D3 Entwicklung von überbetrieblichen Berufsbildungsstätten hin zu Kompetenzzentren
Ausbildung in den Berufen des dualen Systems findet an den beiden Lernorten Betrieb und Berufsschule statt. Seit den 1970er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gibt es in Deutschland einen weiteren „Lernort“, die „überbetrieblichen Berufsbildungsstätten“ (ÜBS). Die Ausbildungsabschnitte in der ÜBS ergänzen und vertiefen die fachpraktischen Aspekte. Abseits vom Zeitdruck und den Gewährleistungszwängen der betrieblichen Tätigkeit erwerben die Jugendlichen unter Anleitung von erfahrenen Ausbildungsmeisterinnen und -meistern berufliche Handlungskompetenz.
E Überbetriebliche Berufsbildungsstätten (ÜBS)
ÜBS haben die Aufgabe, die betriebliche Ausbildung mit ergänzenden Kursen zu unterstützen. Kleinere Betriebe sind wegen ihrer Spezialisierung oft nicht imstande, alle Lerninhalte der Ausbildungsordnung zu vermitteln. ÜBS sichern eine breite Ausbildung und tragen dazu bei, dass technologische Neuentwicklungen in der Ausbildung berücksichtigt werden. Sie verfügen über modern ausgestattete Werkstätten und Theorieräume, die außer für Ausbildung auch für Fort- und Weiterbildungsmaß nahmen sowie für Berufsorientierung und Berufsvorbereitung genutzt werden.
Das BIBB fördert nach § 90 BBiG die Errichtung, Modernisierung und Weiterentwicklung von ÜBS aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). An der Förderung sind neben dem BMBF/BIBB (Schwerpunkt: Ausbildung) auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi)/Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) (Schwerpunkt: Fort- und Weiterbildung) und das jeweilige Bundesland beteiligt. Einzelheiten der Förderung sind in der Gemeinsamen Richtlinie des BMBF und BMWi vom 24.06.2009 geregelt, nachzulesen unter http://www.bibb.de/de/5260.htm.
In Deutschland gibt es inzwischen 800 ÜBS, davon ca. 200 in den östlichen Bundesländern. Wenngleich die demografische Entwicklung – insbesondere im Osten – zu einem Rückgang an Auszubildenden führen wird, ist diese Form der ergänzenden Berufsausbildung nach wie vor notwendig. Die Flut technischer Innovationen setzt gerade kleine Unternehmen unter einen erheblichen Anpassungsdruck.
Die Kluft zwischen Innovationsdruck und Mangel an hochqualifizierten Facharbeitern stellt besonders für den Mittelstand eine Bedrohung dar. Das Handwerk wird sich gegenüber der Konkurrenz größerer Anbieter nur behaupten können, wenn es marktgerechte Produkte anbietet. Dazu müssen Markttrends beobachtet und Innovationen aufgegriffen werden, um diese gewinnbringend in neue Produkte umzusetzen. Gerade kleine Betriebe finden aufgrund geringer Personalkapazität und ihrer praxisorientierten Denkhaltung aber nur schwer Zugang zu den für sie verwertbaren Innovationen.
Im Rahmen ihrer Berufsbildungspolitik und Gewerbeförderung unterstützen BMBF und BMWi kleine und mittlere Firmen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Dies geschieht nicht durch direkte Mittelvergabe an die Wirtschaft, sondern seit rund 10 Jahren über die Förderung fachlich herausragender ÜBS, die als „Kompetenzzentren“ 276 mittels Monitoring, Demonstration und Qualifizierung dazu beitragen, neue Technologien schnell in die betriebliche Praxis zu integrieren. Seit 2009 geschieht diese Förderung durch die beiden Ministerien auf einer „Gemeinsamen Richtlinie für die Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten und ihrer Weiterentwicklung zu Kompetenzzentren“. Für die Administration sind aufseiten des BMWi das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und aufseiten des BMBF das BIBB zuständig.
E Kompetenzzentren
Fachlich besonders qualifizierte ÜBS können sich auf ihrem Spezialgebiet mit finanzieller Unterstützung durch BMBF und BMWi zu einem Kompetenzzentrum weiterentwickeln. Kompetenzzentren sammeln systematisch Informationen und Know-how zu neuen Technologien und Verfahren, prüfen diese auf deren Verwendbarkeit für mittelständische Unternehmen und tragen mit Beratung und Schulung dazu bei, dass Innovationen aus Forschung und Entwicklung schnell Eingang in die betriebliche Praxis finden. Die von ihnen entwickelten Qualifizierungsmaßnahmen, Lernplattformen und Blended-Learning-Kurse können preisgünstig von anderen ÜBS mit genutzt werden. BIBB und BAFA fördern und begleiten die ÜBS bei der Personal- und Organisationsentwicklung, die Voraussetzung für die Arbeitsweise eines Kompetenzzentrums sind. Aufgabe und Anforderungen an ein Kompetenzzentrum sind in der Förderkonzeption des BMBF vom Mai 2001 beschrieben, Einzelheiten siehe unter http://www.bibb.de/dokumente/pdf/uebs_foerderkonzept.pdf.
Zurzeit gibt es 27 Kompetenzzentren, insbesondere in hochtechnisierten und sich rasch verändernden Gewerken Tabelle D3-1 Internet. Elektro- und Informationstechnik, Kraftfahrzeug- und Nutzfahrzeug- Technik, Hörgeräte-Akustik und Solartechnik sind nur einige Bereiche, die hier genannt werden. Im Folgenden wird die konkrete Aufgabenstellung von Kompetenzzentren anhand eines Beispiels aus dem Elektrotechnischen Handwerk näher beschrieben.
Kompetenzzentren als Innovationsmotoren für KMU
Die im Bereich der Elektro- und Informationstechnik tätigen Handwerksunternehmen stehen bereits seit Jahrzehnten einem kontinuierlichen technologischen Wandel gegenüber. In den letzten Jahren hat sich dieser Wandel weiter beschleunigt. So erfordern höhere Sicherheits- und Komfortanforderungen in der elektrischen Installationstechnik eine fortlaufende Anpassung des Kenntnisstands bei den Mitarbeitern in Handwerksunternehmen.
In der Gebäudeautomatisierung sind Bus-Systeme277 in gewerblichen Gebäuden zum Standard geworden und gewinnen auch im privaten Wohnungsbau zunehmend an Bedeutung. Bereiche, die sich früher unabhängig voneinander entwickelt haben wie die Elektro- und Informationstechnik, werden in der Gebäudeautomatisierung integriert. Dies führt zu komplexen Systemen, die von der Steuerung und Regelung elektrischer Geräte über den energieeffizienten Einsatz von Klimatisierung und Beleuchtung bis zur Objektüberwachung und Zugangskontrolle mittels Multimedia reichen. Vorläufiges Ziel dieser Entwicklung wird das „Smart Home“ sein, das seinen Bewohnern ein Höchstmaß an Komfort, Wirtschaftlichkeit, Flexibilität und Sicherheit bieten soll, gewährleistet durch die Vernetzung von Haustechnik, Elektrohaushaltsgeräten und Multimedia- Geräten.
Die Anwendung innovativer Steuerungs- und Regel ungstechniken und deren Vermittlung in der Aus- und Weiterbildung im Elektro- und Informationstechnischen Handwerk ist angesichts politischer Zielsetzungen (Energieeffizienz, Klimaschutz) dringend erforderlich. Die Handwerksunternehmen müssen sich, wollen sie nicht von den Facility- Management-Angeboten freier Unternehmer vom Markt verdrängt werden, zum „Systembetreuer“ z. B. im Bereich der Gebäudeautomation weiterentwickeln. Sie müssen das komplette Technologieangebot beherrschen und kundengerechte innovative Lösungen verkaufen. Hierzu bedürfen sie der Beratung und Unterstützung durch die Kompetenzzentren, die Demonstrationsanlagen und passgenaue Schulungsmaßnahmen anbieten.
Das BMBF fördert die Errichtung von Demonstrationsanlagen in ausgewählten Bildungszentren, wobei das Gebäude selbst („Baukörper gleich Lehrkörper“) zum Anschauungsobjekt wird und unterstützt mit der Bezuschussung von Personal- und Sachkosten die Entwicklung sogenannter „Leitprojekte“. So wurden z. B. Lehrgänge zum Thema Gebäudeautomation als Online-Kurse entwickelt, die ortsunabhängig genutzt werden können. Dieses Angebot unterstützt den Facharbeiter, der „auf Montage“ oder beim Kunden genaue Mess- und Regelungsdaten benötigt, ebenso wie die Auszubildenden. Die virtuellen Lernumgebungen ermöglichen die Visualisierung vernetzter Vorgänge und erlauben es, Funktionsweisen zu verfolgen und Eingriffe ins System ohne Schaden vorzunehmen, wodurch der Lernerfolg gesteigert werden kann.
Eine weitere Herausforderung für die elektro- und informationstechnischen Handwerke wird die Notwendigkeit, die in der Gewinnung nicht planbaren erneuerbaren Energien mit konventionellen Energieangeboten zu einem preisgünstigen und zuverlässigen Mix zu verbinden.
Dass neue Herausforderungen auch vor anderen Gewerken nicht haltmachen, zeigt die von der Bundesregierung angestoßene Entwicklung Deutschlands zu einem Leitmarkt für Elektrofahrzeuge. Die Anforderungen, die sich durch die Kombination von Elektroantrieb, Bereitstellung und Steuerung der Stromversorgung und Entwicklung eines neues Fahrzeugtyps samt Serviceinfrastruktur an die Qualifizierung von Facharbeiterinnen und Facharbeitern stellen, sind nur durch Zusammenwirken aller Beteiligten zu erfüllen. Hierbei sind die Kompetenzzentren im Rahmen einer berufsübergreifenden Zusammenarbeit unverzichtbare Partner.
(Christine Noske)