur ein signifikant höheres Risiko als für solche mit Abitur. Das Geschlecht hat allerdings keinen Einfluss darauf, ob Berufsverläufe entkoppelt sind oder nicht.
Als Nächstes werden prekäre und integrierte Berufsverläufe einander gegenübergestellt. Bei den Ausbildungsfeldern zeigt sich die Gefahr prekärer Integration in den ersten drei Berufsjahren höchst signifikant bei „Berufen in der Körperpflege“, aber auch bei „Köchen / -innen“ sowie in den Bereichen „Bauberufe, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ und „Land-, Tier-, Forstwirtschaft, Gartenbau“. Eine hochsignifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit prekärer Integration zeigt sich in der „Back-, Konditor-, Süßwarenherstellung“, bei den „Verkaufsberufen (Einzelhandel)“ und im Ausbildungsfeld „Hotel-, Gaststättenberufe, Hauswirtschaft“. Damit weisen die zwei signifikant stärker von Entkopplung betroffenen Bereiche „Bauberufe, Holz-, Kunststoffbeund -verarbeitung“ und „Hotel-, Gaststättenberufe, Hauswirtschaft“ auch eine größere Gefahr prekärer Berufsverläufe auf.
Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit prekärer Integration bei „Bank- und Versicherungsfachleuten“ höchst signifikant und in den „Kaufmännischen Büroberufen“ hochsignifikant geringer. Bei diesen Berufsfeldern zeigte sich kein signifikanter Unterschied, dem entkoppelten Integrationstyp anzugehören. Demgegenüber weisen die „Sonstigen kaufmännischen Berufe (ohne Groß- / Einzelhandel, Kreditgewerbe)“ kein signifikant geringeres Risiko einer prekären Integration auf, obwohl sie in dieser Stichprobe von Entkopplung überhaupt nicht betroffen sind. Einige Berufsfelder unterscheiden sich daher grundlegend im Hinblick auf die Gefahr prekärer Integration und Entkopplung.
Im Übrigen tritt auch der prekäre Integrationstyp in Westdeutschland höchst signifikant seltener auf als in Ostdeutschland. Außerdem ist bei jungen Fachkräften ohne Abitur die Wahrscheinlichkeit von Prekarität signifikant größer als bei solchen mit Hochschulreife. Auch zeigt sich eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit prekärer Integration bei Frauen. Dies kann mehrere Ursachen haben: eine direkte Diskriminierung von Frauen z. B. bei der Einkommenshöhe, ein größerer Anteil von Teilzeitbeschäftigung bei Familiengründung340 oder eine weitere interne Differenzierung zwischen den einzelnen Berufen innerhalb der Ausbildungsfelder zuungunsten eher weiblich besetzter Berufe (vgl. Engelbrech / Nagel 2002).
Die Untersuchung von Berufsverläufen erlaubt im Gegensatz zur Analyse einzelner Zeitpunkte eine wesentlich genauere Bewertung beruflicher Integration. Das Ausmaß von prekären Berufseinstiegsverläufen zeigt sich deutlich. Zwar kann die Mehrheit der Berufsverläufe als integriert eingestuft werden, ein erstaunlich großer Anteil muss aber als prekär bewertet werden. Relativ wenige Berufsverläufe sind als entkoppelt zu charakterisieren, aber auch dieser Anteil ist für Absolventen / Absolventinnen einer dualen Ausbildung überraschend hoch.
Junge Fachkräfte aus dem Ausbildungsfeld „Bauberufe, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ sind nicht nur häufiger prekär integriert, sondern auch besonders oft entkoppelt. Dies deckt sich mit den deskriptiven Ergebnissen des vorherigen Abschnittes. Besonders bei „Berufen in der Körperpflege“, bei „Köchen / -innen“ und in den Bereichen „Bauberufe, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ und „Land-, Tier-, Forstwirtschaft, Gartenbau“ sind die Absolventen / -innen relativ häufig prekär integriert. Vor allem „Bank- und Versicherungsfachleute“, aber auch „Kaufmännische Büroberufe“ sind recht selten von Prekarität betroffen, sondern eher integriert. Die Ergebnisse der multinomialen logistischen Regression stehen also größtenteils nicht im Widerspruch mit den in Kapitel C2.3 ( vgl. Tabelle C2.3-1) beschriebenen Analysen, die anhand des Mikrozensus den Anteil vollwertiger Beschäftigung, Prekarität und Erwerbslosigkeit in den Ausbildungsfeldern beschreiben. Unabhängig davon zeigt sich bei Frauen eine erhöhte Gefahr prekärer Integration. Sowohl für die Vorhersage von Entkopplung als auch Prekarität haben Schulbildung und Region großes Gewicht.