B1.1.1 Beteiligung der Bevölkerung an beruflicher Weiterbildung
Lebenslanges Lernen nimmt im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs einen großen Stellenwert ein. Die stetige Entwicklung aller Lebensbereiche und damit einhergehende Veränderungen erfordern von jedem Einzelnen kontinuierliches Lernen über die reguläre Schul- und Ausbildungslaufbahn hinaus. Wer sich heute nicht weiterbildet und seine Bildungskarriere voranbringt, gerät schnell ins berufliche Abseits. Lernen im Erwachsenenalter spielt somit eine zentrale Rolle – nicht nur für die Beschäftigungsfähigkeit, sondern auch die persönliche Weiterentwicklung – und gilt als zentrales Element gesellschaftlicher Inklusion.
Bereits seit 1979 registriert das „Berichtssystem Weiterbildung“ (BSW) die Entwicklung der Weiterbildungsbeteiligung für die Bundesrepublik Deutschland. Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) befragte Infratest im 3-Jahres- Turnus eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung. Das BSW war bisher die wichtigste Erhebung zur Weiterbildungsbeteiligung. Um zukünftig auf europäischer Ebene Vergleichbarkeit zu gewährleisten, ging 2007 erstmalig der „Adult Education Survey“ (AES) ins Feld.
E Berichtssystem Weiterbildung (BSW) und Adult Education Survey (AES)
Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) führte TNS Infratest Sozialforschung 2007 im Projektverbund mit dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE), dem Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung (IES) und Helmut Kuwan – Sozialwissenschaftliche Forschung und Beratung – parallel zwei Erhebungen durch, die das Weiterbildungsverhalten in Deutschland nach dem BSW- und dem AES-Konzept erfassten (vgl. Rosenbladt / Bilger 2008). Zwischen März und Juli 2007 ging das AES-Konzept als Piloterhebung ins Feld, womit die Umsetzung des europäischen Berichtskonzepts in der deutschen Bildungslandschaft erprobt wurde. Deutschland war eines von 18 europäischen Ländern, welche sich zwischen 2006 und 2008 beteiligten. Befragt wurden rund 7.000 Personen. Parallel wurde die Zeitreihe der seit 1979 erhobenen BSW-Daten zur Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland mit einer reduzierten Stichprobe fortgeführt (rd. 3.500 Befragte).
Sowohl das BSW- als auch das AES-Konzept bilden in etwa das Erwerbspersonenpotenzial ab. Personen in der Nacherwerbsphase (ab 65 Jahren) bleiben in beiden Erhebungen unberücksichtigt. Zukünftig sollen mit dem AES alle berufsbezogenen Lernprozesse der Personen im Alter von 25 bis 64 Jahren erfasst werden. Innerhalb der deutschen Piloterhebung wurden die 19- bis 24-Jährigen jedoch mit einbezogen.
Der BSW wurde inzwischen eingestellt. Die aktuellen AESDaten für das Erhebungsjahr 2010 werden noch in diesem Jahr zur Bearbeitung freigegeben.
Im AES werden Weiterbildungsaktivitäten anders erfasst als im BSW. Der Berufsbezug der Weiterbildung wird über das AES-Konzept hergestellt, sobald die Befragten angeben, sie hätten „hauptsächlich aus beruflichen Gründen“ an organisierter Weiterbildung in Form von Lehrgängen und Kursen teilgenommen. Ein Vergleich mit den BSW-Daten, die berufliche Weiterbildung ausschließlich über die jeweilige inhaltliche Ausrichtung der Kurse abbilden, ist aus methodischen Gesichtspunkten mit Vorsicht zu betrachten. Denn dies hat Auswirkungen auf die Befunde. Eine Fortschreibung der BSW-Zeitreihen ist aufgrund dessen ausgeschlossen.
E Teilnahmequoten beruflicher und berufsbezogener Weiterbildung
Berufliche Weiterbildung nach dem Zwei-Säulen-Modell (BSW)
Die Teilnahmequote gibt den Anteil der Teilnehmer / -innen an allen befragten Personen wieder, die sich in den zurückliegenden 12 Monaten an organisierter Weiterbildung in Form von Lehrgängen / Kursen beteiligt haben, die „unmittelbar mit ihrem Beruf zu tun haben“. Zur inhaltlichen Abgrenzung gegenüber allgemeiner Weiterbildung (2. Säule) werden konkret vier mögliche Ziele der Maßnahme genannt: Umschulung, beruflicher Aufstieg, Einarbeitung, Anpassung an neue berufliche Anforderungen und „Sonstiges“.
Berufsbezogene Weiterbildung nach dem Zwei-Stufen- Modell (AES)
Die Teilnahmequote gibt den Anteil der Teilnehmer / -innen an allen befragten Personen wieder, die sich in den zurückliegenden 12 Monaten an organisierter Weiterbildung in Form von Lehrgängen / Kursen beteiligt haben und in einem nachgelagerten Schritt (2. Stufe) angaben, dass dies hauptsächlich aus beruflichen Gründen erfolgt sei. Das Kriterium für die Differenzierung ist ausschließlich der subjektive Zweck der Weiterbildungsteilnahme.
Aufgrund der abweichenden Erhebungssysteme ergeben sich unterschiedliche Teilnahmequoten: Nahmen nach dem BSW-Konzept 2007 27 % an organisierter beruflicher Weiterbildung teil, waren es für den gleichen Zeitraum nach den AES-Daten 38 % der 19- bis 64-jährigen Bevölkerung, die angaben, Weiterbildung in Form von Lehrgängen / Kursen hauptsächlich aus beruflichen Gründen besucht zu haben.
Einflussfaktoren für die Teilnahme an Weiterbildung
Die Abhängigkeit der Weiterbildungsbeteiligung von sozialen Faktoren lässt sich mit den BSW- und AES-Daten in ähnlicher Weise abbilden (vgl. Rosenbladt / Bilger 2008, S. 153 ff.). Bivariate Ausführungen zur Differenzierung der Weiterbildungsbeteiligung nach soziodemografischen Merkmalen erlauben jedoch keine Aussagen über die Stärke von Einflussfaktoren, auch bleiben die „echten“ Einflussgrößen oft unberücksichtigt. Im Rahmen der nationalen Bildungsberichterstattung 2008 wurden auf Basis der AES-Daten logistische Regressionen215 durchgeführt. Neben der Effektstärke konnten daraus auch Hinweise auf zusammenhängende Einflüsse der Merkmale untereinander gewonnen und auf dieser Basis die „echten“ Einflussfaktoren identifiziert werden (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 141 ff.). Die Analysen führten zu folgenden Ergebnissen:
Der Erwerbsstatus und die berufliche Position beeinflussen die Weiterbildungsteilnahme in einem erheblichen Maße. Differenziert nach dem Erwerbsstatus haben Vollzeiterwerbstätige (Referenzgruppe) eine 12-mal so hohe Chance, sich an berufsbezogener Weiterbildung zu beteiligen, wie die Gruppe der Nichterwerbspersonen. Die Chancenabweichungen zwischen Vollzeiterwerbstätigen und Arbeitslosen sind zwar um einiges geringer, aber dennoch signifikant (3-fach). Im Vergleich zu den Teilzeitbeschäftigten liegt die Chance der Referenzgruppe immer noch 1,5-mal so hoch.
Ähnlich verhält es sich bei dem Merkmal „berufliche Position“: So haben Beamte im gehobenen und höheren Dienst eine 4,8-fach höhere Teilnahmechance gegenüber der Referenzgruppe der unoder angelernten Arbeiter / -innen. Bei Angestellten mit begrenzten Führungsfunktionen ist die Chance etwa 3,9-fach so hoch. Bei qualifizierten Angestellten und Beamten im einfachen und mittleren Dienst ist die Chance 2,7-fach, bei Facharbeitern 1,5-fach erhöht.
Dem Schul- und beruflichen Abschluss kommt ebenfalls ein besonderer Stellenwert zu. Mit steigendem Schulabschluss erhöht sich auch die Teilnahmechance an Weiterbildung. So haben Personen mit einer Fach- bzw. Hochschulreife unter sonst gleichen Bedingungen eine 1,9-fach höhere Chance, an berufsbezogener Weiterbildung zu partizipieren, als Personen mit bzw. ohne Hauptschulabschluss. Außerdem haben Personen ohne einen berufl ichen Abschluss (Referenzgruppe) gegenüber denjenigen mit einem Berufsabschluss eine geringere Teilnahmechance. Im Unterschied zum Merkmal des Schulabschlusses steigt dabei das Ausmaß der Chancenabweichungen nicht synchron mit der Abschlusshöhe. Befragte mit einem Fachschul-, Meister- oder Technikerabschluss (2,2) liegen gegenüber der Referenzgruppe in der Rangfolge der Teilnahmechancen an berufsbezogener Weiterbildung noch vor den Akademikern mit Fachhochschulabschluss oder Promotion (1,65). Die Chance von Personen mit Migrationshintergrund, an berufsbezogener Weiterbildung teilzunehmen, liegt gegenüber der gebürtiger Deutscher bei 66 %.
Die Regressionsanalyse bestätigt darüber hinaus die bivariaten Befunde hinsichtlich des Alters (Rosenbladt / Bilger 2008, S. 132 ff.). Demnach hat die Gruppe der 50- bis unter 65-Jährigen eine um knapp 40 % geringere Chance gegenüber den 19- bis unter 30-Jährigen (Referenzgruppe), an berufsbezogener Weiterbildung zu partizipieren.
Werden strukturelle Faktoren im Regressionsmodell berücksichtigt, so ist die Weiterbildungsteilnahme von Männern und Frauen in etwa gleich groß. Demnach wird die Benachteiligung von Frauen in der Weiterbildung primär über den Erwerbsstatus und die berufliche Position und weniger über die Qualifikation oder andere subjektiv-biografische Faktoren (z. B. Alter, Schulabschluss) vermittelt. Die Annahme, dass es sich bei der niedrigen Teilnahmequote von Frauen an beruflicher Weiterbildung eher um einen Erwerbsstatus- als einen Geschlechtseffekt handelt (vgl. Kuwan 1993, S. 32 ff.; Venth 2007, S. 3), konnte durch die multivariate Analyse wiederholt bestätigt werden.
(Kristina Enders, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung)