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DATENREPORT ZUM BERUFSBILDUNGSBERICHT 2012

C3 Prognosen zur weiteren Entwicklung des Übergangsbereichs

Die integrierte Ausbildungsberichterstattung (iABE) kann für die Vergangenheit die Entwicklungen im Übergangssektor nachzeichnen. Doch wie werden die Anfängerzahlen sich in diesem Bereich weiterentwickeln? Ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung mit einem weiteren Rückgang oder gar einem vollständigen Verschwinden dieses Sektors zu rechnen? Lassen sich hierfür überhaupt halbwegs belastbare Zahlen liefern?

Eine erste Abschätzung der künftigen Entwicklung der Gesamtzahl der Schüler / -innen im „Übergangssystem“ in Anlehnung an die Definitionen der iABE wurde 2010 von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder (2010, S. 22 ff. und 63 f.) vorgenommen. Die Vorausberechnung erfolgte, indem zunächst unter Zugrundelegung der Ist-Daten des Jahres 2008 feste Zugangs- und Übergangsquoten ermittelt wurden, bei denen z. B. die Anfänger / -innen der beruflichen Bildungsgänge „auf Basis ihrer schulischen Vorbildung zu der Zahl der aktuellen Absolventen aus allgemeinbildenden und beruflichen Schulen nach Art des Abschlusses in Beziehung gesetzt“ wurden (ebd., S. 22). Anschließend wurden diese Quoten auf die vorausberechneten Schulabsolvierendenzahlen nachfolgender Jahre projiziert. Unterstellt wurde also ein konstantes Übergangsverhalten der Schulabgänger / -innen und ein konstantes Verhältnis zwischen den verschiedenen Sektoren beruflicher Bildung (vgl. auch Maier / Troltsch / Walden 2011, S. 6). Demnach reduziert sich der Bestand von 354.400 Schülern und Schülerinnen im Übergangsbereich im Jahr 2008 auf 251.800 im Jahr 2020 und weiter bis auf 238.300 im Jahr 2025.

Eine solche Berechnung spiegelt im Wesentlichen die demografischen Effekte in Kombination mit dem Trend zum Erwerb höherer Schulabschlüsse wider. Im Nationalen Bildungsbericht 2010 wurde der Versuch unternommen, zugleich den Arbeitskräftebedarf in die Projektion mit einfließen zu lassen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, S. 176 f.). Da dabei von einem weitgehend unveränderten Beschäftigungsbedarf im mittleren Qualifikationsbereich bis 2025 ausgegangen wird, wurde das bis 2025 jährlich zu erwartende Ausbildungsplatzangebot im dualen System auf rd. 621.000 fixiert (als Durchschnitt der Jahre 2007 bis 2009). Unter dieser Annahme wurde errechnet, dass sich die Neuzugänge in das duale System und das Schulberufssystem lediglich um 4 bis 5 Prozentpunkte verringern werden, während der Anfängerbestand im „Übergangssystem“ bis 2025 auf nur noch 8,1 % des 2008er-Wertes absinken wird (ebd., S. 177). Demnach ließen sich also die drohenden Verluste an Ausbildungsanfängern im dualen System zumindest bis 2025 durch einen nahezu vollständigen Abbau der Schülerzahlen im Übergangsbereich begrenzen. Allerdings ist dies eine Modellannahme, die ohne praktische Konsequenz bleiben dürfte.

Die Projektion des Nationalen Bildungsberichts 2010 unterstreicht die indirekte Abhängigkeit des Übergangsbereichs vom Beschäftigungsbedarf. Allerdings zeigt die bisherige Entwicklung (2008 bis 2010), dass der Abbau der Anfängerzahlen im „Übergangssystem“ überschätzt wurde. So reduzierte sich der Umfang nicht, wie im Modell indiziert, von 2008 bis 2010 bereits um mehr als ein Drittel (ebd., S. 177), sondern „lediglich“ um 11,8 % (vgl. Kapitel C2). Dabei spielte zum einen eine Rolle, dass das Ausbildungsplatzangebot zuletzt (2010) nur 580.000 und nicht 621.000 Plätze umfasste (vgl. Kapitel A1.1). Und zum anderen ist der eigenständige, von der Wirtschafts- und Beschäftigungskonjunktur unabhängige Anteil in der Existenzlogik des Übergangsbereichs womöglich doch größer, als unterstellt wurde. Solche „eigenständigen“ Anteile resultieren u. a. aus dem Erfordernis, offensichtlich nicht immer zu vermeidende Qualifikationsdefizite allgemeinbildender Schulabgänger / -innen vor Eintritt in die vollqualifizierende Berufsausbildung abzubauen (Baethge 2011, S. 107), aber auch aus den Interessen von Schulabsolvierenden, vor Berufsausbildungsbeginn einen höheren (mittleren) Schulabschluss im Übergangsbereich zu erwerben (Beicht 2009). Darüber hinaus sind die organisationalen Interessen der Bildungsanbieter im Übergangsbereich in Rechnung zu stellen, deren Einrichtungen „aufgrund sinkender Auslastung zur Disposition stehen“ (Schmidt / Walter 2011, S. 6) und die mit attraktiven und konkurrenzfähigen Angeboten an die Jugendlichen ihre eigenen Tätigkeitsfelder sichern möchten (vgl. dazu auch Zöller 2011).

Von einer dauerhaften Existenzberechtigung des Übergangsbereichs gehen viele Berufsbildungsfachleute aus. Dies zeigt die Ende 2010 durchgeführte Befragung von 482 Berufsbildungsexperten und -expertinnen im Rahmen des Expertenmonitors Berufliche Bildung Tabelle C3-1. So mahnten zwar viele Fachleute Reformen im „Übergangssystem“ an. Die Ressourcen müssten effektiver eingesetzt, die Zahl der Maßnahmen auf wenige Grundtypen reduziert, Praxisphasen stärker implementiert und der Erwerb höherer Schulabschlüsse grundsätzlich ermöglicht werden. Doch waren 81 % der Überzeugung, dass der Übergangsbereich nichtsdestotrotz auch in Zukunft unverzichtbar sei. Nur 12 % glaubten, im Zuge des demografisch bedingten Einbruchs der Schulabgängerzahlen (und der besseren Marktposition der Bewerber) werde das „Übergangssystem“ überflüssig. Ähnlich wie die Berufsfachleute reagierten Schüler / -innen im Berufsbildungssystem, die zu Vergleichszwecken ebenfalls befragt wurden. 75 % erachteten das „Übergangssystem“ auch für die kommenden Jahre als unverzichtbar (Autorengruppe BIBB / Bertelsmann Stiftung 2011, S. 18 f.).

Dass die Existenz des Übergangsbereichs zwar auch von der Höhe des Angebots an vollqualifizierenden Berufsausbildungsplätzen abhängig sein dürfte, aber gleichwohl nicht allein davon bestimmt wird (vgl. dazu auch Baethge 2011, S. 109), ist eine Schlussfolgerung, die Zeitreihenanalysen stützen. Untersuchungen der Entwicklungen in den Jahren 1992 bis 2011 zeigen zweierlei:

  • Von grundsätzlicher Bedeutung für die Anfängerzahl im Übergangsbereich ist die Zahl der nicht studienberechtigten Abgänger / -innen und Absolventen / Absolventinnen aus allgemeinbildenden Schulen. Denn je mehr Schulabgänger / -innen es gibt, desto höhere Anfängerbestände sind auch von vornherein im Übergangsbereich zu erwarten (r = ,914; p < ,000)318.
  • Zusätzlich und in weitgehend eigenständiger Form trägt die Höhe des Angebots an vollqualifizierenden Ausbildungsplätzen zur Erklärung der quantitativen Entwicklung des Übergangsbereichs bei: Denn je mehr Ausbildungsangebote im dualen System vorhanden sind, desto seltener kommt dem Sektor „Integration in Ausbildung“ die Funktion eines Auffangbeckens zu und desto niedrigere Anfängerbestände sind im Integrationssektor zu erwarten (r = –,530; p = ,020).

Beide Einflussgrößen – Schulabgängerzahl und Umfang des Ausbildungsangebots – entwickelten sich in den vergangenen 20 Jahren weitgehend unabhängig voneinander, prägten zusammen aber maßgeblich die Zahl der Einmündungen in den Sektor „Integration in Ausbildung“ Tabelle C3-2. Die multiple Korrelation allein dieser beiden Größen mit dem Anfängerbestand im Übergangssektor beträgt R = ,964 (p < ,000). Der Zusammenhang ist somit so eng, dass auf die Einbeziehung weiterer Faktoren zugunsten eines sparsamen Erklärungsmodells weitgehend verzichtet werden kann.

E Schätzung der Determinanten der Anfängerzahlen im Übergangsbereich

Daten zum Übergangsbereich „Integration in Ausbildung“ aus der integrierten Ausbildungsberichterstattung (vgl. Statistisches Bundesamt 2012) gibt es erst ab dem Jahr 2005. Um die Schätzung der hier interessierenden Zusammenhänge breiter zu fundieren (1992 bis 2011), wurden für den Zeitraum 1992 bis 2004 die jährlichen Summen aus diversen teilqualifizierenden Bildungsgängen (Schüler / -innen im Berufsvorbereitungs- und Grundbildungsjahr, Teilnehmer an berufsvorbereitenden Maßnahmen, Anfänger einer Einstiegsqualifizierung, erwerbstätige und arbeitslose Schüler / -innen ohne Ausbildungsvertrag in der Berufsschule) mit einbezogen. Die Differenzen zwischen den beiden Teilen der Zeitreihe (1992 bis 2004 und 2005 bis 2011), die aus der abweichenden Konstruktion resultieren, wurden über eine Dummy-Variable aufgefangen.

Die bivariaten Korrelationskoeffizienten wurden unter Auspartialisierung des Einflusses der Dummy-Variable berechnet; bei der Berechnung der multiplen Korrelation R wurde die Dummy-Variable integriert. Das Korrelogramm der quadrierten Residuen gibt keinen Hinweis auf eine die Aussagekraft der Ergebnisse substanziell einschränkende Autokorrelation.

Tabelle C3-1: Standpunkte von Berufsbildungsexperten zum Übergangssystem1
Tabelle C3-1 (barrierefrei)


Tabelle C3-1: Standpunkte von Berufsbildungsexperten zum Übergangssystem

Angesichts des engen Zusammenhangs und der Ökonomie des Erklärungsmodells liegt es nahe, die Regressionsgleichung auch für eine Vorausschätzung der künftigen Anfängerzahlen im Übergangssektor bis zum Jahr 2020 zu nutzen. Dem kommt zugute, dass zur künftigen Zahl der nicht studienberechtigten Schulabgänger und -absolvierenden aktualisierte Prognosezahlen der Kultusministerkonferenz bzw. des Statistischen Bundesamts vorliegen (vgl. Kultusministerkonferenz 2011, vgl. Kapitel A2), die nach den Erfahrungen vergangener Jahre eine relativ hohe Vorhersagegenauigkeit aufweisen.

Größere Schwierigkeiten bereitet allein die Abschätzung der mittelfristigen Entwicklung des Ausbildungsplatzangebots. Zwar liegen Szenarien zur künftigen Entwicklung des Beschäftigungsbedarfs der Wirtschaft vor, wie sie auch im Rahmen des Nationalen Bildungsberichts 2010 genutzt wurden (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, S. 176 ff.). Es scheint allerdings fraglich, ob sich der Bedarf tatsächlich in einem konstant hohen Angebot an dualen Ausbildungsplätzen niederschlägt, wenn – wie absehbar – die Rekrutierungsprobleme der Betriebe weiter zunehmen werden. Dies hätte im ungünstigen Falle eine von Jahr zu Jahr wachsende Zahl von unbesetzten Ausbildungsstellen zur Folge – mit geringen Aussichten der Betriebe auf künftig größere Besetzungschancen. So rechnen Maier / Troltsch / Walden (2011, S. 7 f.) selbst unter Zugrundelegung optimistischer Annahmen mit einem Rückgang der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf 530.000 im Jahr 2020, unter Zugrundelegung pessimistischer Annahmen sogar mit einem Absinken auf 466.000. Damit wäre aber – ein Ausbildungsplatzangebot im Jahr 2020 von 621.000 Plätzen vorausgesetzt, wie im Nationalen Bildungsbericht (2010) unterstellt – eine Spannweite in der Zahl unbesetzter Plätze im Umfang zwischen 91.000 und 155.000 verbunden. Es ist fraglich, ob die Betriebe dies akzeptieren würden, ohne zu versuchen, auf alternative Strategien zur Deckung ihres Fachkräftebedarfs auszuweichen. Im Expertenmonitor 2010 rechneten 34 % der befragten Berufsbildungsfachleute damit, dass Betriebe bei massiv einsetzendem Bewerbermangel ihren Fachkräftebedarf eher verstärkt durch die Rekrutierung von z. B. extern ausgebildeten Fachkräften oder Bachelorabsolvierenden abzudecken versuchen würden, als selbst auszubilden.

Letztlich ist eine tragfähige Prognose der Ausbildungsplatzangebotsentwicklung bis 2025 kaum möglich, zumal auch Zeitpunkt und Ausmaß konjunktureller Zyklen und potenzieller Wirtschaftskrisen nicht vorherzusagen sind. Aus pragmatischen Gründen scheint es daher sinnvoll, behelfsweise mit verschiedenen Szenarien zu arbeiten Tabelle C3-2:

  • In Szenario 1 wird davon ausgegangen, dass sich das Ausbildungsplatzangebot ab 2012 bis 2025 jährlich um rd. 10.000 Plätze verringert und sich somit der sinkenden Zahl der nicht studienberechtigten Schulabgänger und -absolvierenden anpasst.
  • Dagegen wird in Szenario 2 ab 2012 mit einem konstanten, gegenüber 2011 unveränderten Ausbildungsangebot von rund 600.000 Stellen gerechnet.
  • Schließlich wird im eher unrealistischen Szenario 3 der Anschaulichkeit halber und als Gegenmodell zu Szenario 1 unterstellt, dass sich das Ausbildungsplatzangebot gegenüber 2011 jährlich um jeweils 10.000 Plätze erhöht.

Wie nun Tabelle C3-2 zeigt, ist unter Zugrundelegung aller 3 Szenarien bis 2025 mit einer weiteren starken Abnahme der Anfängerzahlen im Sektor „Integration in Berufsausbildung“ zu rechnen. Der Grund liegt im dominierenden Effekt des demografischen Einbruchs. Dessen Auswirkungen sind so stark, dass sie selbst unter Annahme des pessimistischen Szenarios 1 (starker Rückgang des Ausbildungsplatzangebots von 600.000 in 2011 auf 460.000 in 2025) ein weiteres Absinken der Teilnehmerzahlen auf unter 230.000 erwarten lassen. Denn für die Mitte der 2020er-Jahre wird mit etwa 100.000 nicht studienberechtigten Schulabgängern und -absolvierenden weniger als 2011 gerechnet; im Vergleich zu 2005 wird das Minus sogar über 250.000 Personen umfassen.

Sollte das Angebot bis 2025 jährlich jeweils rund 600.000 betragen (Szenario 2), würde die Anfängerzahl im Übergangsbereich sogar auf unter 165.000 absinken. Am sicherlich viel zu optimistischen und letztlich unrealistischen Szenario 3 lässt sich andererseits jener Kern identifizieren, der es erlaubt, von einer institutionellen Eigenständigkeit des Übergangsbereichs zu sprechen. Denn selbst wenn das Ausbildungsplatzangebot bis 2025 stark von zuletzt 600.000 auf 740.000 steigen würde, wäre immer noch mit einem Anfängerbestand von Jugendlichen im Übergangsbereich von etwa 100.000 zu rechnen. Dies wären zwar deutlich weniger Personen als zum Höhepunkt der Ausbildungsmarktkrise im Jahr 2005 (446.500), doch immerhin noch so viele, dass auch für die Zukunft von der Existenz eines (geschrumpften) Übergangsbereichs auszugehen ist.

Tabelle C3-2: Entwicklung der Anfängerzahl im Übergangsbereich in Abhängigkeit von der Zahl der nichtstudienberechtigten Schulabgänger und des Umfangs des Ausbildungsplatzangebots (Stützzeitraum der Schätzungen: Entwicklung 1992 bis 2011)
Tabelle C3-2 (barrierefrei)


Tabelle C3-2: Entwicklung der Anfängerzahl im Übergangsbereich in Abhängigkeit von der Zahl der nichtstudienberechtigten Schulabgänger und des Umfangs des Ausbildungsplatzangebots (Stützzeitraum der Schätzungen: Entwicklung 1992 bis 2011)

Fußnoten

318 Die jeweilige Zahl der nicht studienberechtigten Schulabgänger und -absolvierenden wurde als Mittelwert des aktuellen und des vorausgegangenen Jahres berechnet, um die Effekte verzögerter Einmündungen berücksichtigen zu können.

Bibliografischer Hinweis

Internetversion des BIBB-Datenreports zum Berufsbildungsbericht 2012 - Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn (2012).

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