A9.1 Entwicklung der Ausbildungsvergütungen
Die Ausbildungsvergütungen sind in der dualen Berufsausbildung von erheblicher finanzieller Bedeutung. Jeder Betrieb ist gesetzlich verpflichtet, seinen Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu zahlen (§ 17 Berufsbildungsgesetz). Diese soll die Auszubildenden spürbar bei der Deckung ihrer Lebenshaltungskosten unterstützen und zugleich eine Entlohnung für die im Betrieb geleistete produktive Arbeit darstellen. Für die Ausbildungsbetriebe sind die zu zahlenden Vergütungen einer der größten Kostenfaktoren bei der Durchführung der Berufsausbildung (vgl. Beicht/Walden/Herget 2004). In den meisten Wirtschaftszweigen vereinbaren die Tarifpartner (Arbeitgeber und Gewerkschaften) die Höhe der Ausbildungsvergütungen im Rahmen der Tarifverhandlungen.219 Für tarifgebundene Ausbildungsbetriebe, d. h. Betriebe, die dem tarifschließenden Arbeitgeberverband angehören, sind die festgelegten Tarifsätze verbindlich. Niedrigere Zahlungen sind hier nicht zulässig, übertarifliche Zuschläge aber erlaubt. Anders ist die Situation bei nicht tarifgebundenen Betrieben: Sie können die in ihrer Branche und Region geltenden tariflichen Ausbildungsvergütungen nach derzeitiger Rechtsprechung um bis zu 20 % unterschreiten. Dennoch zahlen auch diese Betriebe häufig freiwillig die tariflichen Vergütungssätze (vgl. Beicht 2006).220 Die tatsächlichen Vergütungszahlungen sind somit in hohem Maße durch die tariflichen Vereinbarungen bestimmt. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) beobachtet und analysiert seit 1976 die Entwicklung der tariflichen Ausbildungsvergütungen.
Die zugrunde gelegten Angaben aus über 500 Tarifbereichen werden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Verfügung gestellt. Für die Aktualisierung 2008 wurden weitere Quellen herangezogen, insbesondere die monatlichen Tarifberichte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI).
E Tarifliche Ausbildungsvergütungen
Das BIBB führt jährlich zum Stand 1. Oktober eine Auswertung tariflicher Ausbildungsvergütungen durch. Die Grundlage bilden dabei die für die einzelnen Ausbildungsjahre festgesetzten monatlichen Vergütungsbeträge in den gemessen an den Beschäftigtenzahlen größten Tarifbereichen Deutschlands. Getrennt nach alten und neuen Ländern werden jeweils die Vergütungsdurchschnitte für stärker besetzte Ausbildungsberufe ermittelt. Derzeit sind 185 Berufe in den alten und 152 Berufe in den neuen Ländern einbezogen. In diesen werden 90 % aller Auszubildenden in den alten und 83 % in den neuen Ländern ausgebildet.
Tarifliche Vereinbarungen werden meistens für einen bestimmten Wirtschaftszweig in einer bestimmten Region – dies wird als Tarifbereich bezeichnet – abgeschlossen. In einem Tarifbereich werden dabei in der Regel für alle Auszubildenden – unabhängig vom Ausbildungsberuf – einheitliche Vergütungssätze festgelegt. Allerdings unterscheidet sich das Vergütungsniveau zwischen den Wirtschaftszweigen beträchtlich. Zudem gibt es oft auch regionale Unterschiede innerhalb der Wirtschaftszweige. Im Rahmen der Auswertungen der tariflichen Ausbildungsvergütungen erfolgt pro Ausbildungsberuf eine Durchschnittsberechnung über die Wirtschaftszweige bzw. Tarifbereiche, in denen der jeweilige Beruf schwerpunktmäßig bzw. typischerweise ausgebildet wird (vgl. Beicht 2006). Die in etwa 5 % der Tarifbereiche vereinbarten erhöhten Ausbildungsvergütungen, die ab einem bestimmten Lebensalter (in der Regel ab 18 Jahren) zu zahlen sind, werden dabei immer einbezogen. Bei Durchschnittsbildungen über die berufsspezifischen Vergütungen erfolgt jeweils eine Gewichtung mit den Auszubildendenzahlen der Berufe.
Aktuelle Vergütungsstrukturen
Im Jahr 2008 stiegen die tariflichen Ausbildungsvergütungen in den alten Ländern um durchschnittlich 2,0 % gegenüber dem Vorjahr an, womit ein Gesamtdurchschnitt von 657 € pro Monat erreicht wurde.221 In den neuen Ländern betrug die Erhöhung 2,9 %, der Durchschnitt lag bei 567 €. Der Abstand zum Tarifniveau der alten Länder blieb mit 86 % der westlichen Vergütungshöhe unverändert. Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet war ein Vergütungsdurchschnitt von monatlich 642 € zu verzeichnen, was einer Steigerung von 2,2 % gegenüber dem Vorjahr entsprach.
Zwischen den einzelnen Ausbildungsberufen gibt es erhebliche Unterschiede in der Höhe der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen. In Schaubild A9.1-1 sind die Ergebnisse für 20 exemplarisch ausgewählte Berufe, die das breite Vergütungsspektrum verdeutlichen, dargestellt.222 Die höchsten Ausbildungsvergütungen waren 2008 im Beruf Binnenschiffer/Binnenschifferin tariflich vereinbart, und zwar einheitlich für alte und neue Länder. Sehr hoch lagen insbesondere in den alten Ländern auch die Vergütungen in den Ausbildungsberufen des Bauhauptgewerbes (z. B. Maurer/Maurerin). Sehr niedrig waren demgegenüber in den alten und neuen Ländern die Ausbildungsvergütungen in den Berufen Maler und Lackierer/Malerin und Lackiererin, Friseur/Friseurin und Florist/Floristin.
Die mit der Auszubildendenzahl gewichtete Verteilung der Berufe nach Vergütungshöhe geht aus Schaubild A9.1-2 hervor. Hier fällt vor allem die im Vergleich zu den alten Ländern deutlich stärkere Streuung der tariflichen Ausbildungsvergütungen in den neuen Ländern auf. In den alten Ländern lagen die Vergütungen 2008 für 35 % der Auszubildenden mit 750 € und mehr relativ hoch. Für 55 % bewegten sich die Beträge zwischen 500 € und 749 €, und für 10 % fielen die Vergütungen mit weniger als 500 € vergleichsweise niedrig aus. Demgegenüber wurden in den neuen Ländern mit 17 % der Auszubildenden wesentlich seltener höhere Beträge von mindestens 750 € erreicht, und auch Vergütungen zwischen 500 € und 749 € waren mit 38 % deutlich seltener. Für 45 % der Auszubildenden waren dagegen Vergütungen von weniger als 500 € zu verzeichnen, für 15 % lagen sie sogar unter 400 €.
Das Vergütungsniveau unterscheidet sich deutlich nach Ausbildungsbereichen. In den alten Ländern waren 2008 in Industrie und Handel mit durchschnittlich 730 € relativ hohe Ausbildungsvergütungen tariflich vereinbart, ebenso im öffentlichem Dienst mit 724 €. Dagegen fielen die Vergütungsdurchschnitte in der Landwirtschaft (567 €), im Handwerk (547 €) und bei den freien Berufen (533 €) wesentlich niedriger aus. Noch größere Unterschiede gab es in den neuen Ländern: Hier lagen die Ausbildungsvergütungen im öffentlichen Dienst mit durchschnittlich 719 € mit Abstand an der Spitze, gefolgt von Industrie und Handel mit 632 €. Weit darunter bewegten sich die Vergütungen bei den freien Berufen (518 €), in der Landwirtschaft (469 €) und im Handwerk (422 €). Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass insbesondere in den Bereichen Industrie und Handel sowie Handwerk die Vergütungen der einzelnen Berufe sehr stark differieren.
Es lassen sich auch Vergütungsunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Auszubildenden feststellen. In den alten Ländern betrug 2008 der durchschnittliche Betrag für männliche Auszubildende 672 € und für weibliche 635 €. In den neuen Ländern kamen männliche Auszubildende auf 577 € und weibliche auf 548 €. Die abweichenden Vergütungsdurchschnitte resultieren ausschließlich aus der unterschiedlichen Verteilung von männlichen und weiblichen Auszubildenden auf die Berufe, d. h., junge Frauen werden häufiger in Berufen mit niedrigeren Ausbildungsvergütungen ausgebildet als junge Männer (vgl. Beicht 2006).
Bei den bisher genannten Beträgen handelte es sich immer um Durchschnittswerte über die gesamte Ausbildungsdauer der Berufe. Für die einzelnen Ausbildungsjahre wurden folgende durchschnittliche Vergütungen pro Monat ermittelt: In den alten Ländern lagen sie im 1. Ausbildungsjahr bei 584 €, im 2. Jahr bei 652 €, im 3. Jahr bei 728 € und im 4. Jahr bei 766 €. In den neuen Ländern betrugen die Vergütungen im 1. Ausbildungsjahr durchschnittlich 503 €, im 2. Jahr 570 €, im 3. Jahr 630 € und im 4. Jahr 680 € pro Monat.223
Schaubild A9.1-1: Tarifliche Ausbildungsvergütungen in 20 ausgewählten Berufen 2008
Quelle: Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung
Schaubild A9.1-2: Verteilung der Auszubildenden nach Vergütungshöhe 2008
Quelle: Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung
Langfristiger Vergütungsanstieg vor dem Hintergrund der Preissteigerung sowie der Lohn- und Gehaltsentwicklung
Von 1992 bis 2008 wurden die tariflichen Ausbildungsvergütungen in den alten Ländern um insgesamt 39,2 % angehoben.224 Die jährlichen Steigerungsraten bewegten sich in diesem Zeitraum im Gesamtdurchschnitt zwischen 5,3 % im Jahr 1993 und 0,8 % im Jahr 2004; im Jahr 1997 gab es eine völlige Stagnation Schaubild A9.1-3. In den neuen Ländern betrug die Gesamtzunahme der Vergütungen seit 1992 sogar 76,6 %. Hier schwankte die jährliche Erhöhung zwischen 26,1 % in 1993 und 0,6 % in 2005; in den Jahren 1997 und 1999 gingen die Vergütungen im Durchschnitt sogar um 1,7 % bzw. 0,7 % zurück.225 Der starke Anstieg in den ersten Jahren nach der deutschen Vereinigung war darauf zurückzuführen, dass zunächst eine sehr rasche Angleichung an das westliche Tarifniveau angestrebt wurde. Während im Jahr 1992 die Vergütungen in den neuen Ländern erst 68 % der westlichen Vergütungshöhe erreichten, waren es 1996 immerhin 90 %. Danach war die Entwicklung allerdings wieder rückläufig, und über viele Jahre – von 2001 bis 2006 – lagen die Vergütungen nur noch bei 85 % des Westniveaus; erst ab 2007 näherten sie sich mit 86 % wieder etwas weiter an.
Die beschriebene nominale Vergütungssteigerung gibt noch keinen Aufschluss über den realen Anstieg, d. h. den tatsächlichen Zugewinn an Kaufkraft. Um diesen zu ermitteln, muss die Preissteigerung berücksichtigt werden. Dies kann auf Basis des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Verbraucherpreisindex (Gesamtindex für Deutschland) erfolgen. Danach erhöhten sich die Verbraucherpreise in Deutschland von 1992 bis 2007226 um insgesamt 30,7 %. Der nominale Gesamtanstieg der tariflichen Ausbildungsvergütungen belief sich von 1992 bis 2007 in den alten Ländern auf 36,4 % und die reale Erhöhung somit auf lediglich 5,7 %. In den neuen Ländern wurde mit einer nominalen Steigerung von 71,7 % zwar ein realer Zuwachs von 41 % erreicht, jedoch ist dort das sehr geringe Ausgangsniveau der Vergütungen im Jahr 1992 zu beachten.
Wird die Vergütungsentwicklung jeweils im Vergleich zum Vorjahr betrachtet, zeigt sich, dass es in den alten Ländern nur in wenigen Jahren eine nennenswerte reale Zunahme der Ausbildungsvergütungen von durchschnittlich mehr als einem Prozent gab, zuletzt traf dies auf 2002 mit 1,3 % und auf 2003 mit 1,2 % zu Tabelle A9.1-2. In mehreren Jahren, insbesondere von 2004 bis 2006, gingen die durchschnittlichen Vergütungen bezogen auf die Kaufkraft sogar merklich zurück (2004: -0,8 %, 2005: -1,0 %, 2006: -0,7 %). In den neuen Ländern war insbesondere 1993 (21,8 %) ein beträchtlicher Realanstieg zu verzeichnen, und auch in den beiden Nachfolgejahren nahmen die Vergütungen real noch relativ stark zu (1994: 5,0 %, 1995: 6,6 %). Danach gab es, wenn überhaupt, nur noch in kleinem Umfang reale Erhöhungen (maximal 1,7 % im Jahr 1996). Mehrfach ging auch hier die Kaufkraft der Vergütungen im Durchschnitt deutlich zurück, zuletzt 2005 (-1,4 %) und 2006 (-0,4 %). Somit wurde sowohl in den alten als auch in den neuen Ländern mit der Erhöhung der Ausbildungsvergütungen in den letzten Jahren meist nicht einmal mehr der Kaufkraftverlust ausgeglichen.
Nachfolgend wird darauf eingegangen, inwieweit der Anstieg der Ausbildungsvergütungen der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung entsprach. Hierzu werden die vom Statistischen Bundesamt ermittelten Indizes der Tariflöhne und -gehälter herangezogen.227 Diesen werden die ermittelten Steigerungsraten der tariflichen Ausbildungsvergütungen in den Arbeiter- und Angestelltenberufen gegenübergestellt. Den Arbeiterberufen sind dabei alle gewerblichen bzw. gewerblich-technischen Berufe zugeordnet, in denen nach der Ausbildung eine Beschäftigung als Facharbeiter/-in üblich ist. Den Angestelltenberufen sind die kaufmännischen, verwaltenden und technischen Ausbildungsberufe zugerechnet, in denen später in der Regel eine Tätigkeit als Angestellter/Angestellte erfolgt.
In den alten Ländern stiegen die Ausbildungsvergütungen in den Arbeiterberufen von 1995 bis 2007 um durchschnittlich 21,3 % an, im gleichen Zeitraum erhöhten sich die Tariflöhne um 28,2 % Tabelle A9.1-3. Die Ausbildungsvergütungen in den Angestelltenberufen wurden um 21,4 % angehoben, der Anstieg der Tarifgehälter betrug 27,7 %. In den neuen Ländern erhöhten sich die Ausbildungsvergütungen in den Arbeiterberufen um nur 11,4 %, die Löhne stiegen demgegenüber um 33,2 % an. In den Angestelltenberufen nahmen die Ausbildungsvergütungen um 27,4 % zu, die Steigerung der Gehälter lag bei 36,1 %. Der Anstieg der Ausbildungsvergütungen fiel damit sowohl in den alten als auch in den neuen Ländern deutlich geringer aus als bei den Tariflöhnen und -gehältern, wobei die Unterschiede in den neuen Ländern noch erheblich ausgeprägter waren, vor allem in den Arbeiterberufen.
(Ursula Beicht)
Schaubild A9.1-3: Entwicklung der Ausbildungsvergütungen von 1992 bis 2008
Quelle: Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung